RUSSLAND SUCHT DEN SUPERZENSOR

 

Allen Facebook-Bekannten und anderen Zufallsbegegnungen, die zwar nie in Russland waren und/oder kein Russisch können, aber fest davon überzeugt sind, bei uns gehe es, mit „Mainstream-Medien“ und „Diskriminierung Andersdenkender“ auch nicht besser zu als in Russland, das unfairerweise ständig vom Westen für Dinge „gebasht“ werde, die dieser auch nicht anders mache – all diesen Mitmenschen lege ich dieses Schreiben des Moskauer städtischen Dezernats für „Wirtschaftssicherheit und Anti-Korruptions-Maßnahmen“ ans Herz. Es wurde in diesen Tagen an alle Druckereien und Unternehmen der Werbewirtschaft in der russischen Hauptstadt versendet.

 

Auszüge:

„Hiermit teile ich Ihnen mit, dass die Annahme von Druckaufträgen unzulässig ist, die eine Diskreditierung der Organe der Staatsgewalt und ihrer politischen Vertreter….darstellen“. Weiters ist es auch untersagt, Materialien zu drucken, welche zu „nichtsanktionierten Kundgebungen“ aufrufen. Die Druckereien werden zudem an die Staatsbürgerpflicht erinnert, derartige Auftraggeber sofort den zuständigen Organen zu melden.

 

 

Unter das Verbot fallen auch alle Publikationen, welche „Menschen- und Bürgerrechte verletzen“ – soll keiner sagen, der väterlich fürsorgende russische Staat kümmere sich nicht auch um solchen westlichen Heulsusenkram. 

 

Und soll keiner sagen, hier werde ein garstig Lied, ein politisch Lied angestimmt. I wo denn! Wir leben doch nicht mehr in der Sowjetunion. Diese Behörde ist für rein ökonomische Dinge zuständig. Den Superzensor suchen Sie in Russland vergeblich. Und die Deutschen haben doch bestimmt auch nichts gegen saubere Hände in der städtischen Wirtschaft?

 

Und deswegen sitzen in Russland die Politischen nicht wegen Politischem. Sie sitzen wegen Vorteilsnahme, Betrugs oder Steuervergehen. Menschen- und Bürgerrechte? Entschuldigen Sie mal. Gibt es etwa kein Menschenrecht des Herrschenden auf wochenübergreifende Sonntagsruhe vor politischer Kritik? Sollte man das Recht der Machtsphäre auf Unversehrtheit durch renitente Möchtegern-Präsidentschaftskandidaten mit Füßen treten? Was ist mit dem Recht der Bürger auf Ruhe und Ordnung?

 

Weswegen Vertreter der Opposition auch nichts bei den Präsidentschaftswahlen am 18. März 2018 verloren haben, deren Wahlkampf die Moskauer Korruptionsbekämpfer auf diese dröge-bescheidene Weise nun eingeleitet haben. Das ist die tiefere Bedeutung des Wörtchens „-kampf“ zur „Wahl“.

 

Mögen meine Leser selbst urteilen, wie unsere Wahlen ausgegangen wären, stimmten die Vorwürfe einer jede Opposition erstickenden quasi-russischen Dominanz von „Links-Grün-Merkel“. Und mögen diejenigen, die ein enges deutsch-russisches Verhältnis einem engen deutsch-französischen oder -amerikanischen vorziehen, sich selbst prüfen, ob sie derartige Behördenbriefe gerne in ihrem eigenen Briefkasten sehen würden.

 

 

 

 Dr. Anna Vero Wendland ist Osteuropa-Historikerin am Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung

 

in Marburg. Ihr Habilitationsprojekt „Atomgrad. Kerntechnische Moderne im östlichen Europa“ ist dem Sonderforschungsbereich SFB/TR 138 „Dynamiken der Sicherheit“ assoziiert.

 

Mehr Beiträge von Anna Vero Wendland: https://www.facebook.com/annavero.wendland?fref=ts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert