Ein Gastbeitrag von Rose Ginster
Singen darf die Gemeinde nicht. Beten nur mit Maske. Mindestens drei Stühle Abstand. Höchstens 45 Minuten. So ein Gottesdienst ist kein Spaß mehr, aber am Karfreitag geht ein Christ in die Kirche, Pandemie hin oder her. Auch wenn es Leute gibt, die finden, dass die Religionsfreiheit noch nicht genügend eingeschränkt ist. Christen, Juden und Muslime haben zu große Privilegien, sagen diese Leute, wo doch Theater, Restaurants und Konzerthäuser geschlossen und so viele Grundrechte eingeschränkt sind. Dass die Gläubigen in Moscheen, Synagogen und Kirchen gehen, um ihren Gott zu feiern, sei unsolidarisch. Das sind dieselben Leute, die einen „harten Lockdown“ fordern, empört auf Fußball spielende Jugendliche oder Großfamilien im Park und überhaupt alles Lebendige zeigen; Leute, die beim Spazierengehen in Gottes freier Natur Masken tragen. Ich gehöre nicht zu diesen Leuten. Ich finde es falsch, wenn Theater, Restaurants, Konzerthäuser und vor allem Schulen und Sportvereine geschlossen sind. Und ich finde es richtig, dass Gotteshäuser geöffnet sind. Ich finde: Das ist kein Privileg, sondern eine Selbstverständlichkeit. Viele Menschen haben keinen anderen Ort, an dem sie ihre pandemiepotenzierte Einsamkeit für kurze Zeit vergessen können. Ich finde, die Kirche darf sie nicht hängen lassen.
In meiner Gemeinde sieht man das anders. Meine Gemeinde verzichtet rund um Ostern auf ihre Religionsfreiheit, genauer gesagt: „Wegen steigender Infektionszahlen werden die Gottesdienste ausgesetzt.“ So steht es im Schaukasten. Ein paar verwirrte Gottesdienstsuchende stehen am Karfreitag davor. Sie sind genauso verblüfft wie ich. Dass man Gottesdienste verbieten kann, haben wir vor einem Jahr gelernt. Aber aussetzen? Was soll das heißen? Gottesdienste kann man entweder feiern, drinnen, draußen, digital – oder nicht. Dazwischen gibt es nichts.
Nun gehöre ich nicht zu den superregelmäßigen Christen. Und im Laufe dieser pandemischen Zeit habe ich mich noch mehr von meiner Kirche entfernt, nachdem sie Konzerte oder Chorproben sogar dann absagte, wenn es laut jeweiliger Verordnung noch gar nicht geboten gewesen wäre. Aber Ostern ist das höchste christliche Fest. An Ostern siegt das Leben über den Tod. Und das feiert man zusammen in der Kirche. Das musste sogar die christlich deutsche Kanzlerin einsehen und ihre Bitte um eine kirchenferne „Osterruhe“ korrigieren. Und auch die nicht-christlich regierten Bundesländer haben den Ostergottesdienst „in Präsenz“, wie es neuerdings heißt, nicht verboten. Oder hat sich die Verordnung schon wieder geändert? Ich lese lieber nochmal nach:
Aktuell ist es in Berlin nicht erlaubt, nach 21 Uhr mit mehr als einer Begleitperson „privat“ draußen zu sein. Tagsüber darf „ein Haushalt“ sich mit einem weiteren Haushalt treffen, wenn man die Gesamtzahl von fünf Personen nicht überschreitet, Kinder unter 14 Jahren ausgenommen. In Brandenburg darf man über die Ostertage nach 22 Uhr ohne „triftigen Grund“ gar nicht auf die Straße. Private Treffen sind kein triftiger Grund – und Religion ist Privatsache. Aber so ist es nicht gemeint, die Landeskirchenbehörde versichert es ihren Gemeinden: „Der Besuch eines Gottesdienstes ist ein triftiger Grund, die Wohnung zu verlassen.“
Nur für meine Gemeinde ist er offenbar nicht triftig genug. Meine Gemeinde traut ihren eigenen „Hygienekonzepten“ nicht. Sie wartet nicht auf das staatliche Gottesdienstverbot, sie verzichtet eigenverantwortlich auf die Religionsfreiheit. Als wäre es unsolidarisch, Gott zu feiern. Als seien die Infektionszahlen und der „allheilige Infektionsschutz“ wichtiger als Gott. Vielleicht habe ich auch etwas nicht mitbekommen. Vielleicht ist jetzt die „Eindämmung“ der Pandemie der neue Gott und den braucht man ja nicht zu feiern. Dann wäre Jesus umsonst am Kreuz gestorben. Vielleicht überlegt er sich das mit der Auferstehung lieber noch mal.
Rose Ginster ist freie Autorin und schreibt hier unter Pseudonym
Text: Gast