Unregierbar nach der Wahl? Sven Schulze zwischen Angst und Wirklichkeit

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Der Name Sven Schulze ist vielleicht nicht jedem bekannt. Dabei handelt es sich um den CDU-Landesvorsitzenden von Sachsen-Anhalt, den derzeitigen Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten eben dieses Landes – und zu allem Übel soll er bei der im nächsten Jahr anstehenden Landtagswahl den Spitzenkandidaten und damit, bei entsprechendem Wahlerfolg, auch den nächste Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt geben, da Reiner Haseloff nicht mehr antreten wird.

Derzeit scheint Schulze aber vor allem eines zu sein: ängstlich. Wie es in Deutschland bisher üblich war, muss er sich bald einer Neuwahl zum Landtag stellen, die vermutlich am 6. September 2026 stattfinden wird. Und die macht ihm Angst. In einem Interview verriet er der Neuen Osnabrücker Zeitung, der AfD-Spitzenkandidat Ulrich Siegmund habe „Leute um sich, die man definitiv nicht in Verantwortung lassen sollte.“ Das will ich gar nicht in Abrede stellen, da ich nicht weiß, mit welchen Leuten sich Siegmund umgibt, aber selbst im Falle der Wahrheit würde das eher für eine Wahl von Ulrich Siegmund zum Bundeskanzler und nicht nur zum Ministerpräsidenten sprechen.

Denn mit welchen Leuten umgibt sich unser begnadeter Bundeskanzler Friedrich Merz? Mit Bärbel Bas beispielsweise, die gerne einmal vergisst, dass man den Beitragszahlern der Sozialversicherung auch Steuern abpresst, und die, sobald Anwesende über ihre zur Schau gestellte Kompetenz lachen, sich in die Pose eines beleidigten Kindes wirft. Oder mit Lars Klingbeil, dem Finanzminister, der immer nur bei den schon jetzt hinreichend belasteten Bürgern sparen will und nie bei den Ausgaben für ideologisch motivierte Wolkenprojekte. Oder wie wäre es mit Johann Wadephul, dem wahrhaft würdigen Nachfolger Baerbocks im Außenministerium, der sich in Syrien alles erzählen lässt, was man braucht, um noch mehr Geld deutscher Steuerzahler in nahöstliche Kassen zu lenken? Sie alle sind Leute, „die man definitiv nicht in Verantwortung lassen sollte“, obwohl sie ihre Verantwortungslosigkeit schon zu lange in verantwortlichen Positionen ausüben. Ganz zu schweigen von Friedrich Merz selbst, dessen Fehlleistungen aufzulisten jeden Rahmen sprengen würde.

Diese Beispiele hatte Schulze wohl gerade nicht parat, man kann nicht an alles denken. Stattdessen teilte er mit, gäbe es eine AfD-Regierungsverantwortung, so „würde das dem Land Sachsen-Anhalt und ganz Deutschland wirklich einen nicht beschreibbaren großen Schaden zufügen.“ Es dürfte jedoch nicht ganz so einfach sein, dem Land noch mehr zu schaden als es die derzeitige Bundesregierung und ihre Vorgängerregierung ohnehin schon tun und getan haben. Das muss eine Landesregierung erst einmal schaffen. Aber Schulze steht wie ein Fels in der Brandung: „Bei mir im Kabinett wird kein Minister der AfD und keine Ministerin der Linkspartei sitzen.“ Ja, mit dem Gendern ist das immer so eine Sache. Offenbar schließt er nicht aus, dass in seinem Kabinett – sofern er überhaupt eines zusammenstellen kann – eine Ministerin der AfD oder eben ein Minister der Linkspartei einen Platz finden könnte. Vielleicht hätte er sich hier etwas klarer ausdrücken sollen. Sollte er allerdings mit einer ähnlichen Standfestigkeit wie der Bundeskanzler gesegnet sein, darf man davon ausgehen, dass bei numerischem Bedarf ein Vertreter der Linkspartei auch in einem Schulze-Kabinett auftauchen wird, egal ob Mann oder Frau oder trisexueller Hydrant.

Denn die Umfragen sehen nicht gut aus für den wackeren Kandidaten. Die letzte wurde am 15. Oktober verzeichnet, und sie lässt der AfD 40 Prozent der Wählerstimmen zukommen, der CDU 26 Prozent, der Linkspartei 11 Prozent, und der SPD ebenso wie dem BSW 6 Prozent. Alle anderen Parteien liegen klar unter 5 Prozent. Glaubt man nun dieser Umfrage, so hätten CDU, SPD und BSW zusammen gerade einmal 38 Prozent der Stimmen, die AfD dagegen 40 Prozent. Eine Schulze-Mehrheit gegen die AfD sieht anders aus und lässt sich nur bewerkstelligen, wenn man die Linkspartei mit ins Boot nimmt. Noch schließt er das aus und sagt sogar in seinem Interview mit Bezug auf die Umfrage: „Wenn diese Zahlen so eintreffen würden, wäre das Land Sachsen-Anhalt quasi unregierbar. Mein Ziel ist: Ich möchte die Wahl gewinnen und vor der AfD stehen.“ Er ist schon vorsichtig genug, nur „quasi unregierbar“ zu sagen und nicht „unregierbar“, weil er sich so noch die Hintertür der SED-Beteiligung an einer, an seiner Landesregierung offen lässt. Wenn es nämlich um die Freuden der Macht geht, wird man leicht und schnell einen Grund finden, warum man nun doch mit der Linkspartei zusammen gehen muss, sei es nun in einer Koalition oder in Form der Tolerierung; in der Not ist der Kampf gegen rechts immer ein gutes Argument.

Immerhin hat er sich Gedanken darüber gemacht, warum denn die Chancen so schlecht stehen und die Situation so trostlos ist. „Es bestehen Ängste vor der Zukunft“, so lernen wir, „und da will man bei der Wahl offenbar mal ein Zeichen setzen. Ich halte dieses Zeichen allerdings für unverantwortlich, denn ein Sieg der AfD würde das Land fünf Jahre lang in eine extrem schwierige Lage bringen.“ Ein Zeichen wollen die Wähler setzen, das ist doch sonst die Spezialität der Gegen-Rechts-Kämpfer, Klimaschützer und Migrationsbewegten. Aber warum will man ein Zeichen setzen? Weil „Ängste vor der Zukunft“ bestehen. Wie sollten sie auch nicht bestehen, wenn Deutschland so deutlich und unübersehbar in den Ruin getrieben wird, wenn man in ideologischem Wahn ein ganzes Land an die Wand fährt, stets im wohligen Bewusstsein, zu den moralisch Guten zu gehören? Solche Ängste kann man leicht entwickeln in Anbetracht von Deindustrialisierung, rasender Rekordverschuldung und stetigem Zustrom von Migranten, die nicht immer der Kategorie der Fachkräfte zugeordnet werden können. Doch ein Zeichen gegen diesen Irrsinn hält Schulze für unverantwortlich – wirklich für unverantwortlicher als die seit Jahren betriebene deutsche Politik, für die die AfD, wie man kurz erwähnen sollte, keinerlei Verantwortung trägt?

Ansatzweise scheint auch Schulze das eigentliche Problem verstanden zu haben. Im Hinblick auf die Bundesregierung äußert er: „Die Regierung von Friedrich Merz sollte aus meiner Sicht das Erwartungsmanagement korrigieren. Es ist nicht alles sofort zu lösen.“ Und: „Vielleicht hängt damit auch zusammen, dass es im Moment keine guten Umfragewerte für die aktuelle Bundesregierung gibt. Es wurden schlicht und einfach zu hohe Erwartungen geweckt.“ Ach ja. Man muss also nur weniger Erwartungen wecken, und schon wird alles, alles gut. Dummerweise hat Friedrich Merz nichts weiter getan, als die Erwartung zu wecken, dass nun, nach seinem nicht eben überwältigenden Wahlsieg, die verheerende Politik der Ampelregierung beendet würde. „Links ist vorbei. Es gibt keine linke Politik und keine linke Mehrheit mehr in Deutschland“, tönte er im Februar 2025. Aber Links ist nicht vorbei, im Gegenteil, es gibt nach wie vor katastrophale linke Politik und auch eine linke Mehrheit – vielleicht nicht in Deutschland, aber doch im Bundestag, weil Merz sich und seine CDU zum Erfüllungsgehilfen von Lars Klingbeil und der SPD gemacht hat. Daran wird er nichts ändern, und dieses Problem kann man auch nicht mit einem korrigierten „Erwartungsmanagement“ lösen.

Wirft man einen Blick auf die Entwicklung der Umfragewerte für Sachsen-Anhalt, so kann man der Vermutung verfallen, dass die Wähler inzwischen ihre Erwartungen ganz unabhängig von einem regierungsamtlichen Erwartungsmanagement korrigiert haben. Bei der Landtagswahl im Juni 2021 stand die CDU noch bei satten 37,1 Prozent der Wählerstimmen, während die AfD nur 20,8 Prozent erzielte. Dieser recht große Abstand hat sich im Laufe der Jahre verkleinert, die AfD stieg recht schnell auf Werte um 30 Prozent, während die CDU noch im Juni 2025 34 Prozent erreichen konnte. Danach ging es richtig los. Schon im September 2025 war die CDU auf 27 Prozent gefallen, die AfD auf 39 Prozent gestiegen, und im Oktober hat die CDU noch einmal ein Prozent verloren, die AfD eines gewonnen. Woran könnte das liegen? Am falschen Erwartungsmanagement der Bundesregierung? Oder doch eher an einer Politik, die übler kaum noch sein könnte, was man selbstverständlich auch in Sachsen-Anhalt gemerkt hat? Eine Weile hat es wohl gedauert, bis sich die Einsicht in die Unfähigkeit der Merz-Regierung durchgesetzt hat, aber jetzt ist sie am Tage und zeitigt die beobachtbaren Folgen in den Umfragen. Da kann Schulze wieder und wieder flehentlich vermerken, er wolle die Wahl gewinnen und am Ende vor der AfD stehen – sein Bundesvorsitzender und Bundeskanzler macht jede Bemühung, zu der Schulze vielleicht fähig sein mag, zunichte.

„Die Politik ist keine Wissenschaft, die man lernen kann. Sie ist eine Kunst, und wer sie nicht kann, der bleibt besser davon“, sagte einst Otto von Bismarck im Reichstag. Vielleicht hätte Schulze seinem Parteivorsitzenden einmal diesen Ausspruch entgegenhalten sollen anstatt sich in Tagträumereien zu ergehen.

 

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Screenshot Youtube

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