Was hat es mit den Biolaboren in der Ukraine auf sich? Wurden tatsächlich mit Hilfe der USA Biowaffen entwickelt?

Zwei Wochen nach Beginn der sogenannten „Sonderoperation“, wie der Überfall auf die Ukraine in Russland heute genannt wird, behaupten die russischen Behörden, dass die Ukraine in ihren Laboren unter amerikanischer Kontrolle angeblich biologische Waffen entwickelt. Außenminister Sergej Lawrow hat behauptet, dass die Experimente auf die Entwicklung „ethnisch orientierter Waffen“ abzielten. Mein Moskauer Kollege Alexej Naryschkin, bis vor kurzem bei dem jetzt aufgelösten kritischen Radiosender „Echo Moskaus“ tätig, hat dazu ein Interview mit dem russischstämmigen Epidemiologen Michail Faworow geführt. Dieser bezweifelt den Wahrheitsgehalt der Moskauer Informationen. Seinen Worten nach gibt es solche Labore und die von den russischen Behörden erwähnten Stämme auch in Russland selbst. Die Experimente, von denen die Rede ist, dienten friedlichen Zielen, und den Amerikanern sollte für ihre Beteiligung und Finanzierung an diesen gedankt werden. Im Internet wird hier gezielt Propaganda gestreut und dabei mit Tricks gearbeitet. So wird behauptet, die USA hätten selbst die Existenz von Laboren zugegeben. Das stimmt. Aber nur von Biolaboren. Und nicht von Biowaffenlaboren, wie suggeriert wird. Solche Labore gebe es aber in allen größeren Ländern der Welt, betont Faworow, der früher Vize-Chef des UNO-Instituts für Impfstoffe in Südkorea war: „So was gibt es in jeder Region in Russland. Der Betrug liegt im Wort ‘Waffen‘, das man da hinzufügt, das ist eine Täuschung, alles andere stimmt.“

So eine Forschung sei wichtig und nötig, es gehe um Krankheitserreger und Mikroben, die besonders gefährliche Infektionen hervorrufen, so Faworow: „Wie gesagt, in jeder Region haben wir das in unserem eigenen Land. Diese Bakterien wurden in den 1970er Jahren, bis in die 1980er Jahre hinein für Experimente für einen Biowaffenkrieg verwendet. Schon im Mittelalter soll man ja versucht haben, Pest-Leichen in belagerte Städte zu werfen, um dort Pest hervorzurufen. Aber das sind eher Legenden. Fakt ist, dass jeder Staat ein Monitoring von Krankheitserregern betreibt, die Kranken untersucht nach diesen und potentielle Überträger erforscht.“ So würden etwa bis heute Erdhörnchen die Pest übertragen, weswegen hier ein ständiges Monitoring durch Biolabore unerlässlich sei. Auch in der Ukraine gäbe es große Steppen-Gebieten, in den Erdhörnchen vorkommen. „Jedes normale Land, vor allem in der früheren Sowjetunion, und vor allem mit Steppen-Gebieten, muss solche Biolabore vorhalten.“

Naryschkin fragte nach, warum in ukrainischen Laboren laut russischen Quellen Pesterreger in Containern gehalten und nun vernichtet wurden. Faworow: „Solche Container sind Standard, damit die Erreger nicht ausbrechen. Die größte Kollektion haben wir in Russland im Labor ‚Vektor‘ in Nowosibirsk, und auch in Moskau. Auch in Almaty gibt es die.“

Naryschkin: „Wir haben also bei uns in Moskau wirklich genau die gleichen Pest-Behälter, die man jetzt den Ukrainern vorwirft?“

Faworow: „Was die Pest angeht, muss ich nachdenken, wo die sein können. Ob die genau in Moskau sind, heute noch, kann ich nicht sagen. Aber warum müssen wir diese Pestbakterien haben?“ Die betreffenden Erreger seien verhältnismäßig harmlos und als Biowaffe gar nicht zu gebrauchen. Biologische Waffen seien in erster Linie ein Element, um die Menschen einzuschüchtern und ihnen Angst zu machen. In der Sowjetunion habe es ein ganzes Netz von Pestbekämpfungsinstituten gegeben. Eines der zwischen 80 und 120 Labore dieser Art sei etwa in Odessa in der Ukraine beheimatet gewesen. Man habe dort etwa immer nach neuen Pesterregern Ausschau gehalten.

Selbst Zeuge solcher Lagerung

Auf die Frage, ob es heute noch Biowaffen gebe, antwortete Faworow: „Man braucht für diese Waffen ja immer auch Träger, aber soviel ich weiß, befasst sich damit heute niemand mehr, also spricht viel dafür, dass es keine einsatzbereiten gibt.“ Aber in irgendwelchen Kellern gäbe es wohl noch entsprechende Erreger, etwa Pocken-Erreger. Im Labor „Vektor“ in Novosibirsk sei er selbst Zeuge solcher Lagerstätten geworden.

Die in Filmen verbreitete Vorstellung, dass man irgendwelche Erreger wie Cholera in die Wasserversorgung einer Stadt geben und so viele Menschen dort anstecken könne, sei nicht realistisch, meint Faworow. Als Naryschkin dem Epidemiologen Aussagen des russischen Verteidigungsministeriums vorliest, wonach die ukrainischen Labore mit Corona-Viren von Fledermäusen arbeiteten und versuchten, mit deren Hilfe die Afrikanische Schweinepest und Milzbrand zu verbreiten, bekommt Faworow fast einen Lachkrampf: „Eine Fledermaus kann keine afrikanische Schweinepest übertragen!“ Fakt sei, dass sich alle einschlägigen Labore in Russland an der Forschung mit Corona-Viren beteiligt haben. Tatsächlich kam es kurz vor COVID-19 im September 2019 zu einer Explosion in dem von Faworow erwähnten Biowaffen-Labor „Vektor“ in Russland,

Dort hatten sich Forscher 1988, 1990 und 2004 mit Ebola- und Marburg-Viren angesteckt. Nur einer überlebte die Infektion.

In dem Unfalllabor soll auch mit Corona-Viren geforscht worden sein – laut Faworow taten das alle der 80 bis 120 Pestbekämpfungslabore in der Sowjetunion. Ohne so eine Forschung hätten sie weniger Geld bekommen. Auch an der Afrikanischen Schweinepest wurde überall geforscht: Gerade in Gebieten, wo es viel Schweinehaltung gibt, wie in der Ukraine. Den Corona-Virus mit der Afrikanischen Schweinepest in Verbindung zu bringen und dann auch noch mit Fledermäusen, das schaffe nur ein krankes Gehirn, in diesem Fall aus dem Verteidigungsministerium, so der Epidemiologe lachend und kopfschüttelnd.

Naryschkin fragte nach, warum die USA nun erklärte, man habe Angst, dass diese Krankheitserreger aus den Laboren jetzt in die Hände der Russen fallen. „So etwas ist aus der Erklärung nicht herauszulesen, da ist nicht von Händen der Russen die Rede, ich habe das zehnmal nachgelesen! Ich war ja selbst an diesen Maßnahmen beteiligt. Ich war Leiter eines solchen Labors für die Kontrolle von Infektionskrankheiten, das von den USA finanziert wurde, in Zentralasien.“ Ziel dieser Labore sei es, Krankheitsausbrüche durch seltene, aber sehr gefährliche Krankheitserreger zu verhindern und ggf. zu verfolgen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe in diesen Laboren oft Chaos geherrscht, es habe Missbrauch-Gefahr bestanden. Deshalb habe sich die USA hier engagiert, um so einen Missbrauch zu verhindern.

Finanzierung veralteter Labore

Das deckt sich mit Medienberichten, wonach die USA solche Labore auch in der Ukraine mitfinanzierte. Allerdings nicht geheim, wie unterstellt wird, sondern im Rahmen eines Programmes zur Beseitigung und Prävention von Massenvernichtungswaffen. Detaillierte Unterlagen dazu sind etwa auf der Webseite der US-Botschaft in Kiew nachzulesen. Denen ist zu entnehmen, dass die USA Sicherheitsmaßnahmen für die oft hoffnungslos veralteten Labore finanzierten. Teil des Programmes ist demnach auch, Pandemien, die von Biowaffen oder natürlich mutierten Viren ausgehen, zu bekämpfen, wie etwa Anthrax, Pocken oder Vogelgrippe. Dazu werden auch Wirtstiere wie Zugvögel und Fledermäuse untersucht. Man müsse den USA danken, dass sie die Sicherheit dieser Labore gewährleistet haben.

Belege für seine Behauptung, diese Labore hätten nur als Tarnung für geheime Biowaffen-Programme in der Ukraine gedient, konnte Russland nicht vorlegen. Mehr noch – laut Fachleuten wie Faworow sind die Vorwürfe teilweise absurd. Auch die Behauptung aus Moskau, man habe an Biowaffen geforscht, die nur für bestimmte Menschengruppen oder Nationen gefährlich sind, hält Faworow für unrealistisch: „So was kommt in der Natur vor, das kann man beobachten, aber das künstlich im Reagenzglas zu erzeugen, zielgerichtet, das geht nicht. Es gibt keine Pferdekrankheit, an der nicht auch Esel erkranken können“.

Die USA hatten in den 1990er Jahren auch den Transport der ukrainischen Atomwaffen nach Russland in wesentlichen Teilen bezahlt – was wenig Sinn gemacht hätte, wenn ihr Ziel gewesen wäre, Russland anzugreifen. Gleichzeitig das Atomwaffen-Potential eines anderen Landes massiv aufzustocken und Biowaffen gegen dieses auszuarbeiten, passt in meinen Augen schlecht zusammen.

Ich bin kein Fachmann für Biowaffen und auch keiner für Biolabore. Ich kann den Wahrheitsgehalt der Aussagen von Faworow, der große Stücke auf die Corona-Impfung hält, nicht detailliert überprüfen. Was mir aber auffällt, ist die Missinterpretation von Aussagen aus den USA in vielen „alternativen“ Medien, bei denen aus „Biolaboren“ über den Kontext „Biowaffenlabore“ werden. Und das Fehlen von Fakten für die Behauptung mit den Biowaffen. Ich muss bei solchen Themen auch an Desinformation russischer Medien von 2014 denken, denen zufolge in der Ukraine Adolf Hitler auf Geldscheinen abgebildet sei und dort Konzentrationslager für Russischstämmige errichtet würden. Angesichts des Medienkrieges ist es besonders wichtiger, auch Gegenpositionen aufzuführen.

Der ukrainische Präsident Selenskyi hat die Vorwürfe aus Moskau übrigens als absurd zurückgewiesen: „Mich beunruhigen diese Vorwürfe, weil wir schon mehrfach erlebt haben, dass man die Absichten Moskaus genau daran erkennt, was man dort den anderen vorwirft. Diese Vorwürfe aus Russland zeigen, dass man dort zu so etwas in der Lage ist, dass man dort so etwas will. Die haben das ja auch in anderen Ländern gemacht – dem Gegner solche Sachen vorgeworfen, und dann genau das selbst gemacht! So haben sie Transnistrien von Moldawien losgerissen, Abchasien von Georgien, den Donbas und die Krim von der Ukraine. Dann macht man denen Vorwürfe, den Opfern, die gezwungen sind, sich zu wehren, für ihr Recht zu leben, kämpfen müssen. Sie kommen zu uns mit Raketen und Panzern, klauen das, was uns gehört, und verheimlichen das vor ihrem eigenen Volk. Aber schuld sind wir, man wirft uns vor, das angeblich friedliebende Russland anzugreifen.“ Die Mehrzahl der Biolabore sei ein Erbe aus Sowjetzeiten, und man befasse sich dort mit normaler Forschungsarbeit, nicht mit militärischen Projekten: „Wir sind zurechnungsfähige Leute, ich bin Vater von zwei Kindern, wir produzieren keine chemischen oder anderen Massenvernichtungswaffen, und das wissen sie genau!“

Das Leid in der Ukraine ist unermesslich. Es trifft auch viele Freunde von mir, weswegen es mich ganz besonders bewegt. Bitte helfen Sie den Menschen dort – hier finden Sie eine Übersicht, wie Sie helfen können. Einen guten Hinweis für Hilfe, die direkt bei konkreten Menschen ankommt, finden Sie in einem Artikel von kath.net über diesen Link hier.

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Bild: IRINA SHI/Shutterstock
Text: br

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