Von Kai Rebmann
Am 6. April 2022 erteilte Nancy Faeser (SPD) die Erlaubnis, die „Dienstgebäude aller Behörden und Dienststellen des Bundes“ mit dem Regenbogen zu beflaggen, jedoch nur „in Ausnahmefällen“ und „unter sehr strengen Auflagen“. Dass der Bund per Verfassung jedoch zur Neutralität verpflichtet ist, spielte für die Bundesinnenministerin dabei offenbar keine Rolle. Am vergangenen Samstag fand in Berlin anlässlich des Christopher Street Day (CSD) eine Demonstration statt, was die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) als willkommenen Anlass nahm, das Reichstagsgebäude erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit dem Regenbogen zu beflaggen. Ziel dieser Aktion sei es, „die Sichtbarkeit des Bekenntnisses zu Vielfalt und Diversität noch einmal deutlich zu erhöhen“, wie Bas erklärte. Und so wehte die Regenbogenflagge über dem Südwestturm des Reichstags sowie über den West- und Ostflügeln des Regierungsgebäudes, in dem für gewöhnlich das deutsche Parlament tagt.
Mancher scheint das Schreiben aus dem Bundesinnenministerium aber auch als Freibrief zu verstehen, dass ab sofort jeder machen kann, was er will. Vor dem von Lisa Paus (Grüne) geleiteten Bundesfamilienministerium weht bereits seit dem 28. Juni 2022 die sogenannte „Progress-Regenbogenflagge“, die noch bunter ist als ihre prominentere Schwester und anscheinend ganz speziell auf die Rechte von Inter- und Transmenschen sowie Schwarzen und sonstigen „People of Color“ aufmerksam machen soll. Problem: Hinter dieser Flagge versammeln sich regelmäßig die Anhänger der Identitätspolitik, die Menschen nach Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Geschlecht klassifizieren, also die eigentlichen Rassisten sind.
Mit Schreiben vom 13. Juni 2022 unterrichtete Faeser ihre grüne Kabinettskollegin darüber, dass die Beflaggung mit der Progress-Version der Regenbogenflagge nicht gestattet werden könne. Die Antwort der Familienministerin, warum sie auf die Anordnung des BMI pfeift, wird von der Welt so zitiert: „Als Gleichstellungsministerium sind wir stolz, dieses Jahr die Progress-Regenbogenflagge zu hissen, um ein Zeichen besonderer Solidarität auch mit allen Trans- und Inter-Personen zu setzen. Damit drückt das Haus unmissverständlich aus, für alle queeren Menschen einzustehen.“ Das BMI wies darauf hin, dass Zuwiderhandlungen gegen den „Beflaggungserlass“ vom 6. April 2022 zwar rechtswidrig seien, etwaige Rechtsverstöße dagegen aber nicht geahndet würden. Herzlich willkommen im besten Deutschland aller Zeiten!
Auch die evangelische Kirche gab sich beim CSD die Ehre
Wenn es darum geht, Haltung zum und mit dem queeren Mainstream zu zeigen, lassen sich in Deutschland seit einigen Jahren selbst die Kirchen nicht mehr zweimal bitten. Man begnügt sich dabei aber keinesfalls damit, die Regenbogenflagge über den Kirchen zu hissen, sondern ist auch beim CSD in Berlin mittendrin statt nur dabei. Bei der Parade am vergangenen Samstag in Berlin war die evangelische Kirche (EKD) sogar mit einem eigenen Wagen am Start, und das seit 2017 bereits zum sechsten Mal in Folge, wie Dr. Bertold Höcker gegenüber dem Domradio nicht ohne Stolz betonte. Ein Journalist der ARD sei auf ihn zugekommen und habe ihm gesagt: „Das war jetzt der Schulterschluss der queeren Community mit der Kirche“, so der Superintendent des Kirchenkreises Berlin-Stadtmitte. Höcker freue es sehr, „dass nach den Jahren des Aufbaus (es) sich langsam rumspricht, dass man nun auch bei uns verschieden- und gleichgeschlechtlich heiraten kann.“
Die Freude dürfte in Wirklichkeit aber ganz auf Seiten der LGBTQXYZ-Community liegen, dass man mit der EKD eine (noch) mitgliederstarke Institution gefunden hat, die sich vor deren Karren spannen lässt und die Genderideologie allen offensichtlichen Widersprüchen zum Trotz mit den Werten des Christentums in Einklang zu bringen versucht. Superintendent Höcker schreckt im Interview mit dem Domradio auch nicht davor zurück, die aufgeschlossene Haltung der EKD und anderer Kirchen mit nachweislich falschen Behauptungen zu rechtfertigen. So gebe es „kein einziges theologisches Argument“ dagegen. Zur Lektüre seien dem Kirchenmann folgende Stellen aus dem Alten und Neuen Testament sowie den Paulusbriefen dringend empfohlen: 3. Mose 18, 22; Mk 7, 21; Röm 1, 27 oder auch 1. Kor 6, 9-11. Diese Aufzählung erhebt ausdrücklich keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Die Regenbogenflagge und ihre ursprüngliche Bedeutung
Und so haben sowohl der Regenbogen als auch die dazugehörige Flagge, die von der „woken“ Community gerne als „ihr“ Symbol ausgegeben wird, eine gänzlich andere Bedeutung als es der weitläufig vertretenen Meinung entspricht. Der Regenbogen als solcher taucht in der Genesis erstmals als Symbol des Bundes auf, den Gott nach der Sintflut mit Noah als Vertreter der gesamten Menschheit geschlossen hat. Er steht für das Versprechen, dass Gott nie mehr eine Sintflut „biblischen Ausmaßes“ über die Erde und ihre Bewohner kommen lassen will: „Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe.“ (1. Mose 9, 14-15) Die biblische Geschichte von der Arche Noah, der Sintflut und dem Regenbogen kannte bis vor nicht allzu langer Zeit jedes Kind.
Weitaus weniger bekannt ist hingegen, dass die Regenbogenflagge keineswegs eine Erfindung der Queer-Bewegung ist. Tatsächlich feiert diese Flagge in drei Jahren ihren 500. Geburtstag und geht auf den Deutschen Bauernkrieg 1524/25 zurück, der auch bei der Reformation unter Martin Luther eine wesentliche Rolle gespielt hat. Der Theologe Thomas Müntzer galt als langjähriger Anhänger Luthers, ehe die vor allem in Thüringen, Sachsen und Süddeutschland beginnenden Bauernaufstände die beiden Reformatoren zu erbitterten Rivalen machten. Während Luther die Bauernaufstände verurteilte, wurde Müntzer in Thüringen zu deren Anführer. Im Januar 1525 trat dieser die Pfarrstelle in Mühlhausen an und hisste in der Marienkirche erstmals in der Geschichte eine Regenbogenflagge.
Das Banner bestand aus einem weißen Tuch mit einem Regenbogen und zwei Schriftzügen. In lateinischer Sprache war darauf zu lesen: „verbum domini maneat in etternum“, was so viel bedeutet wie „das Wort des Herrn bleibe in Ewigkeit“. Darunter stand in deutscher Sprache: „Das ist das Zeichen des ewigen Bundes Gottes.“ Dieses Motiv der „Ur-Regenbogenflagge“ fand im Frühjahr 1525 insbesondere in Thüringen eine sehr weite Verbreitung, änderte jedoch nichts daran, dass die Aufständischen am 15. Mai 1525 in der Schlacht bei Frankenhausen vernichtend geschlagen wurden und Thomas Müntzer nur kurz darauf hingerichtet wurde.
Vor diesem zeit- und kirchengeschichtlichen Hintergrund betrachtet, erscheint die Gemeinmachung der EKD mit der neuen Wokeness umso fragwürdiger. Denn wenn über einer Kirche in Deutschland im Jahre 2022 irgendwo eine Regenbogenflagge weht, soll dabei in den seltensten Fällen an das ewig gültige Wort Gottes oder den ewigen Bund des Allmächtigen mit der Menschheit erinnert werden – vielmehr wollen die Kirchen ihre Anbiederung an den Zeitgeist zum Ausdruck bringen und ein „wokes“ Zeichen für vermeintliche Vielfalt und Diversität aussenden.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: aushilfe444 / ShutterstockText: kr
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