Ein Gastbeitrag von Dr. A. Weber
Bei der Diskussion rund um Corona und Impfen begegnen uns in letzter Zeit sich widersprechende Aussagen, die ich nun in diesem Beitrag einer Datenanalyse unterziehen will. Diese lauten:
– „Corona ist ein Killervirus“ vs. „Es gab 2020 nicht mal eine Übersterblichkeit“
– „Impfung nützt“ vs. „schadet (seit Beginn der Impfkampagne herrscht Übersterblichkeit)“
Was stimmt nun?
Ob man nun Impfgegner oder -befürworter ist, Corona-Maßnahmen-Anhänger oder -Kritiker: Man sollte immer die Daten zu Rate ziehen.
Frage 1: Gab es eine Übersterblichkeit? Ist Corona ein Killervirus?
Zusammenfassung: Ja, gab es. Aber Corona ist kein außerordentliches Killervirus. Wie man das sieht und warum es so oft falsch interpretiert wird, lesen Sie hier:
Vorbemerkung: Gesamtsterbedaten verlässlichste Datenquelle / demographische Entwicklung berücksichtigen
Wie in den letzten Beiträgen, schaue ich auf die Gesamtsterbedaten, da man hier wenig Interpretationsspielraum hat. (Das ist z.B. bei Infektionszahlen oder der Zahl der Coronatoten anders. Was heißt überhaupt „infiziert“? Wie ist es definiert? Wie unterscheidet man, ob jemand MIT oder AN Corona gestorben ist? Dagegen sind sich alle einig, wenn jemand wirklich tot ist.)
Bei der Analyse der Sterbedaten berücksichtigen wir außerdem die demographische Entwicklung und die immer längere Lebenserwartung.
Sehen wir in den Daten dann, dass viel mehr Menschen als üblich sterben, herrscht große Übersterblichkeit, so gibt es also einen Grund zur Sorge. Wie sieht es nun bei uns aus?
Was die Zahlen zeigen: Starke Krankheitswellen sind keine Ausnahme
Schaut man sich die Sterbedaten der vergangenen Jahre an, so fällt auf, dass starke Perioden der Übersterblichkeit (die den Grippewellen entsprechen) keine Ausnahme sind. Ungefähr alle zwei Jahre gibt es eine starke Welle. Manchmal bleibt sie aus, manchmal kommen zwei starke Wellen hintereinander.
Schauen wir uns nun die wöchentlichen Gesamtsterbezahlen (in blau) an und vergleichen diese mit den Sterbezahlen, die wir ohne Grippe oder Corona erwarten würden (Grundlinie, in grau, diese wurde aus der Regression an die milden Jahre 2016 und 2019 abgeleitet). Die Sterbedaten der Jahre 2016–2020 haben wir an die Bevölkerungsstruktur von 2021 angepasst:
Überall, wo die blaue Linie stark über der grauen liegt, gibt es eine Periode der Übersterblichkeit. Das ist Ende 2016 / Anfang 2017 (Grippewelle) der Fall gewesen, außerdem Anfang 2018 (Grippewelle), Mitte 2018 (Hitzewelle), Anfang 2019 (Grippewelle), Anfang 2020 (erste Coronawelle), Mitte 2020 (Hitzewelle), Ende 2020 bis Anfang 2021 (zweite Coronawelle), KW 15–20 in 2021 (dritte Coronawelle) und ab KW 41 in 2021 (vierte Coronawelle).
Jetzt zur Kernfrage: Gab es 2020 und 2021 eine Übersterblichkeit?
Im Bild oben sieht man, dass es in 2020 und 2021 mehrere Übersterblichkeitsperioden gab. Wie sieht es mit den Jahreswerten aus, starben insgesamt mehr, als laut der Grundlinie hätten sterben sollen?
Die Antwort ist ja, denn die blaue Linie liegt insgesamt deutlich über der grauen Linie.
Ansich gibt es jedes Jahr „etwas“ Übersterblichkeit, weil jedes Jahr etwas „on Top“ kommt, wie Grippewellen, Hitzewellen, Flutkatastrophen oder eben Corona.
Unsere graue Linie repräsentiert ja den Idealfall, dass kein außergewöhnliches Ereignis eintritt. Es tritt jedoch in der Regel immer etwas ein.
Daher: Ja, 2020 und auch 2021 gab es jeweils eine Jahres-Übersterblichkeit: allerdings war diese absolut vergleichbar mit den Jahresübersterblichkeiten der vergangenen Grippejahre.
2020 starben in den ersten 52 Wochen ca. 3,4 % (ca. 33.000 Menschen) zu viel. 2021 sind es ca. 5,5 % (ca. 53.000 Menschen) gewesen. Im Vergleich dazu starben im Grippejahr 2018 ca. 3,7 % zu viel. Selbst in den milden Jahren 2016 und 2019 starben ca. 1% zu viel:
Also: Soweit ist Corona im Vergleich kein außerordentliches Killervirus. Tatsächlich war die Übersterblichkeit 2020 genau in diesem Ausmaß zu erwarten gewesen: Alle 2 Jahre ca. gibt es Wellen mit ähnlichen Sterbezahlen, Corona macht hier keine besondere Ausnahme und hat eben die Grippewelle ersetzt.
Jedoch hätte 2021 wieder mild sein sollen, es herrscht aber dennoch Übersterblichkeit (analog zu 2017/2018 im Ein-Jahres-Abstand).
Übersterblichkeit – eine Interpretationssache?
Warum hört man dann oft, in 2020 hätte es keine Übersterblichkeit gegeben? Schaut man sich die graue Linie genau an, so fällt auf, dass sie leicht nach unten geht. Das entspricht der immer längeren Lebenserwartung der Bevölkerung. Oft wird dieser Effekt ignoriert. Zudem werden die Grippejahre 2017/2018 oft in die Grundlinie aufgenommen. Das führt insgesamt dazu, dass die Grundlinie zu hoch geschätzt wird. Welchen Effekt hat diese alternative Schätzung? Ist die Grundlinie, also unser Bezugspunkt zu hoch, „sieht“ man zu Beginn 2020 eine massive Untersterblichkeit, die bis zur zweiten Coronawelle anhält. In der zweiten Coronawelle wird dann diese akkumulierte Untersterblichkeit durch die Übersterblichkeit kompensiert, so dass insgesamt keine nennenswerte Übersterblichkeit bei der Jahresbetrachtung übrigbleibt.
Insgesamt hängt die Übersterblichkeit also mit der Wahl des Bezugspunktes zusammen. Ich denke, dass sich als Bezugspunkt das reguläre Sterbegeschehen, ohne Hinzunahme unregelmäßiger Ereignisse wie Grippewellen, am besten eignet. Die Übersterblichkeit von 0 entspricht dann einem absolut milden Jahr und die Übersterblichkeit ist damit ein direktes Maß für das, was zusätzlich hinzukommt.
Ist die Grundlinie dagegen zu hoch, so entspricht eine Untersterblichkeit einem milden Jahr, und die Grippejahre haben je nach Stärke dann entsprechend weniger Untersterblichkeit, was insgesamt verwirrend erscheint.
Die Aussage, es hätte keine Übersterblichkeit gegeben, ist also mit großer Vorsicht zu genießen. Nach meiner Interpretation gab es eine deutliche Übersterblichkeit – vergleichbar zu starken Grippewellen.
Um Fehleinschätzungen zu vermeiden: Übersterblichkeit je Krankheitswelle vergleichen
Statt sich die Jahreswerte anzuschauen, ist es besser, Übersterblichkeit in den einzelnen Krankheitswellen auszurechnen. Denn eine Welle kann sich ja auf zwei Kalenderjahre verteilen (wenn sie zwischen den Jahren liegt), wie die zweite Coronawelle und die Grippewelle in 2017.
Bei dieser Betrachtung zeigt sich, dass die zweite Coronawelle (mit ca. 56.000 zusätzlichen Toten) stärker als die Grippewellen 2017 und 2018 war (mit jeweils ca. 40.000 zusätzlichen Toten), jedoch vergleichbar mit Grippewellen in 2013 und 2015 (ca. 50.000 zusätzliche Tote):
Übersterblichkeit in Schweden? Was die Daten zeigen
Oft hört man dann im gleichen Zuge, dass es neben Deutschland auch in Schweden keine Übersterblichkeit gab. Das ist so auch nicht richtig. Denn auch hier muss man den Referenzpunkt richtig legen. Schweden hat es 2020 schlimmer erwischt als Deutschland – die erste Welle war dort viel stärker. Jedoch sollten sich Maßnahmen-Befürworter nicht zu früh freuen, denn die zweiten Wellen waren danach absolut vergleichbar (auch vom zeitlichen Verlauf), so dass der propagierte positive Lockdown-Effekt für Deutschland nicht sichtbar ist. Auch ist die Coronawelle drei und vier (in 2021) in Schweden soweit ausgeblieben.
Um den Verlauf in Deutschland und Schweden besser miteinander vergleichen zu können, haben wir die Skalierung der Achsen (Deutschland links, Schweden rechts) so vorgenommen, dass die Sterbezahlen in den ersten 10 Wochen von 2020 übereinstimmen. Hier sieht man ganz deutlich den Sterbeverlauf in den verschiedenen Wellen.
Corona kein Killervirus – aber dennoch keineswegs harmlos, wie wir in den USA sehen
Bei Vergleichen mit den vergangenen Grippewellen könnte man meinen, Corona wäre ganz harmlos. Ähnliches hatten wir ja oft schon mal gehabt. Ein Gegenbeispiel sind die USA. Wieder wählen wir die Achsen so (D links, USA rechts), dass die Sterbezahlen Anfang 2020 übereinstimmen und der Verlauf vergleichbar wird:
Während in Deutschland und Schweden zwischen den Wellen das Sterbegeschehen „normal“ ist und es in der Mitte fast keine Coronatoten gibt, sind in den USA die Sterbezahlen auch zwischen den Wellen stark erhöht. Verglichen mit der vergleichsweisen starken Übersterblichkeit in 2020 bzw. 2021 in Deutschland ist die Übersterblichkeit in den USA nochmals um ca. Faktor 4 bzw. 2,5 höher. Das ist tatsächlich ein außergewöhnliches Ereignis. (Liegt es an der hohen Zahl Übergewichtiger? Oder fehlenden Krankenversicherungen / unterschiedlicher Versorgung?)
Deutschland, Schweden und USA, AG 15–64 im Vergleich
Corona trifft hauptsächlich die Altersgruppe 80+ tödlich. Schauen wir uns die jüngere Altersgruppe 15–64 an. Um die Sterbekurven von Deutschland, Schweden und USA miteinander vergleichen zu können, skalieren wir die Sterbezahlen von Schweden und USA auf Deutschland um (KW 1–10, 2020):
Die Sterbezahlen wurden im Bild leicht geglättet, um Rauschen zu reduzieren. Während in Deutschland und Schweden die Coronawellen relativ klein ausfallen, ist das Sterbegeschehen in den USA wieder mal außergewöhnlich. Vor allem scheinen die Coronawellen nicht abzuebben. Die Übersterblichkeit verbleibt auch zwischen den Wellen auf hohem Niveau. Seit Beginn der Corona-Pandemie sind die Sterbezahlen im Jahr 2020 um 20 % und 2021 um 25 % höher. In der vierten Welle sind sie auf dem Höhepunkt sogar um ca. 60 % höher, als man es ohne Corona erwartet hätte.
Zu Frage 2: Nützt oder schadet die Impfung? Ist sie an allem schuld?
Oft hört man, seit Beginn der Impfkampagne herrsche Übersterblichkeit. Das ist so nicht richtig. Ein Blick auf die Sterbedaten zeigt, dass die Übersterblichkeitswelle einige Wochen vor (!) der Impfkampagne (in Deutschland KW 53 in 2020) zu wachsen begann. Vor allem in den USA sieht man, dass die massive Übersterblichkeit in der AG 15–64 nicht ursächlich komplett auf die Impfung zurückzuführen ist. Auch hier ist die Sterblichkeit bereits seit KW 15 in 2020 stark erhöht.
Ist die Impfung also sicher?
Wie jeder medizinische Eingriff ist die Impfung mit Vor- und Nachteilen verbunden. Man sieht z.B. ganz deutlich, dass die dritte Welle für die AG 80+ fast komplett ausfällt, während sie für die jüngeren AG ganz deutlich sichtbar ist. Das spricht eher dafür, dass die als erste durchgeimpfte AG 80+ von der Impfung profitiert hat. Eine Auffälligkeit bleibt jedoch. Schauen wir uns die Periode nach der starken Grippe/Coronawelle an:
In 2017 und 2018 herrscht Untersterblichkeit. Warum? Weil viele Schwache in der Grippewelle einige Wochen zuvor schon vorzeitig gestorben sind. Ein ähnliches Bild würde man nach der viel stärkeren zweiten Coronawelle erwarten. Hier herrscht jedoch keine Untersterblichkeit.
Was heißt das? Es gibt einen rätselhaften Effekt, der hier zu zusätzlichen Sterbezahlen führt.
Meine Analyse zeigt, dass hier durchgehend in allen Altersgruppen die Sterbezahlen um ca. 6 % erhöht sind. Infrage kommt der negative Maßnahmeneffekt (abgesagte OPs und Voruntersuchungen, Depressionen, Maskenzwang etc.) und eben ein potentieller negativer Impfeffekt.
Eine rätselhafte Übersterblichkeit bleibt: Versteckte Corona- oder Impftote?
Wir zählen die Zahl der Coronatoten zu der Grundlinie dazu, um zu überprüfen, ob sie die rätselhafte Übersterblichkeit erklären können. Wir konzentrieren uns auf die Altersgruppe 80-:
Im fraglichen Abschnitt ab KW 26 in 2021 sehen wir, dass es schlicht „zu wenige“ Coronatote gibt (die orangene Kurve liegt unter der blauen – es sterben Menschen scheinbar noch an „etwas anderem“). Kann es vielleicht sein, dass generell zu wenige Coronatote festgestellt werden?
Die Antwort ist: Eher nicht. Wir sehen nämlich, dass die erste Hälfte der zweiten Welle in 2020 (KW 41–50) recht gut erklärt wird. Jedoch gibt es in der zweiten Hälfte wohl „zu viele“ Coronatote. Zwischen Welle 2 und 3 um KW 10 in 2021 sollte es fast gar keine echten AN Corona Gestorbenen geben, hier entspricht das Sterbegeschehen dem Erwartungswert. Dennoch wurden viele Coronatote gemeldet. Wie kann man sich das erklären? Es kann sein, dass in der Coronawelle so viele Schwache starben, so dass unser Erwartungswert (grau) für die Zeit danach dadurch nach unten modifiziert sein sollte. Der sollte dann aber auch im weiteren Verlauf von 2021 viel niedriger sein (es sollte ja Untersterblichkeit herrschen), so dass die rätselhafte Übersterblichkeit in Wirklichkeit noch stärker ist. Im fraglichen Abschnitt ab KW 26 reichen die Coronatoten also nicht aus, um die Übersterblichkeit zu erklären. (In KW 28 2021 sieht man übrigens die Flutkatastrophe, diesen kleinen Berg muss man in der Analyse herausnehmen).
Die Abschätzung zeigt, dass in allen AG etwa 6 % mehr Menschen pro Woche sterben. Das wird erst ab KW 26 in 2021 sichtbar (es kann auch davor schon sein, nur gibt es davor eine Überlagerung mit der Sterbekurve der Coronatoten, so dass man den Effekt nicht sieht).
Was entspricht das in Zahlen? Wie viele Menschen sterben zu viel pro Woche?
AG 80+: ca. 500 Menschen
AG 80-: ca. 400 Menschen
AG 60- ca. 95
AG 40-: ca. 15.
Fazit
In Deutschland und Schweden war 2020 kein paradoxes Wunderjahr (also angeblich ganz ohne Übersterblichkeit, dafür aber mit vielen Coronatoten). Andererseits hat Corona kein Massensterben verursacht. Vielmehr entspricht die Übersterblichkeit den üblichen starken Grippewellen, die man nach milden Jahren 2019 und Anfang 2020 auch erwarten würde. Dennoch ist die Übersterblichkeit in den USA außerordentlich stark, auch in jüngeren Altersgruppen. Ob es an falscher Behandlungstechnik liegt oder an möglicherweise vielen Fettleibigen, kann man mit Sterbedaten allein nicht beantworten.
Die Impfkampagne hat jedenfalls nicht zu einem großen Anstieg in der Übersterblichkeit geführt, den gab es schon vor der Impfkampagne. Ganz im Gegenteil, man sieht, dass die dritte Welle bei der stark durchgeimpften Altersgruppe 80+ ausgeblieben ist, jedoch in jüngeren und weniger durchgeimpften Altersgruppen vorhanden ist.
Jedoch ist keineswegs alles gut. Nach der dritten Coronawelle ist eine rätselhafte Übersterblichkeit feststellbar, die einer weiteren Untersuchung bedarf. Und die Sterbezahlen steigen wieder in der 4. Coronawelle, trotz hoher Impfquoten, in allen Altersgruppen, so dass die Impfung hier wohl nicht die versprochene Wirkung (bei Mutationen) zeigt. Unklar ist, inwiefern hier auch bereits Impfnebenwirkungen sichtbar werden.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Dr. A. Weber ist promovierter Physiker und arbeitet seit vielen Jahren als Data Scientist mit Schwerpunkt Zeitreihenanalyse und Forecasting in der Industrie.
Text: Gast
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