US-Passagiere erfahren im Flieger vom Ende der Maskenpflicht Jubel und Selfies ohne Maske

Ein Gastbeitrag von Gregor Amelung

Ostermontag, 18. April 2022. Während eines Fluges der Alaska Airlines von Florida nach New York City meldet sich der Kapitän bei seinen Fluggästen: „Das ist die wichtigste Durchsage, die ich je gemacht habe. Die landesweite Maskenpflicht ist aufgehoben. Sie können ihre Masken abnehmen, wenn Sie möchten“. Anschließend gab’s Applaus und über die bordeigenen Lautsprecher lief der Song „Celebration“.

Land ins Chaos gestürzt

„Überall im US-Luftraum wurden Passagiere von ähnlichen Durchsagen überrascht“, so der Hamburger Spiegel. „Viele klatschten, jubelten, rissen sich den Coronaschutz ab, posierten stolz für unmaskierte Selfies. ‚Werft eure Masken weg!’, sang eine Flugbegleiterin von Southwest Airlines, während sie mit einer blauen Mülltüte durch den Gang schritt“. Denn während sich die Flieger noch in der Luft befanden, hatte „ein kleines Bezirksgericht“ das ganze Land ins „Masken-Chaos“ gestürzt, so das Urteil des Spiegel.

Instagram-Video: ”randell_cramer So this just happend #inflight #mandateiflted # alaskaairlines #horizonair“ (Screenshot Instagram; Randell Cramer)

Anschließend erfuhr man, dass sich nicht alle über das Ende der Maske „freuten“. Etwa die Schauspielerin Brooke Tansley, die mit ihren beiden ungeimpften Kindern unterwegs war. Sie sei „sehr wütend, dass das mitten im Flug bekannt gegeben wurde“. Auch den US-amerikanischen Chirurgen, Buchautoren und Hochschullehrer Atul Gawande zitierte das Hamburger Nachrichtenmagazin: Er habe seine Maske an Bord einer Linienmaschine aufbehalten, denn er wollte „nicht krank werden“.

Um Gawandes Statement noch zu untermauern, beförderte ihn der Spiegel zum „Vizechef der US-Entwicklungshilfebehörde USAID“, obwohl er in dieser Behörde, die dem US-Außenministerium unterstellt ist, lediglich das „Bureau of Global Health“ (GH) als „Assistant Administrator“ im Dezember 2021 übernommen hatte. Also eine von insgesamt 15 Abteilungen („Bureaus“ oder „Independent Offices“ genannt) der Behörde.

Schuld am „Chaos“: „kleines Bezirksgericht“

Schuld am „Chaos“ über den Wolken war Kathryn Kimball Mizelle, eine Richterin in Tampa, Florida. Ihr Gericht allerdings als „kleines Bezirksgericht“ zu bezeichnen, wie es der Spiegel tat, war mehr als nur ein Tippfehler. Denn Mizelle ist „District Judge“ am US-Bundesgericht für den Mittleren „District“ von Florida.

Verteilt über die ganzen USA gibt es 94 Bundesgerichtsbezirke („federal judicial districts“). In Florida sind es drei. Sie bilden die unterste Ebene bzw. die erste Instanz der Rechtssprechung auf Bundesebene, weshalb man beim Spiegel vielleicht besser von einem „Bundesgericht der unteren Ebene“ gesprochen hätte. Zumal das „kleine Bezirksgericht“ in einem recht großen Gebäude untergebracht ist (Fotos hier).

Die nächste Instanz nach Gerichten wie Mizelles bilden die Berufungsgerichtshöfe („Courts of Appeal“) in 11 Bundesgerichtskreisen („Circuits“), gefolgt vom auch in Deutschland bekannten „Supreme Court of the United States“ – kurz SCOTUS genannt.

Kandidatin von Trump

Weiter erklärte der Spiegel, dass Richterin Mizelle das „ganze Wirrwar“ ausgelöst habe, indem sie der „Klage einer konservativen Aktivistengruppe, die überall gegen Masken- und Impfmandate kämpft“, stattgegeben hatte. Voll ausgeschrieben nennt sich die Organisation „Health Freedom Defence Fund / (in etwa: Fonds zur Verteidigung der gesundheitlichen Freiheit)“. Weiter hieß es beim Spiegel: Richterin „Mizelle wurde als eine der letzten von Donald Trump benannten Richterinnen bestätigt, als der die Wahl bereits verloren hatte.“

Das war zwar recht elegant formuliert, um nahezulegen, dass die Richterin eigentlich nie hätte ernannt werden dürfen. Allerdings hatte Trump Mizelle lange vor der Präsidentschaftswahl am 3. November 2020 nominiert gehabt. Und genauso wie bei einem Richter, den der Demokrat Jimmy Carter im Jahre 1980 nominiert hatte, bevor er anschließend gegen Ronald Reagan seine Wiederwahl verlor, wurde auch Mizelle nach Trumps verlorener Präsidentschaftswahl durch den US-Senat als Richterin bestätigt.

„Nicht qualifiziert“

Überraschend war dann noch, dass Mizelles Ernennung durch die Politik überhaupt eine Rolle in der Berichterstattung des Spiegels gespielt hatte, denn die Art und Weise wie Atul Gawande zum „Vizechef der US- Entwicklungshilfebehörde USAID“ geworden war, war zuvor kein Thema gewesen. Ganz so als sei der „Chirurg“ ausschließlich wegen seiner medizinischen Qualifikation auf den Posten gekommen – Nope! Wa’ er nich’. Denn auch Gawande war durch einen US-Präsidenten für seinen Posten nominiert und anschließend vom US-Senat bestätigt worden. Nur dass in seinem Fall der Präsident Joe Biden hieß und die Mehrheit im Senat von den Demokraten kam.

Darüber hinaus beklagte der Spiegel, Mizelle sei „mit damals 33 Jahren […] die jüngste der Trump-Kandidaten“ gewesen. Sie hätte „noch nie einen Prozess geführt – weshalb der Juristenverband ABA sie als ‚nicht qualifiziert’ kritisiert“ habe.

Richtig ist, die ABA, die „American Bar Association“ ist eine Vereinigung von Rechtsanwälten und Jurastudenten. Sie vertritt etwa 15 Prozent der US-Juristen und gibt seit 1956 Bewertungen zur Qualifikation von nominierten Richtern ab. Allerdings gelten ihre Bewertungen zunehmend als parteiisch, weshalb die Regierung unter George W. Bush 2001 die Praxis eingestellt hat, Namen potentieller Kandidaten vor ihrer Nominierung an die ABA zu geben. Mit anderen Worten: die Bush-Regierung fand die ABA nicht mehr qualifiziert, zu beurteilen wer qualifiziert ist und wer nicht.

Bushs Nachfolger Barack Obama sah das anders, Donald Trump sah es genauso.

Dysfunktionaler Staat

Nach all dem war es nur folgerichtig, dass man sich beim Spiegel nicht sonderlich für die Herleitung des Urteils selbst interessierte. Wichtiger war es, einmal mehr dem Leser die Dysfunktionalität der USA vor Augen zu führen: „Das Ende der US-Maskenpflicht legt die Brüche einer zwischen Egoismus und Solidarität zerrissenen Gesellschaft offen“. Während im heimischen Deutschland dank der Bund-Länder-Gipfel, die so gar nicht in der Verfassung vorgesehen sind, alles dufte gelaufen war. Kein „Chaos“ bei der Maskenpflicht, klare Regeln und damit klarer Schutz vor dem Virus.

Nur einen schmalen Absatz widmete man in Hamburg der richterlichen Entscheidung und vergaß dabei dem Leser zu erläutern, dass dem Einfluss der Bundesregierung in Washington qua Verfassung enge Grenzen gesetzt sind. Das eigentliche Leben regeln nämlich die Bundesstaaten – nicht Washington und auch nicht der US-Präsident.

Eben deshalb hatte es die Biden-Administration ja auch versucht, landesweite Masken- und Impfmandate über Umwege zu implementieren. Bei den Masken lief es über die bundesstaatliche Autorität beim Personenverkehr, bei den Impfungen zog man das bundesweite Arbeitsschutzrecht heran.

Urteilsbegründung

Die arbeitsrechtliche Impf-Variante für größere Unternehmen war bereits Mitte Januar 2022 vor dem US Supreme Court gescheitert.

Drei Monate später hat nun Richterin Mizelle das Bundesmandat zum Tragen von Masken in Flugzeugen und öffentlichen Verkehrsmitteln gekippt. Begründet hat sie ihre Entscheidung so: Das Gesetz von 1944, das der Bundesregierung die Befugnis gibt, übertragbare Krankheiten im Rahmen der „Hygiene“ zu bekämpfen, sei falsch angewendet worden. Hygiene beziehe sich hier nämlich nur auf „Maßnahmen, etwas zu reinigen“; Masken würden in diesem Sinne allerdings nichts reinigen.

Darüber hinaus befand Mizelle, dass die langjährige Rechtsprechung zum Recht auf Durchsetzung von „Isolierung und Quarantäne“ durch die Regierung nur auf diejenigen anwendbar sei, die tatsächlich krank seien.

Corona-Etikette: Dankbarkeit statt Jubel

Kurz nachdem die einen in der Luft Mizelles Entscheidung bejubelt hatten, mahnte bereits die Washington Post, eben diesen Jubel in Corona-Zeiten zu drosseln, denn:

„Es ist unmöglich, das freudige Hurra als Antwort auf die richterliche Anordnung zu hören, ohne an die Bewohner Shanghais zu denken. 25 Millionen Menschen in dieser Stadtgemeinde sind seit Wochen in ihren Häusern eingesperrt. [ ..] Diese Realität lässt einen genauer überlegen, ob die Aufhebung unserer maßvollen Maskenpflicht auf Bundesebene des Jubels wert war oder ob vielleicht ein leises Seufzen der Erleichterung, vielleicht sogar der Dankbarkeit, angebrachter wäre.

Denn wie sehr hat das Maskentragen eine gesunde, kräftige Person daran gehindert, zu tun, was sie tun möchte? Wie sehr hat es ihre Fähigkeit eingeschränkt, sich zu bewegen? Und wie sehr haben die Masken dazu beigetragen, unser aller Gesundheit zu schützen, damit wir uns überhaupt bewegen können?“

Mit anderen Worten: Weil ein Regime, das hinter Saudi-Arabien und dem Iran auf Platz 177 des Press Freedom Index liegt, eine drakonische Corona-Politik betreibt, sollte man in einem Land auf Platz Nummer 44 demütiger jubeln.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Der Autor ist in der Medienbranche tätig und schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Shutterstock
Text: Gast

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