Politische Debatten-Inzucht: „Hart aber fair“ als Offenbarungseid Regierung verweigert sich: Ein Armutszeugnis im Angesicht von Solingen

Von reitschuster.de

„Hart aber fair“ am Montagabend in der ARD hätte eine Bühne für wichtige politische Klarstellungen werden können – eine Möglichkeit für unsere Regierenden, sich nach den grausamen Messermorden von Solingen der Öffentlichkeit zu stellen und zu zeigen: Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen offenbarte die Sendung vor allem eines: eine bedrückende Leere.

Nicht nur, dass Innenministerin Nancy Faeser und Justizminister Marco Buschmann als zuständige Regierungsmitglieder es vorzogen, nicht zu erscheinen – es gab keinen einzigen Vertreter der Regierung, der mutig genug und bereit war, seine Position öffentlich zu vertreten. Man kann davon ausgehen, dass die Redaktion der Sendung nicht nur an die beiden erwähnten Minister, sondern auch andere hochrangige Regierungsmitglieder eingeladen hat. Doch Fehlanzeige. Das Bild, das sich dem Zuschauer bot, war das eines Staates, der in einem Moment, der nach klarer Führung schreit, ins Leere tritt. Diese Abwesenheit ist nicht nur enttäuschend, sie ist bitter und alarmierend.

In unserer Talkshow-Demokratie, in der die politischen Debatten aus dem Parlament in demokratisch nicht legitimierte, zweifelhafte Diskussionsrunden im Propaganda-TV verlagert wurden, wäre die Sendung die Gelegenheit gewesen, die Stimmung in der Bevölkerung aufzugreifen. Die Einspielung von Bürgerstimmen aus Leipzig, wo demnächst Landtagswahlen anstehen, zeigte klar, wie besorgt die Menschen sind. „Das ist das Schlimme, dass nichts unternommen wird“, äußerte eine Bürgerin ihre Frustration. Die Angst und der Wunsch nach neuen Gesetzen wurden laut. Eine andere Stimme brachte es auf den Punkt: „Wir haben Angst. Das hat der AfD in die Karten gespielt. Wenn die Menschen sterben müssen, weil die Politik schläft, dann ist das ein absolutes No-Go.“

In diesem Umfeld versuchte Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen, das Bild einer selbstkritischen und verantwortungsbewussten Politikerin zu zeichnen. „Ja, wir machen das nicht gut mit dem Islamismus“, räumte sie ein und stellte die rhetorische Frage: „Welches Land wollen wir sein? Wollen wir aufeinander losgehen? Oder wollen wir es viel, viel besser machen?“ Doch als Moderator Louis Klamroth ihr konkrete Handlungsoptionen präsentierte – etwa den Vorschlag von CDU-Chef Friedrich Merz, niemanden mehr aus Syrien und Afghanistan aufzunehmen, oder die Idee von SPD-Chefin Saskia Esken, konsequent auch nach Syrien und Afghanistan abzuschieben –, wich Göring-Eckardt aus. Die Idee, vieles besser machen zu wollen, blieb in den luftigen Höhen der Sonntagsreden hängen. Der Weg dorthin, das Einlösen des Versprechens, blieb aus.

Wolfgang Bosbach, der ehemalige Vorsitzende des Innenausschusses und Ex-CDU-Bundestagsabgeordnete, versuchte, das Thema in handfestere Bahnen zu lenken. „Wir haben keine Grenze zu Afghanistan“, erklärte er, und argumentierte, dass Deutschland von sicheren Demokratien umgeben sei. Asylsuchende sollten dort Schutz suchen. Doch auch seine Forderungen, dass die Menschen in Deutschland „nur gut regiert werden wollen“, wirkten in diesem Kontext eher wie ein Appell aus vergangenen Tagen – nostalgisch, aber ohne die nötige Schärfe und Dringlichkeit.

Sebastian Fiedler, SPD-Bundestagsabgeordneter und Kriminalbeamter, brachte hingegen wenigstens ein bisschen Härte mit: „Ich habe die Schnauze voll, dass wir wieder diese Debatten führen“, polterte er in die Runde. Er machte klar, dass das Gerede über das große Ganze den Angehörigen der Opfer von Solingen kaum helfen werde: „Es laufen Debatten durcheinander, die mit diesem Fall nichts zu tun haben.“ Fiedler forderte konkrete Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung und ein Verbot von Messern im öffentlichen Raum. Doch auch er musste sich gegen die Spötteleien der anderen Politiker verteidigen – besonders als er sich die Bemerkung erlaubte, dass die meisten Zuschriften zum Thema Messerverbote von „apfelschälenden Menschen“ kämen.

Die Diskussion, zu der wie immer wirklich kritische Stimmen gar nicht erst zugelassen wurden und die deshalb wie gewöhnlich eine Art politischer Inzucht bzw. Potemkinsche Debatten-Fassade war, zerfaserte zusehends. Das Versprechen einer sinnvollen Auseinandersetzung mit dem ernsten Thema verflüchtigte sich. Nicht einmal im Propaganda-Fernsehen bekommen sie noch eine anständige Fassade hin. Was für eine Bankrotterklärung. Fiedlers Resignation war am Ende bezeichnend für den gesamten Abend: „Man bläst den Leuten Sand in die Augen“, konstatierte er bitter. So als sei seine Partei nicht in der Regierung, sondern in der Opposition. Der Talk versandete, und mit ihm auch die Hoffnung auf eine konstruktive Debatte. Eine solche ist nicht mal mehr unter Gleichgesinnten unter Ausschluss der Kritiker möglich – was für ein Offenbarungseid.

Am Ende bleibt die Frage: Wo ist die politische Klasse, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen? Dass sich kein Regierungsmitglied der Diskussion stellte, ist ein klares Zeichen dafür, wie groß die Kluft zwischen der politischen Elite und der Bevölkerung geworden ist. Wenn das Vertrauen in die Regierenden schwindet, weil sie sich vor der öffentlichen Auseinandersetzung drücken, wer soll dann noch glauben, dass diese Leute in der Lage sind, unser Land durch die schweren Krisen der Gegenwart zu führen? Dieser Montagabend bei „Hart aber fair“ war mehr als eine verpasste Chance – er war ein Armutszeugnis für die politische Klasse.

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