Ein Gastbeitrag von Vera Lengsfeld
Die Diskussionen um die sich abzeichnende Energiekrise werden immer irrationaler statt zielführender. Es fehlt das Pendant zu dem kleinen Mädchen aus Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, das sagt, dass der Kaiser nackt ist. Das Framing, das die Wahrheit hinter dem aktuellen Debakel verbergen soll, lautet, der Despot Putin sei schuld, weil er Deutschland das Gas abgedreht habe. Er konnte Deutschland damit aber nur so existentiell treffen, weil deutsche Politiker, prominent Ex-Bundeskanzlerin Merkel auf Wunsch der Grünen, unser Land abhängig gemacht haben vom billigen russischen Gas. Ohne das hätte die „Energiewende“ nicht gestartet werden können, denn wetterabhängige Energieerzeuger wie Wind und Sonne sind nicht in der Lage, eine kontinuierliche Stromversorgung zu gewährleisten, auf die ein Hochtechnologieland existentiell angewiesen ist. Wenn die „Erneuerbaren“ keinen Strom liefern, müssen Gaskraftwerke einspringen, die schnell hoch- und runtergefahren werden können. Die Kehrseite ist, dass Strom, der aus Gas erzeugt wird, den höchsten Erzeugerpreis hat. Das verschafft allen Anbietern billigeren Stroms leistungslose Gewinne, denn der Preis wird an der Strombörse auf der Höhe des teuersten Anbieters festgelegt, treibt aber die Stromrechnungen der Kunden in astronomische Höhen. Aufgabe der Politik wäre, dieses Verfahren an der Strombörse schnellstmöglich zu ändern. Das wird zwar angekündigt, aber de facto auf die lange Bank geschoben. Außerdem müssten schnellstens alle lokalen Energieerzeuger wie Kohle- und Atomkraftwerke reaktiviert werden. Das geschieht ebenso wenig, wie der Weg frei gemacht wird, um einheimisches Gas zu fracken, das zu hohen Kosten, vor allen auch für die Umwelt, aus Übersee importiert wird.
Stattdessen gibt es jeden Tag irrationalere Vorschläge aus der Politik
Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin Giffey findet, dass zwei bis drei Stunden Stromabschaltung kein Problem wären. Für sie sicher nicht, denn das Rote Rathaus wird nicht betroffen sein, aber für die hoch technologisierten Start-Ups, auf die Berlin so stolz ist, schon. Es wird nicht lange dauern, dann sind sie aus der Stadt verschwunden.
Jüngst forderten die Nordländer „Strompreiszonen“ für Deutschland. Dort, wo die Energie erzeugt wird, soll der Strom günstiger sein als in den Ländern mit geringerer Windparkdichte. Was auf den ersten Blick logisch klingt, zeugt auf den zweiten Blick von tiefem Unverständnis.
Etwa ein Viertel des Strompreises entsteht durch Netznutzungsgebühren. Für diese Gebühren sind zwei Faktoren maßgeblich:
- In eher ländlich geprägten Regionen sind die Netznutzungsentgelte höher als in dichter besiedelten Ballungsräumen, denn in dünn besiedelten Regionen verteilen sich die Kosten auf weniger Verbraucher.
- Ein maßgeblicher Kostentreiber bei den Netzgebühren ist die Energiewende: Leitungen, Instandhaltung und der Ausgleich schwankender Stromeinspeisung kosten Geld. Insbesondere in Regionen mit hoher dezentraler Einspeisung, wie aus Windkraft im Norden, gibt es stärkere Netzentgeltsteigerungen als in Regionen, in denen es weniger Erzeugung nicht-fossilen Stroms gibt. Das scheint den Nord-Politikern nicht bekannt zu sein.
Ein drittes Beispiel für Irrationalität in der täglichen Propaganda ist der „Erfolg“, den Bundeskanzler Scholz in den Arabischen Emiraten erzielt haben soll. Abgesehen davon, dass man vom Despoten Putin zu den Menschenrechtsverächtern gewechselt ist, umfasst der mit den Emiraten ausgehandelte Deal über Flüssiggas seiner Menge nach etwa einen halben Tag geliefertes Gas aus Nord Stream 1.
Die deutschen Speicher seien fast gefüllt, man könne dem Winter getrost entgegensehen. Unser Wirtschaftsminister hat sich tatsächlich zu dem Spruch hinreißen lassen, wenn genügend Energie gespart würde und das Wetter mitspielt, würden wir gut durch den nächsten Winter kommen. Das ist Voodoo-Politik.
Gespart wird sicherlich genug, denn es geben täglich mehr Unternehmen wegen der hohen Energiepreise auf oder drosseln die Produktion. Politiker bereiten uns schon darauf vor, dass Saunen und Schwimmbäder geschlossen werden müssten. Theater, Museen und andere Kultureinrichtungen ebenso. Viele Haushalte werden zum Sparen beitragen, weil sie die horrenden Rechnungen für Gas nicht mehr bezahlen können.
Aber dieser Winter ist erst der Anfang. Welche Dynamik die Deindustrialisierung erreicht, die von der Ampel-Regierung hingenommen, oder, was die Grünen betrifft, gewollt wird, ist noch unklar. Klar ist aber bereits jetzt, dass wir auf die größte Wohlstandsvernichtung zulaufen, die es seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts gegeben hat.
Solange an der „Energiewende“ festgehalten wird, ist keine Besserung der Lage möglich.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen, ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Sie betreibt einen Blog, den ich sehr empfehle. Der Beitrag erschien zuerst auf Vera Lengsfelds Blog.
Bild: ShutterstockText: Gast