Sehen Sie hier mein Video von der heutigen Bundespressekonferenz; in voller Länge sehen Sie die Veranstaltung hier.
Manche Dinge sind so ungeheuerlich, dass sie einem gar nicht sofort auffallen. Und offenbar geht es vielen so. „Ungeimpft in Quarantäne: Ab September keine Entschädigung mehr“ – unter diesem Titel schrieb Alexander Wallasch hier vor einigen Tage darüber, dass in Baden-Württemberg Ungeimpfte keine Lohnfortzahlung mehr bekommen, wenn sie in Hausarrest (neudeutsch „in Absonderung“) müssen, weil sie Kontakt zu einem positiv Getesteten hatten. Ein unglaublicher Vorgang. Bei mir läuteten zwar die Alarmglocken – aber nicht so laut, wie sie es hätten tun müssen. Weil ich eben dachte, es handele sich um einen der heute weit verbreiteten regionalen Ausbrüche von regierungsamtlichem Irrsinn.
Nun wurde auf der heutigen Bundespressekonferenz klar: Diese Regelung steht bereits im Gesetz, sie kann damit bundesweit angewandt werden. Mit anderen Worten: Wer sich nicht impfen lässt, spielt faktisch russisches Roulette mit seiner Existenz. Denn viele Menschen können es sich nicht leisten, faktisch auf einen halben Monatslohn zu verzichten. Aber genau das droht ihnen – ohne das geringste eigene Verschulden. Sie müssen nur einmal dem Falschen über den Weg gelaufen sein – jemandem, der später positiv getestet wurde.
Ich tue mich schwer, passende Worte für so eine Regelung zu finden. Erpressung und Nötigung mögen es juristisch nicht treffen – von der Sachlage her aber sehr wohl. Bleibt nur zu hoffen, dass ich die Aussagen der Regierung falsch interpretiere. Obwohl ich sie mir mehrfach angehört und durchgelesen habe. Unten finden Sie die Passage im Wortlaut.
Bezeichnend für den Umgang der Regierung mit ihrem Arbeitgeber, den Bürgern, ist auch die Antwort von Jens Spahns Sprecher Hanno Kautz auf meine folgende Frage (oder genauer gesagt – die Verweigerung einer Antwort): „Impfungen werden auf Kosten der Allgemeinheit finanziert. Tests sollen selbst bezahlt werden. In beiden Fällen geht es um Gesundheitsschutz. Wie begründen Sie diese unterschiedliche Herangehensweise?“
Darauf Kautz: „Ich glaube, dazu hat sich der Minister hinlänglich geäußert. Darauf kann man sich beziehen.“
Das ist an Zynismus nur schwer zu überbieten. Mit dieser Herangehensweise kann sich die Regierung um jegliche Auskunft drücken. Aber sie kommt durch damit – es hakt auch kein Kollege nach. Aber so eine Bemerkung ist vielleicht schon bald verboten – sie könnte als „unsachlich“ eingestuft werden, und es gibt Pläne, Sachlichkeit zur Bedingung für die Mitgliedschaft in der Bundespressekonferenz zu machen (die Frage ist dann: Wer ist Richter darüber, was sachlich ist und was nicht? Und gilt Meinungs- und Pressefreiheit nicht mehr für Polemik und emotionale Berichte?).
Aber nun der Wortwechsel zur Lohnfortzahlung (ansehen können Sie ihn in meinem Video hier):
FRAGE (zur COVID-19-Pandemie): Meine Frage geht an das Gesundheitsministerium. Es geht um die Pläne verschiedener Länder, die Lohnfortzahlung im Quarantänefall nach dem Infektionsschutzgesetz für Ungeimpfte einzustellen. Wie steht Ihr Haus dazu? Ist das nicht eine Einführung der Impfpflicht durch die Hintertür?
KAUTZ: Zunächst einmal geht es nicht um Lohnfortzahlung, sondern es geht um Lohnentschädigung für Kontaktpersonen, die in Quarantäne müssen. Dazu gibt es eine Regelung in § 56 des Infektionsschutzgesetzes. Es ist also schon bestehendes Recht, dass der Anspruch auf Lohnentschädigung nicht besteht, wenn man „durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung […], die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, […] eine Absonderung hätte vermeiden können.“
Das heißt, wer nicht geimpft ist und in Quarantäne muss, hat keinen Anspruch auf diese Lohnersatzleistungen. Der Minister hat sich dazu am Mittwoch dieser Woche geäußert und gesagt, ich übersetze das einmal, es sei, wenn es eine Impfung gibt, die allgemein zugänglich ist, unfair gegenüber der Gemeinschaft, die dann dafür aufkommen muss, wenn Leute Lohnersatzleistungen bekommen, wenn sie in Quarantäne gehen.
FRAGE: Das ist vielleicht keine Impfpflicht, aber ist es nicht eine Impfauskunftspflicht durch die Hintertür, da ja dann offengelegt werden muss, ob Mitarbeiterinnen geimpft sind oder nicht?
KAUTZ: Nein. Wer jetzt in Quarantäne geht, der ist nicht geimpft, es sei denn, er kommt aus einem Virusvariantengebiet zurück.
FRAGE: Es können doch auch Geimpfte infiziert sein, die dann in Quarantäne müssen.
KAUTZ: Ja, aber dann ist man im Bereich der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Wenn sie infiziert sind, dann sind sie krank. Dann bleiben sie zu Hause, und dann bekommen sie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Deswegen würde ich das gerne davon unterscheiden. Das, was auch teilweise im politischen Raum behauptet wurde, ist einfach falsch. Es ist keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, um die es hier geht, sondern es geht um eine Lohnentschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz.
Besonders interessant: Die entsprechende Änderung im Infektionsschutzgesetz erfolgte offenbar schon am 1. März 2020 – als die offizielle Haltung von Regierung und Medien noch eher dahin tendierte, dass Corona eine Grippe sei. Auch an ein größeres öffentliches Interesse an der Änderung kann ich mich nicht erinnern. Offenbar wurde die Regelung bisher einfach kaum angewandt – und erst jetzt ist das beabsichtigt. Bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass es sich um einen Recherchefehler meinerseits handelt und das Datum der Änderung doch ein anderes war…
Bild: Ekaterina Quehl/RTL
Text: br