Böser rechter Virus

Eigentlich sollte es ein kurzer, satirischer Text auf twitter werden: Erstaunlich, dass noch niemand auf die Idee kam, die Rechten jetzt auch noch für den Corona-Virus verantwortlich zu machen – so in etwa sollte mein „tweet“ lauten. Vorab habe ich noch ein bisschen im Internet gestöbert, wie es sich gehört für einen Journalisten. Und auf einmal habe ich meinen Augen nicht mehr getraut: Die Realität hatte meine satirischen Gedanken bereits überholt. Und zwar in Gestalt der Grünen-Bundestagsabgeordneten Kordula Schulz-Asche. Die Berlinerin ist gelernte Kommunikationswissenschaftlerin mit einer Magisterarbeit zum Thema „Medieneinsatz zur Gesundheitsaufklärung in der Dritten Welt am Beispiel einer Radiokampagne in Burkina Faso“; seit 1979 ist sie in der Politik, und wurde 1983 erstmals Abgeordnete. Also jemand vom Fach, der man nicht unbedingt unterstellen kann, dass ihr einfach im Eifer des politischen Gefechts ein Flüchtigkeitsfehler unterläuft.

Und wenn es einer wäre, dann würde man ihn nicht auf seine Website stellen. Auf dieser zitiert Schulz-Asche nämlich aus einem Protokoll ihrer Rede im Bundestag. Demzufolge hat sie vor dem hohen Haus gesagt:

Viren machen nicht vor vernagelten Türen oder Grenzen halt. Verschwörungstheorien und Rassismus fördern die Verbreitung von Viren, und zwar nicht nur in China, sondern auch hier bei uns.“

Weiter vermerkt das Protokoll: „Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der AfD: So ein Blödsinn!“

Gegen einen Versprecher spricht, dass Schulz-Asche in der Kunst der freien Rede deutlichen Optimierungsbedarf aufweist und sich an ihrem Manuskript entlang hangelt. Am Ende ihrer Rede wirft sie dann noch der AfD zweimal vor, Hass und Hetze zu verbreiten.

Man muss sich die Aussage der gewählten Volksvertreterin auf der Zunge zergehen lassen. Ich bin kein Virologe, aber dass Viren nicht vor vernagelten Türen halt machen, halte ich für eine eher gewagte Aussage. Auch, dass geschlossene Grenzen sie nicht aufhalten (ob eine Schließung realistisch wäre, ist eine andere Frage). Mit meinen medizinischen Laienkenntnissen kann ich auch nicht nachvollziehen, warum Verschwörungstheorien und Rassismus die Verbreitung von Viren fördern sollten. Vielleicht verstehe ich die Funktionsweise von Viren einfach nicht ausreichend, und Frau Schulz-Asche hat hier mehr medizinischen Durchblick. Den sollte sie dann aber auch erläutern. Andernfalls sollte sie sich fragen, ob sie wirklich intellektuell der Aufgabe gewachsen ist, als Abgeordnete des höchsten gesetzgebenden Organs über das Schicksal unseres Gemeinwesens verantwortlich mitzubestimmen.

Rassismus wird im heutigen Sprachgebrauch mit „Rechts“ gleichgesetzt, „Rechts“ wiederum mit Rechtsextremismus, und als rechtsextrem wird inzwischen sogar schon die FDP hingestellt – von den nicht vergrünten Teilen der Union ganz zu schweigen.

Die Grünen-Abgeordnete sagt also unter dem Beifall von zwei Fraktionen im Bundestag nichts anderes, als dass der politische Gegner für die wohl schlimmste Pandemie seit langer Zeit verantwortlich ist.

Als ich das Zitat der Grünen-Politikerin einem russischen Freund schickte, der gut deutsch spricht und in Russland sehr bekannt ist, rief er mich sofort an und wollte zuerst nicht glauben, dass es keine Satire ist (ebenso wie zuvor schon bei meiner Nachricht an ihn, dass der deutsche Gesundheitsminister vor einer Ausgrenzung von Infizierten warnt). Dann kam wie aus der Pistole geschossen seine erste Assoziation: „Das erinnert mich ans Mittelalter. Da machte man die Juden für die Pest verantwortlich! Damals endete das übrigens in Pestpogromen.“ .

Ich zuckte zusammen. „So etwas kann ich in Deutschland doch nicht schreiben“, war meine erste Reaktion. Er hielt dagegen – und fragte forsch nach, ob ich mich etwa zensieren ließe: „Was ist daran falsch? Darf man nicht auf Fakten hinweisen? Einknicken vor der politischen Korrektheit?“ Ich fühlte mich in meiner journalistischen Ehre getroffen. Und deshalb habe ich hier seine Antwort niedergeschrieben – mit ausdrücklichem Hinweis darauf, dass ich mich gegen die deutsche Unsitte verwehre, in alles gleich eine Gleichsetzung hinein zu interpretieren (wobei noch erschwerend hinzu kommt, dass hierzulande ständig grob irreführend „Vergleich“ mit „Gleichsetzung“ gleichgesetzt wird). So verrückt es wäre, in irgend einer Weise das mittelalterliche Geschehen gleichzusetzen mit einer absurden Aussage einer Abgeordneten und dem Applaus ihrer Kollegen – so verantwortungslos wäre es, sich nicht die Frage zu stellen, inwieweit ihre Aussage auf ähnliche Denkweisen zurückgeht – die Dämonisierung von Andersartigen, Ausgegrenzten bzw. Menschen mit anderen Ansichten. Und sie sind damit nicht allein: „Die AfD ist 1000 mal ekelhafter als das Virus“, ist in einem Kommentar auf twitter zu lesen.

Der russische Freund erklärte auch, wie es zu dem ebenso bösen wie absurden Vorwurf im Mittelalter kam: Die Juden hatten demnach in ihrer Heimat weitaus fortschrittlichere Hygiene-Gewohnheiten als im mittelalterlichen Europa, wuschen sich etwa regelmäßig die Hände. Und konnten deshalb überproportional oft der Infektion entkommen. „Gerade diese Geschichte sollte uns lehren, nie irgend eine gesellschaftliche Gruppe für Krankheiten verantwortlich zu machen, und deshalb ist es wichtig, das nicht zu verschweigen“, mahnte mein Freund. Was er weiter über die Grünen sagte, ist nicht druckreif und wohl auch justitiabel, deshalb sei es hier zur Vermeidung von neuen Klagen gegen mich verschwiegen.

Man kann zu «Rassisten“, der neudeutschen Umschreibung für Menschen mit Ansichten, die vom linksgrünen Zeitgeist abweichen, stehen wie immer man mag (ich persönlich etwa lehne echten Rassismus strikt ab, finde aber die Inflation und den Missbrauch des Begriffs unerträglich – auch weil er echten Rassismus verharmlost): Menschen mit anderen Ansichten bzw. den politischen Gegner für Viren verantwortlich zu machen, ist ein klarer Rückfall in mittelalterliches Denken, in die Zeit vor der Aufklärung. Der Applaus für Schulz-Asche enthüllt, in welchen Wahn heute viele Politiker in Deutschland verfallen sind. Dass ausgerechnet diese Politiker, die nun selbst für den Corona-Virus ihre Gegner verantwortlich machen, diesen ständig Hass und Hetze vorwerfen (im vorliegenden Fall in einem Atemzug), wird in weniger finsteren Zeiten als Treppenwitz in die Geschichte eingehen.

P.S.: Hier noch ein paar der besten Reaktion auf meinen Tweet über Schulz-Asches Aussage:


Bild: Ralf Roletschek via Wikicommons, Lizenz CC BY-SA 3.0, Pixabay.


Guten Abend aus Berin,

was für eine atemberaubende Woche! Zuerst das weitere Hickhack in Thüringen, und dann die Tragödie von Harnau. Seither, so hat man den Eindruck, steckt das Land im Ausnahmezustand, und eine vernünftige Diskussion ist kaum noch möglich. Es wird mit Reflexen reagiert statt mit Intellekt, mit lauten Parolen statt mit Nachdenklichkeit. Die Bluttat wird instrumentalisiert auf eine Art und Weise, die ich vorher kaum für möglich gehalten hätte. Zumindest kaum – denn, sind wir uns ehrlich, auch früher schon wurden Terrorattacken instrumentalisiert – gerade auch von denen, die diesmal Ziel der Instrumentalisierung sind. Unsere Gesellschaft ist so gespalten, wie zumindest ich das früher nicht kannte.

Selbst der Karneval ist davon erfasst: Statt die Mächtigen nimmt er vor allem die Opposition ins Visier (siehe hier)

Die Berliner SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli  schrieb auf twitter, dass alle AfD-Wähler die Massaker von Halle und Haunau okay fänden:

Meine Video-Analyse zu Thüringen
Chebli sieht sich selbst als Vorkämpferin gegen Hetze. Hier die Definition von «Hetze» aus dem Duden, damit Sie sich selbst ein Urteil bilden können, inwieweit es auf Cheblis Aussage zutrifft.
Ich bin in diesen Tagen sehr traurig. Ich habe schon einmal erlebt – in Moskau – wie eine Gesellschaft langsam ihre Freiheit verliert, ihre Demokratie, und wie dazu Terror instrumentalisiert wird. Die Angst, das noch einmal zu erleben, treibt mich um – weil ich so viele der Mechanismen wieder erkenne – manche bis ins Detail. Ich hoffe, dass ich einfach überempfindlich bin aufgrund meiner Erfahrung. Aber ich bin mir nicht sicher.

Ich bekomme sehr, sehr viele Zuschriften von Lesern, denen es ähnlich geht, wie mir: Die im Moment an unserem Land verzweifeln. Und in der Tat ist für Menschen, die in der Mitte stehen, derzeit wirklich kein Ausweg abzusehen: Auf der einen Seite Parteien, die immer enger zusammenrücken, in wesentlichen Themen, insbesondere den tabuisierten, einer Meinung sind oder diese überhaupt verdrängen, und die stramm dem linksgrünen Zeitgeist huldigen. Auch die FDP ist mit Thüringen gekippt. Bei jeder Gelegenheit geißelt sie sich selbst. Am Wahlabend entschuldigte sich Lindner, dass die Partei in Hamburg bei Sachfragen wie dem Umgang. mit Zigarettenkippen mit der AfD gestimmt habe – und Versprach Besserung. Rational ist all das nicht mehr nachvollziehbar.

Auf der anderen Seite – als einzige verbliebene Opposition, wie sie ein befreundeter Politikwissenschaftler nennt, die AfD, die sich regelmäßig selbst diskreditiert und aufgrund ihrer fehlenden Abgrenzung zum rechten Rand und zu Rechtsauslegern wie Höcke keine Alternative sein kann. Man ist als jemand, der Ideologie ablehnt, politisch heimatlos in diesen Tagen.

Faktisch erleben wir im Moment die Implosion unseres Parteiensystems – wie das Frankreich und Italien bereits hinter sich haben. Die CDU folgt der SPD in geradezu atemberaubendem Tempo. Die große Frage ist in meinen Augen: Wird sich die CDU noch einmal fangen und von ihrem linksgrünen Kurs lösen – die Leute wählen das Original, nicht die Anbiederung – und wenn nicht – wird sich eine Kraft finden, die ihren früheren Platz einnimmt und das Vakuum zwischen den nach links gerückten etablierten Parteien und der AfD, die noch weiter nach rechts zu rutschen droht, auffüllt? Die AfD wiederum steht vor der Herausforderung, sich von den radikalen Kräften in ihr zu trennen – woran sie bislang gescheitert ist; schafft sie da kein Wunder, droht ihr die weitere Stigmatiisierung bis hin zum Verbot. Ein solches würde dann endgültig den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland zu Grabe traben.

Mit einem Wort – höchst spannende Zeiten. Man würde sich gerne zurücklehnen und zuschauen – wenn man nicht mitten drin säße.

All diese Gedanken habe ich noch in zahlreichen Beiträgen auf meiner Seite vertieft – unter anderem in einem bewegenden Interview mit dem früheren Litauischen Staatschef Landsbergis, der warnt, dass Deutschland wieder in den Sozialismus abgleitet. Schauen Sie einfach mal rein, wenn Sie noch nicht da waren die Tage: reitschuster.de

Ich wünsche Ihnen einen guten Wochenstart – und danke für die vielen, vielen Zuschriften, für die tolle Unterstützung – und bitte gleichzeitig um Verständnis, dass ich mit dem Antworten im Moment überhaupt nicht hinteher komme. Aber versprochen: Ich lese alles. Und werde versuchen, auf alles zu antworten.

Ganz herzlichen Dank und beste Grüße
Ihr
Boris Reitschuster

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert