Corona macht krank, Corona kann töten.
Corona ist schlimm, verändert die Gesellschaft und das Leben. Darüber berichten wir. Geschichten, die Corona schreibt. Geschichten, die es nicht in die Medien schaffen. Wir geben Zahlen einen Namen und eine Seele. Die Serie „Kollateralschaden“ basiert auf Berichten Betroffener der Coronapolitik, damit keiner sagen kann: „Das haben wir nicht gewusst!“
Wir schreiben auf: Johanna Wahlig (Politologin, Journalistin, Unternehmerin) und Frank Wahlig (Historiker und 30 Jahre ARD-Hauptstadtkorrespondent) recherchieren für reitschuster.de. Wer aus seinem beruflichen oder privaten Leben einen „Kollateralschaden“ melden möchte: Vertraulich und persönlich, per E-Mail an [email protected].
Wolfgang, Willi und Matilda
Von Johanna und Frank Wahlig
Sie heißen Wolfgang, Willi, Matilda … Matilda hat gerade mit dem Leben begonnen, Willi steht mittendrin und Wolfgang genießt seinen Ruhestand. Was Wolfgang, Willi und Matilda verbindet: Sie warten auf eine Operation. Eine Operation, die ihr Leben verbessern sollte. Ihr gemeinsames Schicksal: Die Operation wurde abgesagt. Jetzt sind Wolfgang, Willi und Matilda tot. Gestorben im Coronajahr 2020.
„Verschiebung nicht dringlicher Operationen wegen Corona“ heißt die Devise bei Krankenhausgesellschaften, Kliniken sowie die Ansage aus der Politik. Damit Intensivbetten frei blieben für Corona-Patienten. Und um die Klinik- und Personalkapazitäten nicht zu überfordern.
Die Zahl operativer Eingriffe nimmt während des ersten Lockdowns in Deutschland um 41 Prozent ab, beziffert der Chirurgenverband. 52 000 abgesagte Krebs-OPs bereits bis Mai in Deutschland, schreibt aerzteblatt.de. Um Betten und Personal frei zu halten für Corona-Notfälle, so die Begründung. Bei der Verschiebung „nicht dringlicher Operationen“ handelt es sich offiziell um die Verschiebung etwa von Augen- oder Knie-OPs. Allerdings: Auch Krebs- und Herz-OPs werden abgesagt. Landesweit, bundesweit, europaweit. Globaler Behandlungsstau. 28 Millionen Wolfgangs, Willis und Matildas weltweit zum Lockdown 1.
Dies wurde Wolfgang, Willi und Matilda zum Verhängnis. Davon sind die Angehörigen überzeugt.
„Mein Baby könnte noch am Leben sein“, sagt Birgit Horrer, Mama von Matilda. Matilda hatte einen angeborenen Herzfehler, der zwischen dem 3. und 4. Lebensmonat hätte operiert werden sollen. Matilda wurde ab 15. März auf die OP vorbereitet. Der Termin zog sich hin. Juli, September, Oktober. Termine zugesagt, abgesagt, verschoben. Die OP fand nicht statt. Im Herbst kam eine Erkältung dazu. Zuviel für Matildas kleines, schwaches Herz. Am 2. Oktober 2020 hörte es auf zu schlagen. Sie wurde nicht einmal ein Jahr alt.
Auch die Angehörigen von Willi und Wolfgang sind sicher: Ihre Lieben könnten noch leben, wenn ihnen Operation und angemessene Behandlung zuteil geworden wären.
Wolfgang genießt seinen Ruhestand. Er lebt bei Rudolstadt. Er ist gern im Garten und draußen unterwegs und – abgesehen von den üblichen Zipperlein – fehlt ihm nicht viel. Für eine Rücken-OP begibt er sich ins Krankenhaus. Alles war vorbereitet, erinnert sich seine Frau Doris Meinhardt. Am nächsten Morgen sollte es losgehen. Sie verabschiedeten sich und wünschten „viel Glück“. Dann kam Lockdown 1. Ab diesem Tag hat sie „ihren alten Wolfgang“ nicht wiedergesehen. Die Rücken-OP wurde abgesagt. Wolfgang wurde abgeschirmt. „Kein Kontakt, keine Info.“ Er wurde verlegt. Selbst ein Zuwinken vom Parkplatz aus ans geöffnete Fenster wurde Doris verwehrt. „Keine Zeit“ beim Pflegepersonal. Doris ist verzweifelt und führt Tagebuch, um näher bei Wolfgang zu sein. Sechs Wochen später wird Wolfgang ohne Rücken-OP nach Hause gebracht. „In einem erbarmungswürdigen Zustand, ein Wrack. Er hatte über Wochen ohne Bewegung nur gelegen. Seine Biologie war kaputt“, erinnert sich seine Frau Doris. Zehn Tage später war Wolfgang tot.
„Wer zählt die, die nicht an oder mit Corona sterben, sondern an den Folgen dieses Notstands!“ fragt Matildas Mama Birgit.
„Krankenhäuser kündigen Verschiebung nicht dringlicher Operationen wegen Corona an“, titelt aerzteblatt.de im Oktober 2020 zum nächsten „Lockdown light“.
Text: Johanna und Frank Wahlig
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