Von Kai Rebmann
Kreuzfahrer werden mit zu den größten Umweltsündern unter den Urlaubern gezählt. Die üblichen Verdächtigen nennen die hohen Emissionen sowie die Gefährdung besonders „sensibler Destinationen“, wie zum Beispiel Venedig, als häufigste Begründung für ihre These. Dessen ungeachtet erlebt die Branche spätestens seit Beginn der 2010er-Jahre einen bisher nie gekannten Boom. Das jährliche Passagieraufkommen auf Kreuzfahrtschiffen hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt, zuletzt verbrachten weit über zwei Millionen Deutsche ihren Urlaub auf hoher See. Selbst die Corona-Krise konnte AIDA, TUI und Co allenfalls einen kurzfristigen Dämpfer versetzen. Doch was ist dran an den Vorurteilen gegenüber Kreuzfahrten und welche Regeln gelten bei den verschiedenen Anbietern auch in der Post-Corona-Ära weiterhin?
AIDA lässt sein wichtigstes Werbeschild fallen – aus Kostengründen
Der erste Blick richtet sich in Zeiten wie diesen fast schon zwangsläufig auf die Umweltbilanz von Kreuzfahrten. Und schon nach kurzer Recherche wird klar: Hochseereisen werden weder einen essentiellen Beitrag zur Klimarettung leisten können noch werden sie den Weltuntergang herbeiführen. Je nach Quelle machen die Musikdampfer zwischen 0,5 und 0,7 Prozent des weltweiten Schiffaufkommens aus und stoßen obendrein noch deutlich weniger Emissionen aus als Fracht- oder Handelsschiffe. Und der Anteil der allgemeinen Schifffahrt am weltweiten CO2-Ausstoß wiederum liegt bei gerade einmal drei Prozent. Man könnte von heute auf morgen also ein generelles Verbot für Kreuzfahrten aussprechen – in der Klimabilanz würde das überhaupt nicht auffallen. Diese Verhältnismäßigkeiten können ohne Weiteres auf das Vorhaben der „Öko-Terroristen“ der „Letzten Generation“ übertragen werden, die glauben, mit einer Deindustrialisierung Deutschlands in Sachen Klima auch nur das Geringste bewirken zu können.
Dennoch spielen die Reedereien das Spiel seit einigen Jahren mit. Allen voran AIDA hat in dicken Lettern damit geworben, dass AIDAnova und AIDAcosma, zwei der jüngsten Mitglieder der Flotte, mit umweltschonendem Flüssiggas (LNG) angetrieben werden. Der vor wenigen Wochen vollzogene Umstieg auf einen Dieselkraftstoff (Marine Gasöl MGO) erfolgte hingegen im stillen Kämmerlein. Erst nachdem das „Hamburger Abendblatt“ darüber berichtet hatte, musste ein Sprecher der Rostocker einräumen, dass man sich aus Kostengründen zu diesem Schritt gezwungen sah. „Die Preissteigerungen waren erheblich, um nicht zu sagen, explosionsartig“, begründete Hansjörg Kunze die Maßnahme.
Ähnlich ist die Situation bei Fjord Line, deren Fähren bis vor Kurzem ebenfalls noch mit dem werbewirksamen LNG angetrieben wurden. Auch bei den Norwegern haben die massiven Preissteigerungen zu einer „Gewinnsituation geführt, die nicht nachhaltig ist“, wie ein Sprecher der Reederei erklärte. Wer wissen will, was darunter zu verstehen ist, kann sich vertrauensvoll an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wenden. So sehr es aus ökonomischen Gründen nachvollziehbar ist, dass die Reedereien aus Kostengründen jetzt auf MGO umgestiegen sind, als so wenig glaubwürdig entpuppen sich die LNG-Werbekampagnen der Vergangenheit.
Wer sich mit seinen Klimaversprechen in den letzten Jahren dermaßen weit aus dem Fenster gelehnt hat, wie AIDA und Fjord Line das getan haben, der sieht sich jetzt mit einem echten Problem konfrontiert. Die „explosionsartig“ gestiegenen Preise müssen entweder an die Kunden weitergegeben werden oder man müsste eine „nicht nachhaltige Gewinnsituation“ in Kauf nehmen. Beides wäre nach zwei Jahren Corona-Flaute natürlich Gift gewesen. Also hat man sich für die dritte Option – den Umstieg auf das deutlich günstiger MGO – entschieden. Gleichzeitig wirft das aber natürlich die Frage auf, ob man den „Klima-Helden“ nur dann spielen will, wenn es nichts (oder nur wenig) kostet.
Corona-Regeln sorgen für Verwirrung
Einen ähnlich inkonsequenten Weg gehen viele Reedereien bei Corona-Maßnahmen wie Test-, Masken- und/oder Impfpflicht. Um dies zu verdeutlichen, reicht ein Blick auf die dafür jeweils gültigen Regelungen bei AIDA, Costa und TUI Cruises, die zu den größten Anbietern auf dem deutschen Markt gehören.
Beispiel AIDA: Ab dem 13. Januar 2023 gibt es bei Kreuzfahrten „unter 16 Tagen Reisedauer“ weder eine Test- noch eine Impfpflicht. Wer allerdings 16 Tage oder länger in See stechen will, bekommt auf der Homepage folgende Information: „Voraussetzung für alle Gäste ab 18 Jahren ist der vollständige Impfschutz, auch für Genesene. […] Vor Reiseantritt ist ein zertifizierter, negativer Antigentest für alle Gäste ab 5 Jahren verpflichtend. Frühester Testzeitpunkt ist 2 Tage vor Aufstieg an Bord.“ Eine weitere Ausnahme bildet die 10-tägige Transatlantik-Route von Barbados nach Teneriffa. Auch hier werden ein „vollständiger Impfschutz“ und ein zertifizierter Antigentest verlangt, „da diese Reise viele Seetage am Stück hat.“
Beispiel TUI Cruises: Die Hannoveraner verzichten ab sofort auf eine generelle Impfpflicht. Diese gilt nur noch für Kreuzfahrten nach oder in Asien sowie die Route „Karibische Inseln ab Bremerhaven“. Dafür hält TUI Cruises bis auf weiteres an der Testpflicht fest. An Bord dürfen nur Passagiere, die zwei negative Tests vorlegen können, einen „Test als Selbsttest“ sowie einen „Test mit Nachweis“.
Beispiel Costa: Das vielleicht beste Beispiel, wie willkürlich die Anbieter von Kreuzfahrten mit ihren Corona-Maßnahmen umgehen, liefert Costa. Auf eine Impfpflicht wird zwar verzichtet, dafür gilt für Ungeimpfte eine generelle Testpflicht. Die Reederei erklärt hierzu: „Alle Gäste unter 5 Jahren und alle gegen Covid-19 immunisierten Gäste müssen für Kreuzfahrten im Mittelmeer, in der Karibik und in den Vereinigten Arabischen Emiraten keinen Antigen-Test mehr vorlegen, wenn sie an Bord gehen.“
Auf Schiffen, insbesondere auf Kreuzfahrten, galten immer schon besondere Hygienebestimmungen – diese dann aber für alle Passagiere in gleichem Maße. Neu ist dagegen, dass ein Virus erst ab einer bestimmten Reisedauer oder in Abhängigkeit mit der gewählten Destination ansteckend sein soll (siehe AIDA). Ebenso ist die von Costa vertretene Annahme, dass „gegen Covid-19 immunisierte Gäste“ sich weder mit dem Virus anstecken noch selbiges weitergeben können längst widerlegt.
Der höchst unterschiedliche Umgang der Anbieter von Kreuzfahrten belegt überdeutlich, wie weit wir immer noch von einer Rückkehr in die „normale Normalität“ entfernt sind. Egal, ob auf hoher See oder an Land – eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, die sich alleine am Impfstatus festmachen lässt, kann und darf es in Deutschland nicht geben.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog. Bild: ShuttserstockMehr von Kai Rebmann auf reitschuster.de