Corona: Was man gegen den Hass tun kann Ratschläge gegen die Spaltung

Ein Gastbeitrag von Verena Zimmermann*

Friedliche Demonstranten werden von wütenden Gegendemonstranten flankiert, beschimpft oder auch tätlich angegriffen. Woher kommt dieser Hass?

Nicht ohne Grund heißt es, man solle in Familie oder auf Festen nicht über Politik oder Religion sprechen. Politik und Religion sind keine reinen Faktenwissenschaften. Sie rühren an unser Innerstes. An unser Wertesystem, das wir uns von klein auf aufbauen und in der Pubertät und im folgenden Leben ausarbeiten und mit Erlebnissen füllen und verfestigen. Zu diesem Wertesystem gehören unsere Antworten auf Fragen wie: „Wie stehe ich zu Autoritäten? Welchen Quellen vertraue ich? Von wem wurde ich enttäuscht?“ Oder auch: „Können Autoritäten irren? Können sie betrügen oder verbergen?“ Antworten auf diese und ähnliche Fragen findet jeder für sich, auf Basis von Vererbung, Erziehung und Erfahrung – und daraus entsteht ein innerster Kern an Überzeugungen und Werten. Dieses „Ich“ verteidigt fortan seinen Platz im Leben – in einem durchaus Darwinschen „Kampf ums Dasein“.

Wird unser innerstes Ich dann mit einer Gegenposition konfrontiert – begegnet es also einem Gegenentwurf eines „Ichs“ – so ist dies durchaus vergleichbar mit der Begegnung zweier Tiere im Tierreich; es folgt ein Umkreisen und ultimativ ein Kampf um die ökologische Nische. Geht es also beispielsweise in Diskussionen nicht um Abstraktes, von dem wir uns innerlich distanzieren können, sondern vielmehr um Dinge, die unsere ureigenen Antworten auf zentrale Fragen der Ich-Definition betreffen – dann führt dies bei als zu konträr empfundenen Einstellungen anderer zu einer starken Abwehrreaktion: Wir lassen uns aus unserer Nische nicht verdrängen, wir lassen uns nicht den Boden unserer Existenz entreißen, wir lassen uns nicht fundamental in Frage stellen: wir wollen uns auch nicht fundamental verändern lassen, da dies durchaus als Auflösung empfunden werden kann, also als Verloren-Gehen; in diesem „Kampf ums Dasein“ ist es viel leichter, wenn der als Angreifer empfundene andere unterliegt, verschwindet, verstummen muss.

Diese tiefsten Ängste des Verdrängt-Werdens aus unserem „Ich“ führen an der Oberfläche zu aggressiven Abwehrreaktionen. Ein ruhiger Dialog und Austausch ist folglich am ehesten dann möglich, wenn die Antworten auf fundamentale Ich-Fragen zwischen zwei Personen nicht zu entgegengesetzt beantwortet werden – man sich also in zentralen Punkten einig ist. Oder wenn eine Persönlichkeit so gefestigt ist, dass sie die Andersartigkeit des anderen nicht als Bedrohung des eigenen Ich – nicht als Hinterfragung mit Potenzial zur Tilgung eigener Positionen – begreifen muss. Wie wir aus eigener Erfahrung wissen, sind derart gefestigte Persönlichkeiten eher eine Seltenheit. Vielleicht ist der Dalai Lama ein Beispiel.Eine weitere Stärkung des Ichs erfährt mancher übrigens auch durch den Anschluss an Gruppen ähnlicher Wertesysteme. Wir denken dabei gleich an politische Aktivistengruppen beider Richtungen. Gruppen, die ihre geteilten Werte zuspitzen und schärfen in der Abgrenzung von Gruppen abweichender Werte. So, wie sich ein Rudel sein Revier definiert und verteidigt.

Dieser Beitrag soll einladen. Dazu, sich selbst als Teil jenes Tierreichs zu sehen, aus dem wir einst kamen. Zu verstehen, dass die Uremotionen noch in uns sind. Und bei dieser Betrachtung Abstand zu gewinnen vom eigenen Wertesystem. So dass auch Andersartigkeit mit Abstand betrachtet und geschätzt werden kann. Nur, wenn wir uns selbst distanziert betrachten lernen, können wir andere Positionen ohne animalische Emotionen in Ruhe anhören und stehen lassen – auch wenn sie unserem „Ich“ entgegen stehen.

Woher kommt also der Hass? Er kommt aus Angst. Wie eigentlich immer und überall. Aus Angst vor dem Verdrängt-Werden. Aus Angst, das eigene Ich könnte sich in der ernsthaften Auseinandersetzung verändern oder dabei gar auflösen. Diese Urangst hört nicht auf rationalen Dialog oder Worte oder friedliche Gesten. Es braucht wahrscheinlich eine andere Form des moderierten und vielleicht auch erzwungenen Dialogs. Sonst werden auch friedliche Demonstrationen in Zukunft nicht ohne Aggressionen der Gegenseite ziehen können.

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Verena Zimmermann ist Wissenschaftsphilosophin und schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: pathdoc/Shutterstock

Text: Gast

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