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Erst bei einer Impfquote von deutlich über 80 Prozent sei ein Verzicht auf Maßnahmen möglich, kündigte der Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler heute auf der gemeinsamen Bundespressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn an. Auch dann könne es zwar noch einzelne Ausbrüche geben, doch man habe die Pandemie dann unter Kontrolle. Wenig später sagte Spahn, es gebe noch keine klaren Erkenntnisse, wann eine Auffrischimpfung nötig wird. Spahn verwies auf Untersuchungen bei Probanden, die in klinischen Impfstoff-Studien schon vor einem Jahr geimpft wurden. Bei ihnen zeige sich bislang offenbar noch keine Notwendigkeit für eine Auffrischimpfung. Ich wollte das genauer wissen und fragte bei Wieler nach, ob bei Nachlassen der Impfwirkung dann nicht immer wieder ein Absinken unter die entscheidenden 80 Prozent drohe. Das Ergebnis der Nachfrage: Möglicherweise müssen wir uns aufs Dauerimpfen einstellen. Wie oft, sei unbekannt. Zudem drohe eine vierte Welle. Hier das Wortprotokoll der Antworten von Wieler und Spahn.
Reitschuster: Herr Professor Wieler, Sie sagten, ab 80 Prozent Durchimpfung kann man die Maßnahmen zurückfahren. Gleichzeitig sagte Herr Spahn, es ist noch unklar, wie lange die Impfung wirkt, wann man wieder impfen muss. Gibt es da einen Widerspruch? Ist da die Gefahr einer Wellenbewegung? Und an Herr Spahn noch eine Frage: Die nächtlichen Ausgangssperren hat das Ministerium begründet mit wissenschaftlichen Studien. Auf der Seite werden wissenschaftliche Studien angeführt, die aber gar keine sind. Die sind alle drei nicht „peer reviewed“, also nicht überprüft. Da sagen Wissenschaftler, es sei unseriös, sie als Studien zu bezeichnen. Könnten Sie das noch klären? Danke.
Wieler: Ja, danke Herr Reitschuster für diese Frage. Das ist kein Widerspruch. Weil wir ja weltweit impfen und natürlich weltweit viele Studien durchgeführt werden. Und die werden uns zeigen, wann eine Auffrischungsimpfung sein wird. Und dann wird die entsprechend nachgeholt. Das heißt also, dieses Impfangebot, von dem wir…das ja wirklich enorm inzwischen ist und auch weiter wächst. Das wird ja noch Monate und Jahre lang ja auch da sein. Also die Impfstoffe werden weiter verfügbar sein und dann werden die Menschen geimpft. Das Impfangebot wird ihnen wieder gemacht, wenn wir von der Studienlage her wissen, wann das notwendig ist. Das werden wir anhand von Studien aber sehen können. Momentan ist da das Wissen noch nicht in dem Maße vorhanden. Wir werden noch öfter impfen müssen. Das ist klar. Aber die Zeitabstände können wir Ihnen einfach noch nicht sagen.
Spahn: Also nochmal grundsätzlich jetzt zu den Phasen, die vor uns liegen. Wir sind ja jetzt. Wir merken das ja jetzt. Das sind so Phasen, wo es so verschiedene Spannungssituationen gibt. Wir haben jetzt die Spannungssituation Geimpfte/Ungeimpfte, das ist eine Spannungssituation, glaube ich, wirklich in jeder Familie, in jedem Freundeskreis, in jedem Bekanntenkreis, in der Frage, wie die Situation ist. Das ist eine Situation jetzt für einige Wochen. Bis wir tatsächlich jedem, der will, auch ein Impfangebot werden gemacht haben können. Aber das ist eine Spannung, die wir aushalten müssen. Die zweite Spannungssituation wird entstehen und die entsteht ja jetzt auch schon gerade. Insbesondere in den Regionen, wo deutlich… wir haben ja Regionen mit einer Inzidenz unter 50 sogar im Norden der Republik in vielen… oder in einigen Landkreisen. Aber so eine Situation, wo wir die Balance zwischen Lockern und noch notwendigen Schutzmaßnahmen gut finden müssen. Weil es durchaus Länder auf der Welt gibt, die ja schon gezeigt haben, wir haben ja Beispiele, gilt übrigens auch für Ausgangsbeschränkungen, wir haben ja Beispiele auf der Welt, was passiert, passieren kann, wenn sie trotz, auch schon trotz relativ hoher Impfquote zu viel lockern, kann es ihnen passieren, dass dann nochmal richtige Wellen entstehen. In einem Land wie Chile sehen wir es gerade akut. Aber auch in Israel hat man das durchaus gesehen in den Abläufen. Deswegen ist aus meiner Sicht diese Balance sehr, sehr wichtig. Auch sozusagen Zuversicht, Perspektive zu geben, auch durchaus unter 100 zu zeigen, dass das jetzt eine andere Situation ist. Dass man etwa Außenbereiche, das finde ich einfach sehr wichtig, den Fokus da vor allem zu haben jetzt bei den ersten Öffnungsschritten, testgestützt auch öffnen kann. Aber es heißt eben noch nicht, auch nicht, wenn wir 50 Prozent, jeden zweiten, geimpft haben werden, dass man gleich alles wieder so haben kann, wie vor der Pandemie. Sondern es wird noch eine Phase eben brauchen, wo man beispielsweise in Bereichen, wo Menschen eng beieinander sind, weiterhin etwa Maskenregeln und anderes brauchen wird. Und trotzdem werden wir schon bei 50, 60 Prozent Durchimpfung einen Effekt sehen, einen deutlichen. Wir sehen jetzt schon einen Effekt, bei den über 70-Jährigen, wie da insgesamt Inzidenz, wie Krankheitslast, ist jetzt so ein Wort, aber wie schwere und schwerste Verläufe, Todesfallzahlen zurückgehen und trotzdem können wir deshalb ja jetzt nicht sagen, wir geben alle Schutzmaßnahmen auf, weil ja ein zu großer Teil noch nicht geimpft und geschützt ist. Und wenn wir 50% geimpft haben werden, und das ist ja absehbar, dann werden wir es noch deutlicher sehen und trotzdem können wir dann nicht sagen, jetzt alle Maßnahmen gleich fallen lassen, weil immer noch ein zu großer Teil nicht geschützt ist und ein Risiko für sich hat, aber auch für das Gesundheitssystem in der Überlastung. So, und diese Phasen gut abzustimmen, das ist politisch herausfordernd, wird es werden. Aber das ist es natürlich einfach auch gesellschaftlich und in jeder Gemeinschaft vor Ort. Und eine Zeit lang den Geimpften zu sagen, aber bitte weiterhin etwa Masken und Abstandsregeln eine Zeit lang einhalten, zum Schutz von uns allen. Das wird natürlich immer schwerer werden. Aber ich finde, wir haben es jetzt 14 Monate ziemlich gut gemeinsam durch diese Pandemie geschafft und wir werden jetzt auch in diesem Weg raus, der auch nicht spannungsfrei ist, da bin ich sehr zuversichtlich, auch das noch gemeinsam schaffen. Aber es wird noch manche, nicht wissenschaftlich getriggerte, sondern vor allem in gesellschaftlichen Abwägungsdiskussionen gefundene Kompromisslinie brauchen.
Reitschuster: Und die Frage zu den Studien?
Spahn: Die Frage, was Sie als wissenschaftlichen Studienstandard akzeptieren oder nicht, ist im Übrigen ja auch eine Diskussion, die wir seit 14 Monaten haben. Wohl tatsächlich erste Studienergebnisse ja auch schon veröffentlicht werden, früher als man das sonst… die Diskussion hatten wir ja auch in anderen Aspekten, auch in der Wissenschaft als sonst. Aber es gibt eben Evidenz und Studien dazu, ob die Ihnen ausreichend oder anderen ausreichend wissenschaftlich belegt sind oder nicht, darüber kann man natürlich immer streiten… es gibt auch meistens ja dann irgendwie wieder eine Erkenntnis, die durch einen etwas anderen Ansatz wieder etwas Relativierendes hat. Eins bleibt aber doch. Das haben wir ja immer gesagt. Die nächtliche Ausgangsbeschränkung hat ja nicht zum Hauptziel, dass nachts um 11 jemand nicht alleine mit dem – aber es geht sowieso – mit dem Hund Gassi gehen können soll. Sondern es geht darum, insgesamt Mobilität und Kontakte zu reduzieren. Das ist das Ziel. Und da sind Ausgangsbeschränkungen nicht das alleinige Mittel, aber ein wichtiges ergänzendes Mittel. Und nahezu alle Länder auf der Welt, die die dritte Welle unter Kontrolle gebracht haben, haben auch zu diesem Mittel gegriffen und hatten damit Erfolg. Jetzt muss das nicht per se eine Kausalität sein, kann auch eine Korrelation sein, aber es ist zumindest auch evident.
Bild: Boris Reitschuster
Text: br
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