Von Kai Rebmann
Helle Aufregung im Erfurter Landtag! Am späten Donnerstagabend hat die CDU den Antrag „Gendern? Nein danke“ gestellt. Inhalt des Papiers: Die Union fordert, dass in Schulen und Behörden sowie im Landtag und in allen Verlautbarungen der Landesregierung künftig auf das Gendern verzichtet werden soll. Wie nicht anders zu erwarten, fand der Antrag unter anderem die Unterstützung der AfD. Da sich auch dem die vier Abgeordneten der BfTh (Bürger für Thüringen) der Forderung anschlossen und die FDP nicht an der Abstimmung teilnahm, hatte die links-grüne Minderheitsregierung von Bodo Ramelow (Linke) mit 36:38 das Nachsehen. Und da sich auch Angela Merkel nicht zu Wort gemeldet und gefordert hat, dass das Votum rückgängig gemacht werden muss – zumindest bis jetzt nicht – soll in den oben genannten Einrichtungen auf die Verhunzung der deutschen Sprache verzichtet werden.
Die Betonung liegt dabei auf dem Wort „soll“. Denn der CDU-Antrag ist aus formaler Sicht lediglich ein „Appell“, weshalb er keinen rechtlich bindenden Charakter hat. Umso weniger ist es nachvollziehbar, dass dieser Akt, der eigentlich ein Musterbeispiel für eine lebendige Demokratie ist, jetzt von der grünlinken Blase zum Skandal hochgeschaukelt wird. Und natürlich darf auch das inzwischen gewohnte Framing einiger Medien nicht fehlen. So berichtet etwa der „Focus“ von einer „umstrittenen Abstimmung“. Was genau aber daran verwerflich sein soll, wenn CDU und AfD zu einem bestimmten Punkt dieselbe Meinung vertreten, erfährt der Leser nicht. In der „Welt“ wird versucht, die Sache vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Gemengelage in Thüringen einzuordnen. Mit Verweis auf die undankbare Rolle, die der CDU dort derzeit zugedacht ist, schreibt das Springer-Blatt, dass die Union in Thüringen laut Umfragen „hinter Linken und AfD“ nur auf Platz 3 liege. Dabei ist es natürlich genau umgekehrt. Schon seit Monaten liegt die AfD sowohl bei INSA als auch Infratest dimap vor den Linken – und vor der CDU sowieso.
Weite Teile der Bevölkerung lehnt das Gendern ab
Und so beruft sich Mario Voigt, Chef der CDU-Fraktion in Erfurt, auch auf die von ihm wahrgenommene Stimmungslage in der Bevölkerung: „Thüringer sind freiheitsliebend und direkt.“ Deshalb sei ihnen ein bewusster Umgang mit der deutschen Sprache wichtig. „Eine mit Steuergeld finanzierte Gendersprache lehnen wir in öffentlichen Einrichtungen ab. Wir dürfen die Lebensrealität der Menschen im Land nicht aus den Augen verlieren und ihnen von oben herab eine Sprache aufdiktieren, die die allermeisten nachweislich gar nicht wollen“, verteidigt Voigt den Antrag der CDU. Andernfalls bestehe die Gefahr, „dass Regierung und Volk nicht dieselbe Sprache sprechen.“ Ute Bergner von der BfTh-Gruppierung bezeichnete das Gendern als „unsinnig“ und sieht darin eine „Unkultur“.
Die Fraktionen der Minderheitsregierung taten sich auch nach der Abstimmung noch schwer, das knappe Votum zu akzeptieren. Laura Wahl von den Grünen kartete nach und bezeichnete es als „Kardinalfehler“, dass die CDU denke, sie könne Wähler zurückgewinnen, indem sie Positionen der AfD übernehme. Christian Schaft (Linke) sieht die Union gar einen „rechten Kulturkampf“ betreiben, wie man ihn ansonsten nur von der AfD kenne. Mit anderen Worten: Sobald die CDU in Erfurt einmal nicht auf Linie mit den Regierungsfraktionen und ihrem unter äußerst fragwürdigen Umständen ins Amt gespülten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ist, paktiert sie in den Augen von Linksgrün mit der AfD. Wohlgemerkt, die ganze Aufregung entzündet sich an einem Antrag, in dem es „nur“ um einen Appell ging, in öffentlichen Einrichtungen künftig auf das Gendern zu verzichten. Man sollte doch davon ausgehen, dass es in Thüringen auch noch weitaus wichtigere Themen gibt.
Wann erwacht die CDU aus ihrem Dornröschenschlaf?
Auf den zweiten Blick betrachtet, haben Linke und Grüne aber natürlich allen Grund zur Sorge, wenn es zu einer wie auch immer gearteten Annäherung zwischen CDU und AfD kommt, wenn auch nur in Mini-Schritten und bei vermeintlich zweitrangigen Fragen. Denn: Bürgerliche Mehrheiten – oder das, was man vor der Jahrtausendwende noch darunter verstanden hat – sind im „besten Deutschland aller Zeiten“ aktuell nicht vorstellbar. Die CDU hat sich unter Angela Merkel ihres Markenkerns entledigt und ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Eine Zusammenarbeit mit der AfD gilt trotz überwältigender demokratischer Legitimation der Alternativen in fast allen deutschen Landesparlamenten (einzige Ausnahme: Schleswig-Holstein) nach wie vor als Teufelswerk. Und über die FDP, die seit ihrem Beitritt zur Ampel-Koalition auf einem beispiellosen Trip der Selbstzerstörung unterwegs ist, reden wir an dieser Stelle lieber gar nicht erst.
Von dieser Seite droht den rot-grün-linken Kapitänen des bundesdeutschen Narrenschiffs also keine Gefahr. Die CDU ist inzwischen schon froh – ja, fast dankbar – wenn sie bei der Durchsetzung sozialistischer Politik als Erfüllungsgehilfe dienen darf. Sei es als Steigbügelhalter für die linksgrüne Minderheitsregierung in Thüringen oder als devoter Juniorpartner von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in Baden-Württemberg. Lieber schlecht regieren als gute und ehrliche Oppositionsarbeit zu leisten, scheint das Motto der Christdemokraten zu sein.
Und auch alle Hoffnungen darauf, dass mit Friedrich Merz die Wende zurück zum Konservativen erfolgen würde, haben sich inzwischen zerschlagen. Stattdessen beschreibt der CDU-Chef sein Demokratieverständnis so: „Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“ Merz spricht dabei gerne und politisch auch völlig korrekt von der von ihm errichteten und geschützten „Brandmauer gegen die AfD“.
Dumm nur, wenn man vor lauter Anbiederung an den woken Zeitgeist die eigenen Werte über Bord wirft und man darüber ganz verlernt hat, Umfragen und Wahlergebnisse zu interpretieren – und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Spekulationen über schwarz-gelbe Bündnisse erscheinen mehr als nur utopisch. Anders sieht es bei der „Bahamas-Koalition“ aus, also einer aus den Fraktionen der Union, AfD und FDP bestehenden Regierungsmehrheit. Solche Bündnisse erscheinen in zahlreichen deutschen Parlamenten schon heute realistisch. Und auch die inhaltlichen Schnittmengen wären zumindest in einigen Fällen wohl deutlich höher als in einigen vor lauter Verzweiflung über die AfD hektisch zusammengezimmerten Koalitionen.
Das Trauerspiel, das die aktuelle Bundesregierung seit knapp einem Jahr veranstaltet, zeigt überdeutlich, wohin es führt, wenn man grünlinke Ideologen sich selbst überlässt. Einen Ausweg aus dieser selbstzerstörerischen Politik könnte dabei der Blick über die Landesgrenzen aufzeigen. Sowohl in Österreich (FPÖ) als auch in der Schweiz (SVP) waren bzw. sind konservative Parteien in Regierungsverantwortung, deren Profil jenem der AfD in vielen Punkten nicht ganz unähnlich ist. Natürlich muss man die Positionen der AfD nicht immer und überall teilen. Bestimmte Positionen aber alleine deshalb abzulehnen, weil sie (auch) von der AfD vertreten werden oder vielleicht sogar von dieser entwickelt wurden, sollte sich in einer gesunden Demokratie aber ebenso verbieten.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: Screenshot YouTube Bundesministerium für Wirtschaft und KlimaschutzMehr von Kai Rebmann auf reitschuster.de