Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen
„Die Online-Plattform WikiLeaks stellte immer wieder geheime Dokumente ins Netz, doch über sich selbst gibt das Netzwerk kaum etwas preis. „In doubt we publish“ heißt die Maxime der Seite – im Zweifel veröffentlichen wir. Das spendenfinanzierte Projekt gilt als schwer zensierbar, technisch wie juristisch.“
Die Charakterisierung, die der Spiegel im vorstehenden Header zu Wikileaks abgibt, wirkt neutral, ist sie aber nicht.
Die Kritik steckt in der Auswahl der Informationen, die gegeben werden. „In doubt we publish“, „gibt nichts über sich preis“ und ist „schwer zensierbar“. So könnte man, mit einigem Abstand, auch eine Terrororganisation charakterisieren.
Abschied von Assange
Die Medien haben sich von Julian Assange scheinbar längst verabschiedet. Der letzte Cluster von Artikeln kam, nachdem das Auslieferungsgesuch der USA von einem britischen Gericht abgelehnt wurde. Ein paar wenige Medien haben das Buch von Nils Melzer zum Fall Assange überhaupt wahrgenommen und im Mai darüber berichtet.
Obwohl Assange die Sache der Pressefreiheit und der erzwungenen Transparenz von Regierungshandeln gegenüber der Öffentlichkeit vertrat, mag eigentlich kein europäisches Leitmedium wirklich für den Wikileaks-Gründer in die Bresche springen.
Wikileaks arbeitet derweil aktiv weiter und veröffentlicht ohne Loyalitäten und ohne ideologische Rücksichtnahme. Das scheint vielen Journalisten nicht zu schmecken, besonders den einflussreichen nicht. Denn man hört und liest Berichte über den Fall Assange nur selten von Chefredakteuren. In den großen Medien befasst sich meist der Nachwuchs damit, als Lehrstück gewissermaßen.
Er ist unbeliebt bei den Mächtigen der Medienlandschaft und verhasst in Regierungskreisen. Und dennoch ist es vollkommen absurd, dass an diesem Mann noch ein Exempel statuiert werden soll, weil man der übrigen Whistleblower-Szene nicht mehr habhaft wird und Wikileaks eben „leider“ (das unterstelle ich an dieser Stelle mal) schwer zu zensieren ist.
Die Absurdität besteht darin, dass Wikileaks aktiv weiter veröffentlicht und sich längst auf die Verfolgung durch die zensurfreudige Medienlandschaft, von Google über Youtube und Facebook bis zu den Mainstream-Medien, eingestellt hat.
Wikileaks ist in Wirklichkeit ein Outlaw mit inzwischen überwiegend geheimen Mitarbeitern und einer genialen Fluchttaktik, die jeder Zensur zuvorkommt. Die Seite wird auf unzähligen Servern gespiegelt. Sie ist einfach da, wenn man nicht, wie China, ein vorgefiltertes Internet im großen Stil realisiert.
Die Zukunft ist das zensierte Internet, wie in China, nur demokratisch
Aber keine Panik. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch andere Regierungen schon an einem solchen rudimentären WWW für ihre Bevölkerungen arbeiten. Auch der europäische Geheimdienst INTCEN, der inzwischen von einem Ex-BND-Mitarbeiter geleitet wird, ist mit gewisser Wahrscheinlichkeit dabei, ein solches, stark restringiertes Internet zu beforschen, zumindest für Krisenzeiten, um die Bevölkerung vor “falschen Informationen“ zu schützen.
Das ist nur eine Vermutung, weil wir in Deutschland bereits einen „Nationalen Cyber-Sicherheitsrat“ haben, der seine Aufgaben so formuliert:
„Zu erforschen ist, wie Desinformation, Deepfakes, Malicious Social Bots und ihre Verbreitungswege erkannt, gekennzeichnet, gesperrt und gelöscht werden können. Zu untersuchen sind Charakteristika von Desinformation und ihre Wirkungen auf Einzelne und die Gesellschaft sowie politische und rechtliche Gegenmaßnahmen, die eine effektive Bekämpfung bewirken, ohne Meinungsfreiheit zu behindern.“
Es geht also zumindest um ein von „schädlichen (malicious) Informationen“ gereinigtes Internet. Wie das gehen soll, ohne starke Restriktionen, die die Meinungsfreiheit behindern, ist schwer vorstellbar. Denn im Rahmen der Meinungsfreiheit kann man ja auch eine „falsche“ Meinung haben. Irgendwer muss ja entscheiden, was gesperrt und gelöscht werden soll. Vielleicht ein Zentralkomitee?
Die Bundesregierung lässt jedenfalls daran arbeiten und die Forschungsgelder werden dann wohl vom neuen Digitalministerium kommen, das wir nach der nächsten Wahl zu erwarten haben.
Zurück zu Wikileaks. Die Organisation wird weltweit von Regierungen so behandelt, als würde sie Fake-News verbreiten, zur allgemeinen Desinformation beitragen. Die amerikanische CIA sieht in Wikileaks einen feindlichen Geheimdienst. Wikileaks veröffentlicht aber permanent. Feindliche Geheimdienste veröffentlichen, wenn überhaupt, Desinformation. Wikileaks auch?
Nein, ein absurder Vorwurf. Wikileaks wird nicht wegen Fake-News und Desinformation verfolgt, sondern wegen veröffentlichter Geheiminformationen, die Regierungshandeln transparent machen, vom Papst bis zum Präsidenten. Keine Fakes, sondern echte Dokumente!
Dennoch ist zu erwarten, dass die Organisation mit als Erstes auf dem Index landet, wenn es zu einem restringierten Internet kommt, das in Europa, ähnlich wie in China, technisch effektiv filtern kann. Wer soll dann vor Gericht ziehen? Wer von Wikileaks möchte dann das Schicksal von Julian Assange teilen und sich verantwortlich exponieren?
Auch ein Grund, Julian Assange als Person zu zerstören, wie es der UN-Sonderbeauftragte Nils Melzer berichtete? Weil dann keiner mehr in das Minenfeld seiner Fußstapfen treten wird?
Nein, Wikileaks agiert ja notgedrungen schon wie eine „Untergrund-Armee für die Informationsfreiheit“, Wikileaks wird doch schon verfolgt.
Wir leben also jetzt schon in einer Zeit, wo das Wegzensieren von Informationen, „falschen oder schädlichen Meinungen“ und Organisationen, die Dokumente veröffentlichen, welche die Mächtigen in Verlegenheit bringen, für die Medien grundsätzlich in Ordnung geht, auch für die Bundesregierung. Man möchte eben nur nicht selbst davon betroffen sein.
Das Problem ist wohl nur noch die technische Machbarkeit. Das neue Digitalministerium, das ungefragt geschaffen werden soll, wird schon einen Weg finden. Verhandelt werden muss dann nur noch, wer zensiert wird und wer nicht.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“
Hier finden Sie seine Fortsetzungsgeschichte „Angriff auf die Welt“ – der „wahre“ Bond.
Bild: IB Photography/ShutterstockText: Gast
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