Union sieht Aufgabe als Opposition in Unterstützung der Regierung Tiefpunkt von parlamentarischem Diskurs und Demokratie

Im russischen und ukrainischen Parlament gab es wiederholt Schlägereien, und viele meiner Freunde dort schämten sich deswegen für ihre Abgeordneten. Mir geht es heute so beim Verfolgen der Impfdebatte im Bundestag. Intellektuell unterirdisch (bis auf wenige Ausnahmen). Geistige Offenbarungseide am parlamentarischen Fließband. Ganz wesentliche Aspekte wie etwa, dass außer Österreich kein anderes europäisches Land ernsthaft eine Impfpflicht erwägt, dass diverse Nachbarländer die Maßnahmen abschaffen oder drastisch zurückfahren – all das wurde von den Vertretern von sechs von sieben Parteien schlicht ausgeblendet. Ich halte mich für gefestigt und emotional sehr stabil. Aber gegen Ende der Impfpflicht-Debatte heute im Bundestag, die zu verfolgen ich die traurige professionelle Pflicht hatte, kamen mir – buchstäblich – die Tränen. Weil ich mir ganz, ganz große Sorgen um die Zukunft der Demokratie in Deutschland mache. (Selbst ansehen können Sie sich die Debatte hier).

Als intellektuelle Notwehr habe ich während der Debatte fleißig Texte in den sozialen Medien abgesetzt. Hier eine Zusammenfassung für Sie – die Sie sich diese Debatte vielleicht nicht angetan haben.

    • Sich impfen lassen zu können, ist ein Privileg, sagt die Grüne Kappert-Gonther in ihrer Rede für die Impfpflicht. Beim Zuhören komme ich mir vor wie in einer anderen Epoche. Einer finsteren. Gespenstisch.
    • Debatte über die Impfpflicht im Bundestag, und auf der Regierungsbank sind die meisten mit Wichtigerem beschäftigt. Nur noch zum Fremdschämen.
    • Was wir da im Bundestag gerade erleben, hat wenig mit den lebendingen Debatten dort von früher zu tun. Erinnert eher an eine Erörterung des Fünf-Jahres-Plans in einem Schülerparlament von Achtklässlern, wo sich alle überbieten mit Vorschlägen, wie man die Zahlen noch besser umsetzen und noch gehorsamer sein kann.
    • Der FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann fordert „verpflichtende, professionelle und persönliche Beratungsgespräche für alle ungeimpften Erwachsenen“. Ur-liberale Idee. Vielleicht auch noch Ernährungsgespräche und Stuhlgang-Gespräche für Dicke oder Magere? Lungengespräche für Raucher? Er begründet die Idee vom Gesprächs-Zwang damit, dass die Ungeimpften ein Recht auf wertneutrale Information haben. Klar, Zwangs-Gespräche fördern Vertrauen. Die Debatte geht teilweise wirklich über die Schmerzgrenze.
    • Was für eine bittere Diagnose, dass ausgerechnet Ex-SED-Mann Gysi mit seinen 74 Jahren eine der besten Reden zur Impfpflicht im Bundestag hält, gefolgt von dem fast 70-jährigen Kubicki (FDP) und Alice Weidel von der AfD. Wenn man sich dagegen die meisten jüngeren Abgeordneten anhört, kann einem Angst und Bange werden um die Zukunft. Besonders krass: Abgeordneter zweiter Klasse auf der Tribüne. Unwürdige, brutale, dummdreiste Diskriminierung. Der Pranger ist zurück!
    • Wir als CDU/CSU bleiben dabei, Ihnen als konstruktive Opposition zur Seite zu stehen“.
      Was bisher als Verschwörungstheorie galt, gibt die CDU-Abgeordnete Nina Warken nun ganz offen zu – dass die Union ihre Aufgabe als Opposition darin sieht, der Regierung konstruktiv zur Seite zu stehen. Habe ich irgend wie noch anders gelernt, die Aufgabe von Opposition in funktionierenden Demokratien. Sie auch?
    • „Wir können von anderen Ländern lernen, auch von der Hansestadt Bremen.“
      Kordula Schulz-Asche von den Grünen setzte eines der intellektuellen Highlights der Impfdebatte.
    • Im russischen und ukrainischen Parlament gab es wiederholt Schlägereien, und viele meiner Freunde dort schämten sich deswegen für ihre Abgeordneten. Mir geht es heute so beim Verfolgen der Impfdebatte im Bundestag. Intellektuell unterirdisch (bis auf wenige Ausnahmen). Geistige Offenbarungseide am parlamentarischen Fließband.
    • „Lassen Sie uns die Pandemie beenden, wir wissen wie!“
      Um so ein Allwissen (oder ist es eine Allmachtsphantasie) beneiden sie und ihre Partei bzw. die Regierung (wer auch immer „wir“ ist) selbst namhafte Virologen.
    • Warum ist eigentlich unser neuer Volksliebling bei der Bundestagdebatte um die Impfpflicht nicht zu sehen? Wieder umgekippt? Oder uninteressiert? Oder versteckt er sich auf den billigen Plätzen? PS: Wie sich herausstellte, letzteres – statt auf der Regierungsbank Präsenz zu zeigen saß er im Plenum in seiner Fraktion.
    • „Lassen Sie uns die Pandemie beenden, wir wissen wie!“
      Um so ein Allwissen (oder ist es eine Allmachtsphantasie) beneiden sie und ihre Partei bzw. die Regierung (wer auch immer „wir“ ist) selbst namhafte Virologen.
    • „Wir kommen nicht auf diese hohen Impfquoten, wie sie in einigen anderen Ländern sind. Es geht nur aus dieser Pandemie raus mit dem Impfen, wenn wir das verpflichtend machen.“
      Dirk Wiese, SPD (und andere Abgeordnete sinngemäß ähnlich).
      Ein paar Fakten dazu:
      Impfquote Großbritannien: 71,4 Prozent (54,4 Prozent geboostert)
      Impfquote Deutschland: 72,7 Prozent (47,6 Prozent geboostert).
      Großbritannien schafft die Corona-Maßnahmen weitgehend ab, eine Impfpflicht oder 2G wären dort undenkbar.
Die Bundespressekonferenz vom 26.1.2022

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david

Bild: Bundestag/Youtube/Screenshot
Text: br

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