Sektorale Impfpflicht entpuppt sich als Papiertiger „Rohrkrepierer mit Ansage“

Von Kai Rebmann

Man stelle sich vor, es ist Impfpflicht und keiner geht hin! Die mit großem Brimborium eingeführte sektorale Impfpflicht für die bundesweit knapp sechs Millionen Mitarbeiter im Gesundheitswesen hat sich nach deren Auslaufen zum Jahreswechsel als zahnloser Papiertiger erwiesen. Obwohl viele Ärzte und Pfleger diesem Druckmittel nachgegeben haben und sich aus Angst um ihren Arbeitsplatz haben impfen lassen, blieben rund 270.000 von ihnen ungeimpft. Das ergab eine Umfrage der „WamS“ unter den 16 Bundesländern. Viel interessanter aber: Nur in 8.252 Fällen (6.975 Bußgeldverfahren und 1.277 Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbote) wurden die entsprechenden Sanktionen verhängt.

Natürlich ist jeder einzelne dieser Fälle einer zu viel. Dennoch zeigt die Erhebung, dass die Gesundheitsämter entweder nicht in der Lage oder nicht willens waren – oder beides – dieses Bürokratie-Monster in die Tat umzusetzen. Vielerorts wurde zudem schnell klar, dass man dem medizinischen Fachpersonal zwar mit allerlei Konsequenzen drohen, im Zweifelsfall aber nicht darauf verzichten kann. Das trieb mitunter so seltsame Blüten, dass zum Beispiel die Uniklinik Regensburg auf den Knien angerutscht kam und bei ihren Mitarbeitern aus Angst vor einer Kündigungswelle mit einem Bettelbrief um deren Verbleib flehte. Die Befürworter der sektoralen Impfpflicht hingen also dem fatalen Glauben an, ein besonders starkes Druckmittel in Händen zu halten und merkten dabei nicht, dass sie an dem Ast sägten, auf dem sie selbst saßen.

Besonders hartes Durchgreifen in Hamburg

Doch glücklicherweise waren es nicht die Opportunisten in der Bundesregierung, die in letzter Konsequenz über mögliche Sanktionen gegen impfunwillige Ärzte und Pfleger zu entscheiden hatten, sondern die jeweiligen Gesundheitsämter vor Ort. Und diesen war vom Gesetzgeber ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt worden, von dem viele offenbar regen Gebrauch machten bzw. machen mussten, um die Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. Unter dem Strich wurden gerade einmal drei Prozent der gemeldeten Verstöße mit Bußgeldern und/oder Tätigkeitsverboten belegt.

In fünf Bundesländern (Bayern, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) wurde kein einziger ungeimpfter Mitarbeiter im Gesundheitswesen freigestellt, in Brandenburg waren es zwei, in Bremen einer. Besonders hart griffen die Behörden dagegen in Hamburg durch, wo 400 Betretungsverbote verhängt wurden. Nur im deutlich bevölkerungsreicheren Nordrhein-Westfalen (533) wurden noch mehr Ärzte und Pfleger vor die Tür gesetzt.

Ebenso große Unterschiede gab es bei den Bußgeldern. Während in sieben namentlich nicht genannten Bundesländern kein einziges Knöllchen verschickt wurde, strengten Nordrhein-Westfalen (2.250), Thüringen (1.982) und Rheinland-Pfalz (1.948) die meisten solcher Verfahren an. Erst mit weitem Abstand folgen Baden-Württemberg (450) und Niedersachsen (345) mit ebenfalls dreistelligen Zahlen. In den meisten anderen Bundesländern wurde „mit Blick auf eine sehr schlechte Personalausstattung von Krankenhäusern und Pflegeheimen“ von Sanktionen abgesehen.

Patientenschützer sehen sich bestätigt

Trotz der aus den Bundesländern gelieferten Zahlen und der von den Gesundheitsämtern getätigten Aussagen gibt es nach wie vor Politiker, die das tote Pferd um jeden Preis weiterreiten wollen. Keine Spur von Einsicht gibt es zum Beispiel bei Heike Baehrens. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD beklagt ein „Vollzugsdefizit“ und bezeichnet die sektorale Impfpflicht weiterhin als „sachgerechte und wichtige Maßnahme“ zum Schutz der Verletzlichsten unserer Gesellschaft. Außerdem habe diese Impfpflicht zur „Grundimmunisierung der Bevölkerung“ beigetragen, glaubt die SPD-Politikerin. Die nicht zuletzt von der SPD massiv forcierte allgemeine Impfpflicht ist im Bundestag zwar mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Aber man möchte sich nicht ausmalen, wie es bei den Behörden in Deutschland zugegangen wäre, wenn diese nicht nur über knapp 270.000, sondern mehrere Millionen Fälle von Ungeimpften zu entscheiden gehabt hätten.

Auch Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP, sieht einen „großen Missstand“ vorliegen, wenn „nur wenige Prozent der Fälle“ verfolgt werden, obwohl sie den Behörden zur Anzeige gebracht worden sind. Man müsse daher „auf Spurensuche gehen und analysieren, warum geltendes Recht so spärlich durchgesetzt wurde“, fordert Ullmann. Aus dem in jeder Hinsicht fernen Berlin lässt sich natürlich leicht reden, wenn es um die alltägliche Versorgung von Kranken und Alten geht. Aber immerhin übt der FDP-Politiker dann doch noch etwas Selbstkritik. „Im Nachhinein betrachtet hätte die einrichtungsbezogene Impfpflicht spätestens im Herbst ausgesetzt werden sollen“, räumt Ullmann ein.

Tino Sorge (CDU) bezeichnete die sektorale Impfpflicht für die davon betroffenen Einrichtungen hingegen als „Rohrkrepierer mit Ansage“. Die oben ausgeführten Zahlen bezeichnete Sorge als „entlarvend“, da sie zeigten, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht in weiten Teilen Deutschlands „faktisch nie in Kraft“ gewesen sei. Besonders bedauerlich sei diese unterschiedliche Handhabung des Gesetzes mit Blick auf die Beschäftigten, denen ihre Arbeit tatsächlich untersagt worden ist. Spätestens mit dem Auftreten der Omikron-Variante und der „hohen Grundimmunität“ in der Bevölkerung hätte die sektorale Impfpflicht ausgesetzt werden müssen, so der Gesundheitsexperte der Union. Aber auch Tino Sorge hatte am 10. Dezember 2021 für die Einführung der sektoralen Impfpflicht gestimmt.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz gehörte schon früh zu den Gegnern dieser Maßnahme. Vorstand Eugen Brysch kritisierte die „sieben Monate andauernde Farce“, die mit einem „bundesweit geltenden, täglichen Testregime“ leicht hätte vermieden werden können. Von Anfang an sei klar gewesen, dass die Erwartungen der Befürworter der Impfpflicht nicht zu erfüllen sein würden, so Brysch. „Denn auch Geimpfte geben das Virus weiter. Für alte, kranke und pflegebedürftige Menschen bleibt somit das Risiko der Ansteckung, des Leidens und Sterbens“, so das Schlusswort des Patientenschützers, dem wohl nichts mehr hinzuzufügen ist.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

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