Gestern habe ich hier darüber berichtet, dass Karlsruhe die Merkel-Äußerungen zur Thüringen-Wahl 2020 als rechtswidrig einschätzte. Die Forderung der Kanzlerin, die Ministerpräsidenten-Wahl in dem Bundesland rückgängig zu machen, verletzte demnach die Rechte der AfD. Die meisten großen Medien verstecken die Nachricht eher dezent weiter unten auf ihrer Webseite – oder kritisierten sie, wie etwa Spiegel Online („Warum das Merkel-Urteil fragwürdig ist“).
Die Entscheidung tut niemandem weh. Nicht einmal Merkel. Die kann getrost lachen über den Spruch der Richter – sie bekommt keine Strafe, und ihr Ziel hat sie erreicht: Sie hat Wahlverlierer Bodo Ramelow von der Linken als Ministerpräsident durchgedrückt und verhindert, dass es eine Machtalternative ohne Beteiligung einer linksgrünen Partei gibt. Der Spruch aus dem Bundesverfassungsgericht, das seit der Installation des Merkel-Vertrauten Stephan Habarth an der Spitze stramm auf Regierungskurs ist, kommt schlicht zu spät und wirkt deshalb wie eine Feigenblatt-Entscheidung.
So mein gestriger Kommentar. Was nun die Bild berichtet, schlägt dem Fass aber endgültig den Boden aus. Die AfD hatte zunächst einen Eilantrag gegen Merkels Aussagen und deren Veröffentlichung auf der Internetseite der Kanzlerin gestellt. Über diesen hätte das Gericht dann schon im Sommer 2020 eine Entscheidung treffen müssen, so das Blatt: „Wenn die Regierung nicht vorher die Merkel-Ansagen zu Thüringen von den Web-Seiten der Bundesregierung gelöscht hätte. Damit entfiel die für den Eilantrag erforderliche Eilbedürftigkeit – und das Gericht hatte keinerlei Entscheidungsdruck mehr.“
Was das Blatt dann schreibt, ist ein Hammer: „Grund für die Löschung soll nach „Bild“-Informationen ein dezenter Hinweis aus den Reihen des Gerichts gewesen sein“. Das Verfassungsgericht selbst wollte einen langen Fragenkatalog der Zeitung am Mittwoch nicht beantworten.
Angesichts der Entwicklung des Karlsruher Gerichts von einer Kontrollinstanz zur Abstempel-Maschine von Regierungsentscheidungen wirkt der Bericht der Bild mehr als glaubwürdig. Wenn die Informationen tatsächlich zutreffen, ist damit ein neuer Tiefpunkt erreicht, was die Aufhebung der Gewaltenteilung und die schwindende Unabhängigkeit der Justiz unter Angela Merkel angeht – die ja schon mal die Verfassungsrichter zum trauten Abendessen ins Kanzleramt eingeladen hat, wo dann auch über laufende Verfahren gesprochen wurde.
Allein der Verdacht eines solchen „Durchstechens“ von Karlsruhe ins Kanzleramt wiegt ungeheuerlich und könnte das Grundvertrauen in die Demokratie nachhaltig erschüttern. Nach 16 Jahren Angela Merkel ist dieses aber ohnehin so gering, dass man sich kaum noch wundert. Und dass außer der „Bild“ kaum ein anderes großes Medium über den naheliegenden Verdacht berichtet oder ihm nachgeht. Mit einer funktionierenden Opposition müsste es hier eigentlich einen Untersuchungsausschuss geben. Wetten, dass es den nicht gibt? Die Missstände in Sachen Demokratie sind im „besten Deutschland aller Zeiten“ Norm, und zum „Demokratiefeind“ wird erklärt, wer auf diese Missstände hinweist.
Hier mein Video-Kommentar zu dem Thema
Bild: Shutterstock
Text: br