Sieben Lehren aus der Wahl in den Niederlanden für uns Eine Volkspartei der rechten Mitte muss sich vom linksgrünen Kurs verabschieden

Ein Gastbeitrag von Philipp Lengsfeld und Vera Lengsfeld

Die nächsten großen Wahlen in Deutschland werden die Wahlen zum Europäischen Parlament am 9. Juni 2024 sein – das ist noch über sechs Monate hin. Es wird eine Schicksalswahl für den weiteren Kurs in Europa und Deutschland.

Ein Blick auf die Wahlen in den Niederlanden schärft den Blick für das, was hier noch möglich und damit nötig ist: Sechs Monate sind in Umbruchszeiten eine halbe Ewigkeit:

Hier einige strategisch-taktische Lehren:

  • Es ist noch genug Zeit in Deutschland, ein neues Angebot für Europa aufzustellen;
  • Nicht nur in Deutschland ist geistige Trägheit und die Unfähigkeit zur zeitnahen Entscheidung ein echter Hemmschuh;
  • Populistische Klientelrhetorik ist erfolgreich, aber hat klare Grenzen und schädigt die Mehrheitsfähigkeit;
  • Linksgrün ist eine Minderheit von 15% der Wählerinnen und Wähler;
  • Es gibt liberal-konservative Mehrheiten in den westlichen Demokratien, die gezogen werden können und müssen.

Kurzum, es gibt keine Ausreden!

Auch drei Monate sind eine Ewigkeit

Pieter Omtzigt hat mit seiner erst wenige Monate alten Neugründung Nieuw Sociaal Contract (NSC, Neuer Gesellschaftsvertrag) mit liberal-konservativen Ansatz aus dem Stand fast 13% der Stimmen geholt. Das Markenzeichen des Politikers, der ursprünglich aus der VVD des Premiers Mark Rutte stammt (praktisch das holländische CDU-Pendant), ist die Reform der Verwaltung und die Stärkung des Parlaments gegenüber der Regierung.

Lehre #1: Es ist erst zu spät, wenn der Schiedsrichter pfeift:

Eine Trennung von einer konservativen Volkspartei kann sehr erfolgreich sein, auch noch ganz kurz vor der Wahl. Entscheidend ist, ob den Wählerinnen und Wählern ein strategisch und personell überzeugendes Angebot gemacht wird – wir sollten jegliche Statements, die in Deutschland behaupten für eine erfolgreiche Aufstellung für Europa im Juni 2024 sei es jetzt schon praktisch zu spät als das bezeichnen, was sie sind: Falsch und destruktiv.

Geistige Trägheit ist eine Sünde

Und das ist wiederum deutlich: Zwar war die last minute Kampagne von Pieter Omtzigt und der NSC möglich und erfolgreich, aber es war wohl deutlich mehr als Platz 4 erreichbar – sein langes Zögern hat Pieter Omtzigt wohl einen noch viel größeren Wahlsieg gekostet.

Lehre #2: Geistige Trägheit und Angst vor dem Springen hilft nur dem politischen Gegner. Wenn eine Analyse richtig ist, gilt es zu handeln und nicht noch mal ewig und drei Tage abzuwarten. Leute, die behaupten, es müsste mit dem gesellschaftlichen Aufbruch noch auf irgendwen oder irgendwas gewartet werden liegen falsch und spielen bewusst oder unbewusst das Spiel des politischen Establishments.

Klarer Kurs wird langfristig honoriert

Die Wahl gewonnen hat Geert Wilders. Sein konsequenter Kurs gegen die völlig verkorkste europäische und auch holländische Migrationspolitik hat sich schlussendlich ausgezahlt. Und das trotz heftigster Gegenwehr des politischen Establishments.

Lehre #3: Die Wählerinnen und Wähler honorieren einen konsequenten und problembezogenen Kurs. Und kein politisches Establishment kann es sich leisten, auf Dauer Problemkreise zu tabuisieren und politische Gegner durch Stigmatisierung klein halten zu wollen.

Populismus und gesellschaftliche Spaltung kostet Mehrheitsfähigkeit

Wahlsieger Geert Wilders hat ein großes Problem mit seiner populistischen Positionierung. Geert Wilders hat nicht nur völlig zu Recht die linkswestliche Migrationspolitik angeprangert, sondern hat diese Botschaft mit harter, pauschaler Islamkritik verbunden. War dies vielleicht im Schützengraben der Stigmatisierung verständlich oder nachvollziehbar (und eine populistische Zuspitzung ist letztlich einfacher zu kommunizieren), so kurzsichtig war dies im Blick auf die Regierungsverantwortung – weder Holland noch irgendein anderes westliches Land kann sich ein pauschales Ablehnen des Islam oder gar der mit muslimischen Hintergrund aus diversen Ländern und Weltteilen eingewanderten Menschen leisten. Und dies ist auch mit einem freiheitlich-demokratischen Gesellschafts- und Menschenbild nicht vereinbar. Es wird für Wilders und die PVV nicht einfach werden hier eine demokratisch überzeugende Kurve zu bekommen.

Lehre #4: Jeder Demokrat muss zu jedem Zeitpunkt immer so agieren, als ob er oder sie am nächsten Tag die Verantwortung für das Land tragen muss – denn das kann mittlerweile sofort passieren. Populistische Zuspitzung, Stigmatisierung und Spaltung der Gesellschaft ist dabei nichts, was in einer freien, demokratischen Gesellschaft mehrheitsfähig macht. Eine Entscheidung, die jeder politische Akteur für sich immer und immer wieder fällen muss, egal wie massiv und unfair die Angriffe von Seiten des Establishments sind.

Linksgrün ist eine klare gesellschaftliche Minderheit

Frans Timmermans, der EU-Kommissar, der die Hauptverantwortung für den grün-linken Kurs der EU der jüngeren Vergangenheit trägt hat mit einem Bündnis aus grünen und sozialdemokratischen Kräften, das konsequent auch „Grünlinks“ im Namen trägt (GL-PvdA) mit 15.5% einen respektablen zweiten Platz errungen. Ähnlich wie bei Wilders goutiert hier das Kernklientel wohl auch die ideologische Klarheit.

Lehre #5: Die linksgrünen Kräfte, die die letzten Jahrzehnte Europa dominiert haben, sind eine Minderheit von 15% der Wählerstimmen. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Damit muss man umgehen, aber damit muss man eben auch umgehen, siehe Lehre 6 und 7.

Volksparteien der demokratischen Mitte müssen von Linksgrün-Kurs runter

Mark Rutte muss man sich wohl als eine Art holländische Angela Merkel vorstellen, nur mit weniger Fortune und weniger Gespür für den richtigen Moment des Abgangs. Seine VVD erlitt knapp 7 Prozentpunkte Verluste und liegt mit 15.1% zwar vor der NSC ist aber als Partei des amtierenden Regierungschefs und seiner Regierungskoalition der glasklare Wahlverlierer.

Lehre #6: Eine Volkspartei der rechten Mitte muss sich vom linksgrünen Kurs verabschieden. Offenbar muss es solche Partei aber erst durch ein Tal der Tränen gehen, bis die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Oder geht es auch anders? Es bleibt abzuwarten, was Merz/Linnemann/Söder aus dem Einbruch der VVD für Schlussfolgerungen ziehen. Auch hier ist es wohl noch nicht zu spät, siehe Lehre #7.

Es gibt eine gesellschaftliche und parlamentarische Mehrheit für die Zeitenwende

Lehre #7: Es gibt eine komfortable nicht-linke Mehrheit in den westeuropäischen Demokratien: PVV, VVD und NSC kommen zusammen auf eine klare Mehrheit im Parlament (>51%). Es wird in den Niederlanden keinerlei Rechtfertigung mehr für linksgrüne Politik a la Timmermans geben (außer in den Fällen, wo sie sachlich gut begründet und gerechtfertigt ist). Es sollte nie vergessen werden, dass es das Scheitern genau dieser Politik war, die uns an den Punkt gebracht hat, wo wir jetzt stehen.

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Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Sie betreibt einen Blog, den ich sehr empfehle. Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.vera-lengsfeld.de.

Philipp Lengsfeld war Mitglied der CDU und von 2013 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags.

Bild: Screenshot Youtube-Video Moritz Neumeier

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