„Versorgungssituation im Winterhalbjahr äußerst angespannt“ Stresstest zum Stromsystem sieht zeitweise Abschaltungen als Ultima Ratio

Von reitschuster.de

Die Angst vor einem großflächigen Blackout in Deutschland nimmt zu, die über Jahrzehnte hinweg aufgebaute Abhängigkeit von russischer Energie fordert ihren Tribut. Sollten im Winter über längere Zeit die Lichter ausgehen, wäre der Schaden immens. Ohne Strom fließt kein Wasser, Supermärkte müssen schließen, weil Kühltruhen und Kassensysteme ausfallen – und an Tankstellen gibt es keinen Treibstoff mehr.

Nach 48 Stunden ohne Strom wird die Lage prekär. In den Krankenhäusern würden die Medikamente knapp und die Notstromaggregate haben keinen Diesel mehr, um einen geregelten Ablauf zu ermöglichen. Zugleich gibt es gravierende hygienische Probleme in Kliniken, Pflegeheimen und auf den Straßen, da die Müll- und Wasserentsorgung nicht mehr sichergestellt werden kann. Es besteht Seuchengefahr.

Eine Woche nach dem Blackout brechen die letzten Notstromversorgungen in den Rechenzentren zusammen. Da in einem solchen Szenario die Reaktoren in den verbliebenen deutschen Atomkraftwerken nicht mehr ausreichend gekühlt werden könnten, wäre eine Kernschmelze und damit der Super-GAU die Folge. En passant: Dieses Szenario stammt nicht aus der Bestenliste der Verschwörungstheorie, sondern aus „Planet Wissen“, einem Gemeinschaftsprojekt des WDR, des SWR und von ARD-alpha.

»Großflächiger und lang andauernder Stromausfall nicht auszuschließen«

Geht es nach der Bundesregierung, bleiben „großflächige langanhaltende Stromausfälle auch weiterhin sehr unwahrscheinlich.“ Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK) hingegen attestiert Deutschland zwar grundsätzlich eine sehr hohe Versorgungssicherheit, schließt einen großflächigen und lang andauernden Stromausfall aber nicht gänzlich aus.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz wollte buchstäblich mehr Licht ins Dunkle bringen und hat die vier regionalen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, Tennet und Transnet BW damit beauftragt, eine Sonderanalyse mit Blick auf den kommenden Winter durchzuführen. Das Netzbetreiber-Quartett hat in seiner kürzlich vorgestellten Studie drei Szenarien mit jeweils zunehmend kritischeren Prämissen simuliert.

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Unter den ungünstigsten Bedingungen fallen 21 Gigawatt an Atomstrom aus Frankreich und 3,75 Gigawatt an Leistung der Steinkohlekraftwerke sowie 4,4 Gigawatt aus den Gaskraftwerken in Süddeutschland und Österreich aus. Zudem steht nur die Hälfte der Netzreserve von 1,7 Gigawatt zur Verfügung. Und schließlich werden zusätzliche 2,5 Gigawatt an Leistung für den vermehrten Einsatz von Heizlüftern in Privathaushalten benötigt.

Im Februar, dem kritischsten Monat, würde sich unter diesen Voraussetzungen eine Lastunterdeckung von 17 bis 53 Gigawattstunden in drei bis zwölf Stunden ergeben, in denen die Stromnachfrage die Produktion übersteigt. 53 Gigawattstunden entsprechen dem Tagesverbrauch von rund 9,6 Millionen Zwei-Personen-Haushalte (bei einem durchschnittlichen Tagesverbrauch von 5,5 kWh). Um dieses Energiedefizit zu überbrücken, sind zusätzliche Kapazitäten aus dem Ausland erforderlich – in erster Linie aus Österreich und aus der Schweiz, da der negative Saldo vor allem im Süden Deutschlands auftritt.

»In Deutschland sind Maßnahmen zur Erhöhung der Transportkapazitäten im Übertragungsnetz erforderlich«

Auch wenn dies das kritischste Szenario ist, ist das Fazit der Netzbetreiber nicht nur mit Blick auf die Deckung der Stromnachfrage wenig erbaulich: „In allen drei betrachteten Szenarien zeigt sich die Versorgungssituation im kommenden Winterhalbjahr äußerst angespannt – in Europa kann im Strommarkt die Last nicht vollständig gedeckt werden.“

Ernüchternd ist auch die Conclusio hinsichtlich der Netzsicherheit: „Zum Management von Netzengpässen reichen die inländischen Redispatch-Potenziale in keinem der drei Szenarien aus“, mahnen die Netzbetreiber. Mindestens 5,8 Gigawatt gesichertes Potenzial im Ausland würden benötigt. (Anm.: Redispatch steht für Eingriffe in die Erzeugungsleistung von Kraftwerken, um Leitungsabschnitte vor einer Überlastung zu schützen.)

Die Autoren sehen die Regierung in der Pflicht: „In Deutschland sind daher weitere Maßnahmen zum erzeugungs- und lastseitigen Engpassmanagement und zur Erhöhung der Transportkapazitäten im Übertragungsnetz erforderlich.“ Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichen, müssten als Ultima Ratio Exporte beschränkt oder Großverbraucher kontrolliert und temporär abgeschaltet werden, um die Netzsicherheit aufrechtzuerhalten.

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