Berlin spielt mit Russland gegen die Ukraine "Stop" von Nord Stream 2 nur ein semantischer Trick?

Gastbeitrag von Jerzy Maćków, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg

Seit zwei Jahrzehnten übt sich Berlin im öffentlichen Vortäuschen einer Empörung über die russische Expansionspolitik, während es Russland mit gemeinsamen Projekten de facto unterstützt. Nicht nur symbolisch steht das Nord Stream 2 für diese Doppelzüngigkeit, die auf der – gelinde gesagt – naiven Vorstellung basiert, dass Deutschland sowohl die Ukraine als auch seine von Russland bedrohten Verbündeten im Osten wie die USA, von Russland ganz zu schweigen, austricksen kann. Ohne jegliches Verständnis für die wahren Ziele der russischen Politik glauben deutsche „Staatsfrauen und Staatsmänner“ des 21. Jahrhunderts, dass sie ungeachtet der imperialen Absichten Russlands an Geschäften mit diesem gut verdienen und zugleich den vom Kreml reglementierten Zugang zum russischen Markt bekommen werden. Sie ähneln diesen Kapitalisten, über die Lenin einst sagte, dass sie so gierig seien, dem Sowjetstaat die Schnur zu verkaufen, auf der sie dieser hängen würde. 

Lenins Metapher trifft aber auf die Bundesrepublik nur eingeschränkt zu. Berlin verkaufte die Schnur nicht, sondern gab sie dem Kreml umsonst. Es kommt hinzu, dass mit dieser nicht Deutschland, sondern ein anderer Staat – die Ukraine – gehängt werden sollte, falls die USA und ihre Verbündeten außer Sanktionen, nichts unternehmen werden. Und sie werden nichts unternehmen. Ob die Sanktionen schmerzhaft und wirksam sein werden, steht auf einem anderen Blatt.

Mit ihrem pekuniar verstandenen Nationalegoismus haben die Deutschen die ukrainischen Interessen stets missachtet. Indem sie zusammen mit Russland gegen alle Kritik das Nord Stream 2 bauten, nahmen sie es in Kauf, dass die Ukrainer nicht nur Transitgebühren für die durch ihr Land laufenden Pipelines verlieren, sondern auch vom Kreml erpresst werden. Die deutsche Heuchelei wurde am besten von Angela Merkel im November des letzten Jahres demonstriert. Nachdem sie in Moskau von Putin lächelnd einen (in Packpapier umgewickelten) Blumenstrauß entgegengenommen hatte, versicherte sie während eines Zwischenlandungsbesuchs in Kiew die Ukrainer darüber, dass ihre Nachfolgerregierung schon dafür Sorge tragen werde, dass das russische Gas weiterhin über die Ukraine fließen würde. Zeitgleich verhinderte ihre Regierung den Waffenverkauf an die Ukraine durch die NATO. 

Immerhin unterstützt inzwischen die Bundesrepublik die Ukraine militärisch. Die fünftausend Helme, die sie dem bedrohten Land zur Abwehr der russischen Aggression geschenkt hatte, sind dort gerade noch rechtzeitig vor dem russischen Einmarsch angekommen. Ebenso ein Lazarett. Toll! Die Ukrainer werden es sicher gut gebrauchen.

Mal sehen, wie sich nun die Bundesrepublik in der Diskussion um die Sanktionen gegen Russland positionieren wird, um das Nord Stream 2 zu retten. Für alle, die daran gewöhnt sind, zu glauben, was Berlin in dieser Angelegenheit so zu behaupten pflegt: Achten Sie auf die Wortwahl! Achten Sie darauf, ob Berlin vom „Aufgeben“ oder vom „Stoppen“ des Projekts spricht! 

Wetten, dass die Inbetriebnahme der Pipeline „gestoppt“, d.h. bloß verzögert werden sollte?

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können

Jerzy Maćków, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Regensburg. Seinen Blog finden Sie hier. Besuchen Sie auch seine Gruppe Multiplikatoren auf Facebook!

Bild: Seneline/Shutterstock
Text: Gast

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