Ein offener Brief von Peter Hahne.
Liebe Kollegen, liebe Reitschuster-Leser,
Freitag 15:35 auf Gleis 4 am Berliner Bahnhof Südkreuz. Warten auf den ICE 693 zum „riverboat“-Talk nach Leipzig. Ein Unbekannter spricht mich an: „Ich höre Ihre Interviews mit Tichy und Reitschuster. Können Sie nichts machen, dass Boris wieder in die Bundespressekonferenz kommt?“ Ankunft Leipzig Hbf. Zu mir und dem Abholer des MDR gesellt sich ein junger Mann. „Sie sind doch Peter Hahne. Meine Eltern, mein gesamter Freundeskreis schauen heute „riverboat“ und haben Sie auch bei reitschuster.de gesehen. Warum wird ein solcher Mann von Berliner Journalisten verstoßen?“ Gleiches hörte ich Tage zuvor bei Vorträgen im Erzgebirge und der Uckermark.
Lassen Sie uns Klartext sprechen, liebe Kollegen: Sie wissen genauso gut wie ich, dass es in den Reihen der Bundespressekonferenz (BPK) jede Menge so genannter Karteileichen gibt. Journalisten, die entweder noch nie Parlamentskorrespondenten waren und/oder es auch nicht sind. Die man nie oder so gut wie nie in der BPK antrifft. Die zum Teil nicht mal in Berlin wohnen. Man muß ja nur das Mitgliederverzeichnis zur Hand nehmen. Ich erspare mir hier eine Aufzählung von Beispielen, weil das unkollegial wäre. Und ich will keine der Karteileichen darum bringen, was für viele der einzige Zweck der Mitgliedschaft ist: die Möglichkeit, am alljährlichen Bundespresseball teilzunehmen und eine Presseakkreditierung für den Bundestag und die Bundesregierung zu bekommen.
All diese Karteileichen haben eines gemeinsam: Sie fallen durch keine kritische Berichterstattung aus der BPK auf. In den meisten Fällen, wie gesagt, weil sie nie dort sind. Ist diese Abwesenheit offenbar die Voraussetzung dafür, dass sich der Mitgliederausschuss die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft nicht genau ansieht? Besser Schweigen und Genießen? Ich war in meinen 20 Jahren Mitgliedschaft auch nicht oft da, habe jedoch tagtäglich Parlaments- und Regierungsberichterstattung betrieben.
Aber wehe, jemand fällt nicht nur durch häufige Anwesenheit in der BPK auf, sondern auch noch durch kritische, unangenehme Fragen. Nach meiner Wahrnehmung haben nur wenige andere Kollegen in den vergangenen anderthalb Jahren so oft aus der BPK berichtet wie Boris Reitschuster. Jeder, der googelt, kann sich davon überzeugen. Man könnte zugespitzt sagen, Reitschuster hat die Bundespressekonferenz wiederbelebt und auch öffentlich spannend und interessant gemacht. Über seine Seite, die bis zu 53,7 Millionen Abrufe im Monat hat, erschloss er ganz neue Kreise für die BPK. Man sollte ihn mit Preisen überhäufen…
Er tat also genau das, was sich die Gründer der BPK einst vorgestellt hatten. Mein früherer ZDF-Kollege Gunnar Krüger hat das in seiner viel beachteten Dissertation eindrucksvoll herausgearbeitet: Die Regierung kritisch befragen! Und was die BPK als einzigen Vereinszweck in der Satzung festgehalten hat: „Zweck des Vereins ist es, Pressekonferenzen zu veranstalten und seinen Mitgliedern Möglichkeiten einer umfassenden Unterrichtung der Öffentlichkeit zu verschaffen“. Sie haben im vergangenen Jahr die Satzung geändert, und hinzugefügt, die Bundespressekonferenzen „dienen einer sachlichen, an Tatsachen orientierten und fairen Vermittlung von politischen Informationen, Aussagen und Positionen. Die Bundespressekonferenz trägt damit zu einem freiheitlichen, kritischen und unabhängigen Diskurs in der demokratischen Öffentlichkeit bei.“ Das ist deshalb extrem problematisch, weil sich damit ja jemand zum Richter machen muss, was nun sachlich und fair ist und was nicht.
Nebenbei: Krügers Doktorarbeit über die BPK trägt den programmatischen Titel „Wir sind ja kein exklusiver Club!“ Ach?! Ich war bei der Präsentation durch den früheren BPK-Vorsitzenden Werner Gößling (ZDF) und den damaligen Regierungssprecher Bela Anda dabei. Unvergessen! Da gab’s zum Beispiel einen Kollegen, der für eine Leipziger Zeitung permanent nervige Fragen stellte. Er war das Salz in der Suppe. An Rausschmiss kein Gedanke! Und heute….
In der Satzung steht auch: „Soweit es dazu erforderlich erscheint, vertritt der Verein auch die Interessen seiner Mitglieder.“ Als die Kanäle von Boris Reitschuster in den sozialen Medien gesperrt wurden, war leider nie solch eine „Vertretung“ von Ihnen zu bemerken. Es war Ihnen schlichtweg egal, wie ein unbescholtener und verdienter Kollege mundtot gemacht werden sollte.
Nicht egal war Ihnen dagegen, wo Boris Reitschuster seinen Wohnsitz hat. Was seine reine Privatsache ist. Obwohl auch andere Mitglieder ihren Wohnsitz auswärts haben – manche sogar bis zu sechs Autostunden von Berlin entfernt – und obwohl selbst das Landgericht Berlin in einem Beschluss feststellte, der Wohnsitz eines Mitgliedes sei nicht erheblich, haben Sie ihn nun genau wegen dieses falschen Wohnsitzes ausgeschlossen.
Seien Sie mir nicht böse – aber das ist eine Farce. Das aktivste Mitglied wegen eines falschen Wohnsitzes auszuschließen, ist nicht dreist – es ist hanebüchen. Ja, hanebüchen! Umso mehr, als Boris Reitschuster auch als Berlin-Korrespondent für die „Nowaja Gaseta“ des russischen Nobelpreisträgers Dmitrij Muratow tätig ist, eines der letzten kritischen Medien in Russland, das sogar vorläufig seine Berichterstattung einstellen musste. Während staatliche russische Medien weiter in der Bundespressekonferenz ihre Fragen stellen können – was man aus Sicht der Meinungsfreiheit ja begrüßen kann – machen Sie den einzigen Vertreter der bekanntesten Moskauer Oppositionszeitung mundtot.
Der „Fall Boris Reitschuster“ ist der eklatanteste Verstoß gegen das Diversitäts-Gebot der jetzigen Bundesregierung. Lesen Sie das erste Kapitel meines Buches „Das Maß ist voll!“ Vielfalt der Meinungen einfordern und Reitschuster ausschließen — das ist doch heller Wahnsinn, und das wissen Sie. Einer der bekanntesten jüdischen Publizisten in Deutschland, unser Kollege Henryk M. Broder, wird gar nicht erst aufgenommen, obwohl er in Berlin lebt. Er berichte schließlich nicht über die Bundespolitik. Höre ich richtig? Oder die jungen Kollegen von Tichys Einblick: Aufnahme bürokratisch auf die lange Bank geschoben. Zufall?
Tun Sie bitte nicht so, als sei die Gesäß-Geografie der eigentliche Grund. Da lacht nicht nur der Hahn(e), sondern auch die Hühner. Wenn ich BPK-Vorstand wäre, würde ich mich solcher kritischer Mitglieder rühmen und deren aufmischende Fragen sogar extra herausstellen. Das Aushängeschild für demokratischen, vielfältigen und diversen Journalismus. Um die Chance dieser Demonstration der Meinungsfreiheit bringen Sie sich nun ohne Not selbst. Schade.
Ich fordere Sie auf: Lassen Sie das aktivste Mitglied der Bundespressekonferenz wieder zu den Sitzungen zu! Und nehmen Sie engagierte Kollegen, die sich bewerben, zusätzlich auf.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Hahne
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Peter Hahne, geb. 1952, war Vorgänger von Petra Gerster als Moderator der ZDF-Hauptnachrichtensendung „heute“. Sein neuestes Buch „Das Maß ist voll! — in Krisenzeiten hilft keine Volksverdummung“ erreichte auf Anhieb Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste (Quadriga/Lübbe-Verlag).
Text: Gast
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