Upps – Verfassungsschutz bei Desinformation ertappt Ausgerechnet die selbsternannten Kämpfer gegen Desinformation

Eigentlich glaubt man, es könne einen nichts mehr negativ überraschen in Sachen Thomas Haldenwang, der den Verfassungsschutz zu einer Streitaxt von Rot-Grün umgewandelt hat: Der Christdemokrat überrascht mit erschreckender Regelmäßigkeit dadurch, dass er bei der Pervertierung der Rolle seines Geheimdiensts immer noch dreister wird und noch einen Schritt weiter geht in Richtung des bisher Undenkbaren.

Was jetzt aber der Sozialdemokrat und frühere Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Mathias Brodkorb aufgedeckt hat, ist selbst für Haldenwang-Maßstäbe ein fetter Brocken.

Für seine Recherche zu seinem sehr empfehlenswerten Buch „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?“ über den Verfassungsschutz setzte sich der streitbare und kritische Sozialdemokrat mit einem eklatanten und unglaublichen Widerspruch der Behörde und ihres Chefs auseinander. In einer aktuellen Vorstellungsbroschüre des Verfassungsschutzes steht: „Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz.“ Auch Haldenwang selbst hat sich in seinem jüngsten Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen“ ähnlich geäußert (siehe mein Text „Haldenwang lässt die letzten Masken fallen“).

Warum das ein Widerspruch ist, führt Brodkorb in einem brillanten Artikel im „Cicero“ aus, der leider hinter einer Bezahlschranke steht: „Obwohl der Verfassungsschutz radikale politische Auffassungen ausdrücklich für ‘legitim‘ erklärt, rückt er sie dennoch – und zwar in derselben Broschüre – in den Bereich der Verfassungsfeindlichkeit. Der Radikalismus leide nämlich, so heißt es dort, unter ‘mangelnder Verfassungstreue‘ und der politische Extremismus unter ‘mangelnder Rechtstreue‘. Ersteres führt zu einem eklatanten Selbstwiderspruch. Was legitim ist, kann nicht auf Kriegsfuß mit der Verfassung stehen. Zweiteres ist einfach grober Unfug.“

Brodkorb hat sich deshalb für die Arbeit an seinem Buch wegen dieser Widersprüche beim Bundesamt nach einer präzisen Definition von „Radikalismus“ erkundigt. Denn, so der Ex-Minister treffend: „Darauf kommt am Ende alles an. Wird der politisch legitime radikale Rand nicht messerscharf vom illegitimen politischen Extremismus unterschieden, werden unweigerlich unbescholtene Bürger und Meinungen rechtswidrig in Verruf gebracht. Die Grenze des folgenlos Sag- und Denkbaren wird so illegitimerweise verschoben – und zwar durch den Staat selbst. Genau das ist es, was immer mehr Pressevertreter, Politiker und Rechtswissenschaftler Haldenwang mit Recht vorwerfen.“

Die Antwort des Amtes habe ihn sprachlos gemacht, so der Ex-SPD-Minister. Da stand: „Der Begriff Radikalismus ist kein klar definierter ,Arbeitsbegriff‘ der Verfassungsschutzbehörden, da dieser Bereich der politisch-gesellschaftlichen Aktivität nicht in den Aufgabenbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt. Er dient lediglich zur Abgrenzung zum Bereich des Extremismus. Eine fachliche Definition durch das BfV kann daher nicht erfolgen und ist auch nicht erforderlich.“

Der Verfassungsschutz behauptete damit, „dass die von ihm selbst gegebene Definition im Grunde gar nicht existiert und man sie auch nicht benötigt – aber natürlich dennoch mit ihr verfassungsschutzrechtlich operiert“, so Brodkorb: „Rund 75 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ist ein derartiger intellektueller Trümmerhaufen im Kern des Schutzes der Verfassung nicht nur ärgerlich, sondern letztlich ein Skandal. Auf diese Schwammigkeit und Widersprüchlichkeit der Begriffe stützt sich die Behörde, wenn sie die Zahl ihrer Beobachtungsobjekte immer mehr ausweitet. Das eine geht nicht ohne das andere. Begriffliche Schlampigkeit ist im Verfassungsschutzrecht kein intellektuelles Glasperlenspiel, sondern der erste Schritt hin zum staatlich verantworteten Rechtsbruch.“

Das sitzt

Vor allem aus dem Mund eines Sozialdemokraten.

Doch es kommt noch dicker: „Seit dem Sommer 2023 stand die Behörde somit vor folgender Alternative: Sie hätte ihre Vorstellungsbroschüre korrigieren können, damit aber eingestehen müssen, auch mehr als 70 Jahre nach ihrer Gründung über keine saubere begriffliche Grundlage zu verfügen“, so Brodkorb: „Oder sie hätte die Hinweise auf entsprechende Widersprüche in ihren eigenen Veröffentlichungen einfach ignorieren können, wäre damit aber zu einer regelrechten Desinformationsbehörde geworden. Der Verfassungsschutz hat sich für die zweite Option entschieden. Ihre Vorstellungsbroschüre, mit der sie interessierten Bürgern eigentlich den Kern des Verfassungsschutzes erklären will, beinhaltet bis heute den oben ausgeführten kolossalen Unfug.“

Warum Haldenwang ständig die „Gefahr für die Demokratie“ heraufbeschwört, erklärt der Sozialdemokrat wie folgt: „Je geringer die Gefahr, desto kleiner auch die eigene Bedeutsamkeit. Und desto schlechter die Aussichten der Behörde, bei Haushaltsverhandlungen noch mehr Stellen herauszuverhandeln und noch mehr gesetzlich gesicherte Kompetenzen zur Einschränkung von Grundrechten. Allein in den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Mitarbeiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz mehr als verdoppelt. Nur, wenn man die Alarmstimmung aufrecht erhalten kann, lässt sich weiter Geld für diesen Zweck einsammeln und der Apparat weiter ausbauen.“

Und so begründet Haldenwang  die aktuelle Bedrohung der Demokratie damit, dass die Zahl der Extremisten stetig zunehme. Was er dabei nicht erwähnt: Er stützt sich damit auf die Statistik seiner eigenen Behörde. Und „dass eben diese Behörde die Maßstäbe für politischen Extremismus in den zurückliegenden Jahren Stück um Stück aufgeweicht und dadurch deren messbare Zahl durch einen deus ex machina selbst vermehrt hat“, so das Fazit von Brodkorb.

Insbesondere die  Erfindung des Phänomenbereichs „Delegitimierung des Staates“, „auf die der Behördenchef ganz besonders stolz zu sein scheint, dürfte der real existierenden Demokratie daher am Ende einen Bärendienst erweisen“, glaubt der Ex-Minister. Die mangelnde Definition dieses Begriffs führe zu „Ungewissheit, die bei potentiell Betroffenen wie Nichtbetroffenen zu Einschüchterung und Grundrechtsverzicht führen“ könne. Oder, so Brodkorb, mit anderen Worten: „Wenn man nicht genau weiß, was zu sagen erlaubt ist, hält man lieber den Mund. Dies wäre dann aber seinerseits geeignet, ‘die freiheitliche und pluralistische Demokratie zu delegitimieren‘ (Christoph Gusy). Ausgerechnet der Verfassungsschutz würde sich dann als Delegitimierer der Verfassungsordnung betätigen.“

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