Wieler zu Delta-Variante: „Noch nicht genügend Daten“ Spahn: "Deutschland eines der freiesten Länder der Welt"

Die Delta-Variante und ihr Gefahren standen auch am Freitag wieder ganz im Mittelpunkt – auf der Bundespressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem Leiter seiner obersten Bundesbehörde, RKI-Chef Lothar Wieler. Da selbst regierungsnahe Virologen wie Prof. Kekulé die Delta-Variante für nicht gefährlicher halten als die aktuell vorherrschende Variante, wollte ich von den beiden Herren wissen, was denn nun stimmt. Die Antwort hat mich überrascht. Ich hakte dann nach und wollte wissen, wie Corona-Maßnahmen überhaupt noch zu rechtfertigen sind, wenn allen Menschen ein Impfangebot gemacht wurde. Spahn verwies wie bereits früher auf die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens. Drohen die Maßnahmen damit zum Dauerzustand zu werden? Darum und um weitere interessante Themen rund um den Journalismus geht es heute in meinem Video von der Bundespressekonferenz – dem letzten dieser Art, da ab sofort die Liveübertragungen nicht mehr gestattet sind. Hier finden Sie mein Video.

Weiter unten können Sie das Wortprotokoll meiner Fragen an Spahn und Wieler sowie deren Antworten lesen, ebenso das von meinen Fragen an die Sprecherin des Gesundheitsministeriums: Warum spricht RKi-Chef Wieler nur noch von OP-Masken, aber nicht von FFP2-Masken? Hat die Regierung die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen mit Studien überprüfen lassen?

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

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REITSCHUSTER: Herr Wieler hat heute mehrfach auf der vorherigen Pressekonferenz darüber gesprochen, dass Masken auch weiterhin Sinn ergäben. Er sprach dabei aber explizit immer nur von chirurgischen Masken. Er nahm das Wort FFP2-Masken überhaupt nicht in den Mund. Gibt es irgendeine Veränderung bei der Strategie der Regierung im Hinblick auf FFP2-Masken?

SPAHN-SPRECHERIN HAJABI: Da gibt es keine Veränderung. Es bleibt auch bei den FFP2-Masken.

REITSCHUSTER: Können Sie mir dann erklären, warum Herr Wieler heute immer nur von der Schutzwirkung von Operationsmasken sprach und das Wort FFP2-Masken gar nicht in den Mund nahm?

HAJABI: Ich kann nicht mehr als das sagen, was Herr Wieler gesagt hat. Aber ich kann Ihnen sagen, dass FFP2-Masken und KN95-Masken weiterhin gelten und dass die Bundesländer auch die entsprechenden Regelungen aussprechen.

REITSCHUSTER: Welche von ihren bisher verhängten Maßnahmen hat die Bundesregierung zwischenzeitlich mit Studien oder anderen Arbeiten auf ihre Wirksamkeit überprüft?

HAJABI: Es ist so, dass das RKI fortwährend die Studien überprüft und aktualisiert. Das finden Sie auch alles auf der RKI-Internetseite.

REITSCHUSTER: Da haben wir uns aber offenbar missverstanden! Ich habe nicht gefragt, ob das RKI seine Studien überprüft. Die Frage war, welche von der Regierung verhängten Maßnahmen es gibt ja ganz verschiedene bisher auf ihre Wirksamkeit mit Studien oder anderen Arbeiten untersucht wurden.

HAJABI: Da kann ich mich eigentlich nur wiederholen: Alle Studien werden fortgehend überprüft und aktualisiert. Es kommen auch immer wieder neue Studien hinzu, die auch noch in die Maßnahmen einfließen.


Reitschuster: Eine Frage an Herrn Prof. Wieler und an Herrn Spahn. Der Bundestagsvizepräsident Kubicki von der FDP hat gesagt, die Strategie der Bundesregierung sei durch fortdauernde Schreckensnachrichten Angst zu erzeugen. Nun hat Herr Kekulé in einem Gastbeitrag geschrieben, dass die Delta-Variante zwar ansteckender sei, aber sie sei nicht so gefährlich wie die aktuelle Variante. Er sagte wörtlich: „Die eignet sich nicht für Schreckensszenarien.“ Wie ist da Ihre Einschätzung? Danke!

Wieler:
Also wir berichten ja immer nüchtern sachlich über die Fakten, die uns zur Verfügung stehen. Und sobald diese Dinge sich dann bestätigen, d.h. also durch vor allen Dingen auch durch Publikationen, die auch in einem sogenannten PreReview-Verfahren sind, werden die von uns berichtet. Also ich kann Ihnen folgendes sagen zu der Delta-Variante, aber das sind, wirklich, wir haben noch nicht genügend Daten, um wirklich klar zu sagen wie gefährlich oder ungefährlich oder wie vergleichbar sie ist, aber ich kann Ihnen mal die Daten aus Deutschland jetzt nur nennen. Wir haben ja in Deutschland so seit der elften oder so dreizehnten Woche, haben wir die Delta-Variante und wir haben ja schon viel länger die Alpha-Variante. Wir können also einen bestimmten Zeitraum, also einige Wochen auf jeden Fall, elfte bis vierundzwanzigste Woche können wir so vergleichen. Und dann sehen wir, dass momentan und das, was ich jetzt sage, sind die Zahlen aus dem Meldewesen, also d.h. die Zahlen, die von den Gesundheitsämtern uns gemeldet werden. Da sehen wir, dass, also dass insgesamt bei jüngeren Menschen vorkommt, aber das ist natürlich auch klar, dass die Impfquote steigt, dann sind natürlich mehr Jüngere betroffen, wo die Impfquoten noch so geringer sind. Aber wir sehen bei vergleichbaren Altersgruppen, die infiziert sind, dass bei der Delta-Variante momentan, Stand vorgestern, 11% derjenigen, die infiziert wurden, werden hospitalisiert, die mit Delta infiziert wurden. Im Vergleichsraum wurden 5% derjenigen hospitalisiert, die mit Alpha infiziert wurden. Also das ist jetzt erstmal eine Zahl. Also momentan kann ich das nicht bestätigen, momentan deuten unsere Meldezahlen dahin, dass also quasi doppelt so hoch die Hospitalisierungsrate ist. Das ist einfach eine Zahl, ein Fakt und den werden wir weiter beobachten. Was vor allen Dingen auch bemerkenswert ist, das ist, wenn wir uns die Altersgruppe zwischen 15 und 34, also wirklich junge Menschen anschauen, dort ist das besonders stark ausgeprägt. Das ist jetzt ein Fakt, den ich Ihnen berichten kann. Und insofern gibt es im Moment aus meiner Sicht und natürlich gibt es noch andere Daten, vielleicht kann Herr Sander auch noch ergänzen, es gibt das Vereinigte Königreich, die sprechen eigentlich nicht dafür, dass Delta vielleicht weniger gefährlich wäre als Alpha sondern auch die sprechen eher für das Gegenteil. Aber wie gesagt. Das sind ja alles noch sehr junge Daten. Wir werden das weiter beobachten.

Spahn:
Zu den Daten vielleicht noch Herr Sander und dann mache ich das politisch.

Prof. Sander (Charité):
Ich glaub, da gibt es gerade eine große Studie, die jetzt auch veröffentlicht und eben auch begutachtet im Fachjournal „The Lancet“, die eben aus Schottland berichtet. Wo durchaus Vergleichspersonen, die sich mit einer Delta-Variante angesteckt haben im Vergleich mit der Alpha-Variante auch, wie in Deutschland, mehr Leute ins Krankenhaus müssen. Das ist im Prinzip einfach jetzt eine Beobachtung und ich glaub, man kann jetzt nicht sagen, dies sei jetzt einfach eine harmlosere Variante. Das, was wir hoffentlich sehen, ist dass wir Infektionen immer weiter sage ich mal aus dem sehr vulnerablen Gruppen raushalten können und dass deswegen dann glücklicherweise weniger Leute versterben. Das haben wir schon in der dritten Welle mit der Alpha-Variante sehen können, dass wir weniger alten Menschen auf der Intensivstation hatten. Und deswegen nochmal der Appell, wenn wir uns impfen, dann können wir auch solchen, möglicherweise ansteckenderen und gefährlicheren Varianten standhalten.

Spahn:
Wissen Sie ich frage mich immer, was sozusagen die Einstellung dahinter ist, sowas… Warum sollte die Bundesregierung, wie war das Wort, mit solchen Szenarien arbeiten. Die Frage ist, was ist eigentlich die Unterstellung dahinter, frag ich mich dann immer. Ich bin echt ein freiheitsliebender Mensch, bin so super dankbar in einem der freiesten Länder der Welt zu leben. Glaubt hier irgendjemand wir haben Freude daran, Freiheiten einzuschränken? Also ich frag mich immer, was soll diese Unterstellung dahinter eigentlich heißen? Ich möchte, dass wir so schnell wie möglich wieder in eine Situation kommen, dass jeder frei seine Sachen tun kann, ohne dass irgendwas eingeschränkt wird. Weder Gewerbetriebe eingeschränkt werden, Einzelhandel eingeschränkt wird, die Frage, ob man feiern kann, sich treffen kann, Schule, sich bilden kann, alles soll wieder möglich sein. Aber eben unter sicheren Bedingungen für die Gesellschaft, was auch die Gesundheit angeht. Denn auch die Gesundheit gehört zur Freiheit. Was hilft einen die schönste Freiheit, wenn viele krank sind dabei oder man selber vielleicht auch. So und das ist diese Balance, um die wir ringen. Und wenn einer erlebt das Ringen, dann ja jemand, der über viele Stunden über diese Debatten wacht. Wird ja jeden Tag gerungen darum. Und was wir machen ist, wir sagen einfach wie es ist und beschreiben die Abwägungen, die daraus folgen und die Entscheidungen, die aus unserer Sicht aus diesen Abwägungen folgen. Und was mir halt am wichtigsten ist, ist, dass wir das wirklich unter großer Härte, Verlusten, Schmerzen Erreichte, jetzt Mitte Juni miteinander Erreichte, dass wir das sichern. Was nützt es uns denn, wenn wir jetzt alle, weil wir so das Gefühl haben, Sommer, gutes Wetter und das Gefühl hab ich ja auch. Aber es hilft uns ja nix, wenn wir jetzt so tun, als wäre es weg. Es ist nicht weg. Es ist noch da. Und ich finde, es gehört zur Verantwortung in der Politik dazu, dann die Dinge auch auszusprechen und eben zu sagen miteinander „Es liegt an uns, Leute, ob wir das Erreichte sichern, ob Herbst und Winter eine Zeit werden, wo wir die Dinge besser unter Kontrolle haben oder eben nicht“. Und da finde ich solche Kategorien, wie Sie sie eingangs genannt haben, nicht hilfreich für eine gute Diskussion.

Reitschuster:
Zu Ihrer Gegenfrage, was soll die Unterstellung, müssen Sie Herrn Kubicki fragen. Ich gehe davon aus, dass er sich auf das Strategiepapier des Innenministeriums bezieht, wo explizit von dem Schüren von Angst die Rede war. Können Sie auch nachlesen. Aber die Nachfrage. Sie hatten ja immer die Maßnahmen damit gerechtfertigt, dass vor allen Dingen die vulnerablen Gruppen geschützt werden müssen, die Risikogruppen. Jetzt haben selbst die Experten hier gesagt, die Impfung schützt auch gegen Delta. Wenn damit die vulnerablen Gruppen geschützt sind, warum dann weiter Maßnahmen? Danke!

Spahn:
Na zuerst einmal, es gibt ja zwei Aspekte. Und das wird übrigens eine sehr schwieriger Debatte, die wir dann miteinander werden führen müssen in den nächsten Wochen. Der Anteil der Geimpften und der vollständig Geschützten steigt, aber er ist eben nun noch nicht so hoch, dass sozusagen gar nichts mehr an Infektionsgeschehen da ist. Und die Frage ist, wie finden wir da die richtige Balance. Das hat zwei Aspekte. Das eine ist ein sehr individueller Aspekt. Wenn jedem eine Impfung angeboten worden ist, hat dann eigentlich derjenige, der sich nicht impfen lässt einen Anspruch darauf, dass alle anderen im Raum, die geimpft sind, wegen ihm die Maske tragen oder wegen ihr. Und ich finde, nee, grundsätzlich aus dem individuellen Aspekt nicht. Wer sich hat schützen können, kann nicht erwarten, dass alle anderen jetzt, ihn oder sie dann besonders schützen und immer alle Maßnahmen sozusagen nur darauf bezogen. Also das ist der individuelle Aspekt. Aber es kommt ein zweiter dazu. Und das ist seit Beginn dieser Pandemie unser Hauptaspekt. Eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden. So. Und darum, und das macht das Robert Koch Institut wie andere auch, aber das Robert Koch Institut ja auch für uns und in unserem Auftrag. Und wir besprechen das regelmäßig natürlich auch miteinander. Und das werden wir jetzt im Juli halt auch nochmal miteinander hier gemeinsam auf Herbst und April… Herbst und Sommer.. Herbst und Winter schauen. Es ist ja die Frage, was heißt denn das, wenn in Deutschland 70% oder 80% geimpft sind. Dahin müssen wir erstmal kommen, ich hoffe, es machen viele mit. Was heißt das, wenn die über 60-Jährigen zum größten Teil geimpft sind, die 20-, 30-, 40-Jährigen aber vielleicht nur zu einem geringeren Teil? Was heißt das, wenn dann Delta einfach ohne jede Maßnahme zirkulierte. Was heißt das dann für das Gesundheitswesen, was heißt das für den Einzelnen, aber auch für das Gesundheitswesen? Das kann man ja alles, zumindest mit Annahme, modellieren. Das ist ja immer wichtig, keine Vorhersagen, das sind Modelle mit Annahmen. Und das ist das, was uns bewegt und beschäftigt. Das eine, wie gesagt, dieser individuelle Aspekt, wo ich eine sehr klare Meinung habe, wie sie gerade gehört haben, das andere ist, und da bin ich als Bundesminister für Gesundheit, ist das jedenfalls einer meiner, wenn nicht seit Beginn der Pandemie der Hauptfokus, die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Und das will ich dann auch erstmal miteinander hergeleitet haben, dass wir eine Impfquote erreicht haben, bei der das gegeben ist.


Bild: Phoenix/Youtube/Screenshot
Text: br


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