Von Alexander Wallasch
Gemessen an den Infektionszahlen der vorhergehenden Corona-Wellen schlägt die Omikron-Variante alle Rekorde. Und es scheint so, dass Omikron sich auch kaum beeindrucken lässt von Impfungen, Booster-Auffrischungen oder konventionellen Schutzmaßnahmen gegen Viren.
Einzelne Familien, die sich gemeinschaftlich infiziert haben, vermelden bereits – hier nicht repräsentativ –, dass es die zwei- oder dreifach Geimpften ebenso trifft wie die Ungeimpften. Vereinzelt heißt es sogar, die geboosterten Infizierten wären länger infektiös als die ungeimpften Infizierten. Parallel empfiehlt die Europäische Arzneimittelbehörde EMA aktuell, mit dem Boostern vorsichtig zu sein. Und Experten erklären bereits, dass sorgloses Nachboostern kontraproduktiv sein könne.
Mitten hinein in diese Gemengelage folgt ab Mitte März die mit überwältigender Mehrheit vom Bundestag beschlossene Impfpflicht in Pflege und Kliniken. Rechtzeitig vor dem Termin meldet die Bundesagentur für Arbeit etwa 25.000 Personen aus dem gesamten Gesundheits- und Sozialsektor, die sich schon jetzt über das übliche Niveau hinaus arbeitssuchend gemeldet hätten, davon ungefähr 12.000 aus der Pflege.
Angesichts der hohen Zahl an Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialsektor noch keine bedrohliche Zahl, aber der Termin der verpflichtenden Impfungen steht noch bevor, möglicherweise hoffen viele, die sich weiterhin nicht impfen lassen wollen, noch darauf, dass die Regelung auf der Zielgeraden noch gekippt wird.
Aber woher kommen diese Hoffnungen? Zum einen sind aktuell schon weit über siebzig Verfassungsklagen gegen Impfpflicht in Pflege und Kliniken anhängig – der überwiegende Teil per Eilantrag. Auf der anderen Seite gibt es Einrichtungen, die es kaum abwarten können und ihren ungeimpften Mitarbeitern schon vor Tagen den Einlass in ihre Einrichtungen verwehrt und den Lohn gestrichen bzw. damit gedroht haben.
Speziell in Sachsen kommt jetzt unverhoffte Unterstützung für Ungeimpfte im Gesundheits- und Sozialsektor hinzu: Sächsische Landräte fordern nämlich aktuell eine Aussetzung der Impfpflicht. Die Bildzeitung schreibt gar von einem „Aufstand gegen [die] einrichtungsbezogene Regelung“.
Der Landkreistag ist der Spitzenverband der zehn Landkreise in Sachsen. Er vertritt die Interessen der Landkreise gegenüber dem Landtag. Gut zu wissen: In Sachsen leben rund Zweidrittel der Bevölkerung auf 95 Prozent der Landesfläche.
Wenn also von hier aus Protest laut wird, dann ist der durchaus ernstzunehmen. Zuletzt wurden die Landräte von der sächsischen Sozialministerin Petra Köpping (SPD) empfangen, wo sie ihren Unmut gegenüber der Ministerin formulierten und eine Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht forderten.
Landrat Frank Vogel, der Präsident des Sächsischen Landkreistages, bekräftigte, dass Impfungen vor schweren Verläufen schützen könnten, aber eben nicht vor einer Ansteckung: „Ziel der einrichtungsbezogenen Impfpflicht war es aber, die vulnerablen Gruppen vor Infektionen zu schützen“, heißt es in einer Presseerklärung des Landkreistages. Vogel hält es für „dringend erforderlich“, auf Bundesebene neu über die Maßnahmen zum Schutz der zu Pflegenden nachzudenken.
Im Anschluss an den Besuch im Ministerium wandten sich die sächsischen Landräte an Bundesgesundheitsminister Lauterbach und den sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer und forderten auch hier eine Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht bis zu einer Entscheidung zur allgemeinen Impfpflicht.
Im Prinzip hofft man hier demnach auf eine Absage an die Idee einer allgemeinen Impfpflicht, die sicherlich im Vorfeld die Dynamik zum Beschluss der Impfpflicht in den Pflegeberufen beeinflusst hatte, bedenkt man, dass auch Kritiker einer allgemeinen Impfpflicht wie der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) bei der Abstimmung im Bundestag dem Impfzwang in diesen Berufen zugestimmt hatten.
Der Präsident des Sächsischen Landkreistages sprach sich zwar deutlich für das Impfen aus, zeigte sich aber gleichsam alarmiert von der niedrigen Impfquote unter den Fachkräften. Die Versorgungssicherheit für die Bevölkerung müsse gewährleistet bleiben, sagte Landrat Frank Vogel: „Vor diesem Hintergrund halten wir es für dringend erforderlich, auf Bundesebene neu über die Maßnahmen zum Schutz der zu Pflegenden nachzudenken.“
Den Landräten zur Hilfe kommt jetzt auch der sächsische Arbeitgeberpräsident Jörg Brückner. Der nämlich lehnt eine Impfpflicht im Gesundheitsbereich ebenfalls ab: „Ich habe die Diskussion im Gesundheitswesen aufmerksam verfolgt und schließe mich der Forderung der sächsischen Landräte an, die einrichtungsbezogene Impfpflicht auszusetzen.“ Es werde immer offensichtlicher, dass der aktuelle Verlauf der Pandemie Maßnahmen mit Augenmaß verlange. Dazu gehöre eine hohe Eigenverantwortlichkeit aller.
Brückner setzt stattdessen unter anderem auf Tests als ein geeignetes Mittel und betont weiter, was wohl seiner Meinung nach zu viele schon wieder vergessen hätten: Ganz gleich, ob geimpft oder ungeimpft, Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte hätten sich von Beginn der Pandemie an vorbildlich dem Schutz der Kranken und Pflegebedürftigen gewidmet: „Wir brauchen alle Mitarbeiter auch weiterhin.“
Vom Landkreistages- über den Arbeitgeberpräsident bis hin zum Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert: Der nämlich kritisiert jetzt in einem Podcast ebenfalls die Einführung der Impfpflicht für Pflegeberufe: „Das sind klare handwerkliche Fehler, die auch zu erwarten und sichtbar waren. Zu viel ist bis heute – sechs Wochen vor Start – noch nicht geklärt.“
Und Hilbert nennt Zahlen: Alleine für das Dresdner Gesundheitsamt kämen demnach rund 12.000 bis 14.000 Anträge von Ungeimpften zur Prüfung. Jeder Fall müsste dann in einem rechtssicheren Einzelverfahren bewertet werden.
Was sich der Landkreistag mit seiner Forderung vom Bundesgesundheitsminister erhoffen kann, dürfte allerdings gering sein. Karl Lauterbach nämlich hatte sich zuletzt gegenüber der Frankfurter Allgemeinen scharf gegen ungeimpfte Pflegekräfte gewandt, als er sagte: „Dass medizinisches Personal wissenschaftliche Erkenntnisse leugnet und sogar bereit ist, Patienten zu gefährden, kann nicht sein.“
Man müsse in Kauf nehmen, so der Minister weiter, dass Fachpersonal Einrichtungen verlasse, wenn die Impfpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen vom 15. März an greift. Wer als radikaler Impfgegner trotzdem in der Pflege arbeite, müsse sich fragen, ob er oder sie überhaupt „für den Beruf geeignet war“.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Shutterstock
Text: wal
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