Ein Gastbeitrag von Alexander Wallasch
Warum wirkt das alles so vernichtend, wenn Markus Lanz so gnadenlos nachfasst? Weil wir diese Schutzzone für Grüne so gelernt haben, weil öffentlich-rechtlicher Rundfunk so lange schon grünen Wahlkampf gemacht hat, dass man über diese journalistisch exzellente Schlachtung einfach erstaunt ist.
Man sollte auch im Journalismus mit Superlativen sparen, schon deshalb, um eine Eskalation der Begrifflichkeiten zu vermeiden. Aber was Markus Lanz da gestern am späten Abend in seiner Talkshow – noch dazu in Waffenbruderschaft mit der grünpopulistischen Tageszeitung taz – abgeliefert hat, war nicht mehr und nicht weniger als eine Hinrichtung der Idee einer Kanzlerschaft der Grünen Annalena Baerbock.
Lanz, der immer so ein wenig das Stiefkind der öffentlich-rechtlichen Talkshows ist, vergleichsweise wenig besprochen, in den Medien kaum beachtet, hat sich damit den ganz großen Scheinwerfer verdient und die taz in Gestalt eines ihrer leitenden Redakteure hat spät zwar, aber bewiesen, dass sie unabhängigen Journalismus noch kann – zumindest an dieser einen Stelle.
Aber kein langes Gequatsche hier, gehen wir direkt rein in die Sendung und konzentrieren uns auf zwei Gäste und den Moderator. Da ist zum einen der Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer (B90/Grüne) und ihm quasi gegenüber gesetzt Ulrich Schulte, Leiter des taz-Parlamentsbüros.
Die Fronten sind hier neu, aber klar, nachdem die taz Annalena Baerbock jüngst aufgefordert hatte, als grüne Kanzlerkandidatin zurückzutreten, als ginge es darum, dutzende Baerbock-Artikel zuvor zu bereinigen. Keine Zeitung der Alt-Medien – nicht einmal die Bild – war hier rigoroser als ausgerechnet das Hausblatt der Grünen – ein Dolchstoß.
„Herzlich willkommen, schön, dass Sie da sind“, begrüßt Lanz den grünen Krischer. Und der schaut schon so ein wenig, als ahne er, welcher Kübel da gleich über ihm ausgekippt wird, aber es sollte ja noch viel schlimmer werden.
Selten, möglicherweise niemals, wurde ein grüner Politiker auf so eine beharrliche Art und Weise im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in den Schwitzkasten genommen und eine quälend lange Zeit nicht mehr daraus entlassen.
Krischer sitzt da übrigens nicht als erste Wahl. Damit fängt die kalte Dusche schon an: Lanz teilt ihm gleich im ersten Satz mit, dass seine Redaktion sage und schreibe achtundzwanzig Kolleginnen der Grünen angefragt hätte, „aber niemand hatte Zeit“. „Ferienzeit“ antwortet Krischer noch grinsend und es besser wissend. Aber Lanz scharrt da längst mit den Füßen.
Und zack, schon die erste Ohrfeige für Krischer: Die Pressestelle der Bundestagsfraktion hätte noch am Aufzeichnungstag mitgeteilt, es fände sich niemand Geeignetes für die Sendung – Lanz zitiert aus der E-Mail vorlesend genüsslich jedes Gender-Sternchen mit. Und er fragt: „Das heißt, Sie sind nicht geeignet?“ Antwort: „Wenn Sie das so interpretieren …“ Und so wie die Stimmung da im Moment ist in der Fraktion, wäre es ja auch nicht einfach.
Markus Lanz hat nun auch die Aufgabe, die anderen Gäste mit einzufangen, auch wenn es in der Regel der Reihe nach geht, sollen sich idealerweise alle bei allen einmischen. Also schaut der Moderator nicht nur Krischer an im direkten Gespräch, sondern sein Blick wandert immer wieder grinsend in die Runde, fast so, als würde er dazu auffordern, doch auch mit reinzugrätschen, weil ihm das gerade solche Freude macht.
Der Moderator strahlt, er wippt, er zappelt wie kurz vor dem Einsteigen in das gefährlichste Karussell am Rummel, wenn es doch bloß schon anhalten würde.
„Sie sind ja der Don Krawallo ihrer Partei, Sie teilen ja gerne mal aus“, legt sich Lanz sein Opfer fein zurecht, damit später keiner sagen kann: Boah Lanz, war das gemein. Aber der Begriff gefällt Krischer direkt und Lanz strahlt ihn an, als wäre er sein bester Freund und Kumpel.
Krischer war es übrigens auch, der in der größten Drag&Drop-Not der Annalena Baerbock, mal ablenkend vom Desaster, Armin Laschet nachsagte, der sei wegen einer verfehlten Klimapolitik in NRW schuld am Tod von Menschen.“ Diese durchsichtige Schlachtfeldverlagerung misslang gründlich.
Der taz-Redakteur wird von Lanz dann direkt aufgefordert, mitzumachen gegen Krischer, und der hakt auch gleich ein, er halte den Tweet von Krischer für eine „Entgleisung“, man hätte ihn sofort löschen und sich entschuldigen müssen.
Dann macht Lanz den Deckel drauf. Und wir müssen es hier so chronologisch erzählen, weil es auch auf der Meta-Ebene der Vernichtung so schön ist:
„Gibt es einen Zusammenhang mit dem Tweet und dem, was gerade rund um Annalena Baerbock passiert?“ Lanz will es also wissen, er spricht aus, was eh jeder gerade denkt: Wollten Sie von dem Mist ablenken, den Baerbock gerade verzapft?
„Es ist ein superklasse Buch, ich hab’s gern gelesen“, sagt der Grüne über Baerbocks oder von wem auch immer geschriebenes oder mitgeschriebenes „Wie wir unser Land erneuern“.
Lanz so: „Wer hat’s geschrieben?“ – „Ich hab’s nicht geschrieben“, antwortet Krischer. Lanz freut sich, legt ihn sich wieder zurecht, freut sich über jeden Satz mehr, den Krischer in das dick und fett aufgestellte Fadenkreuz stellt. Die Hinrichtung steht unmittelbar bevor. Wer solche Verbalexekutionen mag, kommt hier voll auf seine Kosten.
Ulrich Schulte von der taz erzählt noch, wie komisch das ist mit der Autorenschaft und wie wenig glaubwürdig.
Und wieder Krischer: Wenn ich das Buch lese, das ist die Annalena Baerbock, wie ich sie kenne, gerade in den Themen, wenn es um Transformation geht, wenn es um Europapolitik geht“ – viele „Ähm“ pflastern hier seinen Weg – , „wenn es um Klimaschutz geht, ganz viele Geschichten, die da drin stehen, die ich auch kannte von ihr, das ist, wie sie sich ausdrückt, das ist, was sie sich vorstellt, ihr politisches Konzept an der Stelle“, holt Krischer noch einmal aus.
„Ist es Zufall, dass sich auch andere so ausgedrückt haben und schon vorher?“, Mensch Lanz, mach bitte langsam, möchte man noch dazwischenrufen. Es ist so wundervoll gemein, zum Mitschreiben fies. Und für Lanz offensichtlich so etwas wie seine Sternstunde.
Wir lassen bei Oliver Krischer die vielen nervösen „Ähm“ jetzt weg, aber wir müssen sie erwähnen, weil sie wichtiges Element der umfassenden Peinlichkeit dieser langen Momente sind.
„Was ja der Vorwurf ist, dass es einzelne Sätze, einzelne Satzstücke gibt, die an der Stelle, sich an anderer Stelle befinden.“ Und er redet und redet und glaubt mit diesem Schwall an grünen Themen dem Tribunal noch entflutschen zu können.
Aber Pustekuchen, mitten rein wieder Markus Lanz: „Aber darum geht es ja gerade gar nicht (…) wie erklären Sie sich, dass das wortwörtlich genau so übernommen wird?“
Krischer: „Also weil (…) selbstverständlich Annalena Baerbock so arbeitet, dass sie sich, dass sie, dass sie sich Sachen aufschreibt, dass sie aus Gesprächen Sachen mitnimmt, dass wir diskutieren…“
Lanz wieder dazwischen in so einem verstellt gutmütigen Ton: „Herr Krischer …“ Und als der einfach weiterredet, wieder im ermahnenden Ton, wie man zu unartigen Kindern spricht, dabei seine Krawatte gerade rückend, als käme jetzt der Hauptgang: „Herr Krischer …“
„Ich glaube ehrlicherweise, diese Verteidigungslinie ist nicht zu halten“, kommt jetzt Ulrich Schulte mit hoch aufs Podest, wo der Delinquent unter der Schlinge steht.
Die Grünen hätten ja so reagiert, dass sie gesagt haben, das sei eine Rufmordkampagne, der österreichische Plagiatsjäger sei bösartig, „da wurde mit sehr grober Kelle operiert von grüner Seite aus“, befindet der taz-Journalist. Aus seiner Sicht allerdings sei das offensichtlich, das sähe auch „jeder normale Mensch, dass da Copy&Paste-Probleme vorliegen“, so Schulte, „es wurden Textstellen aus anderen Veröffentlichungen wortwörtlich übernommen.“ In der Sache sei es so, dass da einfach schlampig gearbeitet wurde.
Lanz blendet frappierende Beispiele aus Baerbocks Buch ein. So auch einen Textabschnitt der Deutschen Welle und das fast wortgleiche Pendant dazu bei Baerbock, die damit aus persönlichen Reiseerlebnissen berichtet haben will. Krischer erzählt, Baerbock hätte sich die beschriebenen Dinge – es geht um gequälte Kindersoldaten und mehr – alle doch vor Ort angeschaut, beispielsweise im Irak usw.
„Und nutzt dann einen Text der Deutschen Welle, der ein Jahr alt ist, um wortwörtlich das zu beschreiben?“, wirft Lanz ein.
„Also wenn es da gewisse Parallelitäten gibt … also ich bitte Sie …“, schon verzweifelt oder stur der verteidigende Einwurf des grünen Bundestagsabgeordneten, wo es wirklich nichts mehr zu beschönigen gibt, die Beispiele sind ja überlebensgroß auf den Studiomonitoren in dem Moment nachzulesen.
Großes Gelächter bei Lanz und Geschmunzel in der Runde. „Gewisse Parallelitäten“ ist ein Euphemismus in dem Zusammenhang“, also nach Lanz und in der Fremdwörterbucherklärung eine „beschönigende, verhüllende, mildernde Umschreibung“. Aber man dürfe da doch keine Textexegese betreiben, wo es um so schlimme Themen gehe, erwidert der Grüne noch.
Kurze Zwischenbemerkung: Warum wirkt das alles so vernichtend, wenn Lanz auch im Weiteren immer wieder gnadenlos nachfasst? Warum empfindet man es überhaupt als gnadenlos? Weil wir diese Schutzzone für Grüne so gelernt haben, weil öffentlich-rechtlicher Rundfunk so lange schon grünen Wahlkampf gemacht hat, dass man über diese Schlachtung einfach erstaunt ist. Grüne extrem überproportional in Talkshows, die Volontäre in Umfragen über 90 Prozent grün-linke Einstellungen, das Zwangsgebührengeschäft ist ja vollkommen grün verlottert.
„Ob da ein Halbsatz (…) von irgendwo anders her übernommen wurde…“, Krischer will sich noch nicht dem Unvermeidbaren fügen, es ist so peinlich.
„Wenn wir solche Anforderungen an politische Formulierungen …“
„Herr Krischer, bitte …glauben Sie das selber, was Sie gerade sagen?“ Der weiter: „… dann führt das dazu, dass wir demnächst an der Stelle keine Texte mehr machen können …“
Die Grünen würden doch politische Kommunikation nicht im luftleeren Raum betreiben, angelt der Grüne nach dem nächsten krummen Strohhalm – umsonst: „Darum geht es doch gar nicht“, wirft wieder Lanz ein. „Sie tun so, als hätte sie das selbst erlebt, gesehen und gehört“ – was da bei der Deutschen Welle geschrieben wurde vor einem Jahr und von Baerbock übernommen wurde.
Oliver Krischer bleibt unermüdlich, Patient tot, aber die Wiederbelebungsmaßnahmen gehen strur weiter: „Sie war ja nun auch da und es gibt Menschen, die mit ihr da hingereist sind.“
Markus Lanz: „Warum nimmt sie dieselben Wörter, dieselben Sätze, warum die gleichen Formulierungen?“
Oliver Krischer mit den Händen rudernd: „Das müssen Sie an der Stelle … da geht es doch darum …“
Lanz ist hellwach und versteht sofort, wo Krischer bei Krischer gerade noch abbiegen wollte: „… muss ich „an der Stelle“ wen fragen, den Autor, den Ghostwriter oder Annalena Baerbock?“
Krischer: „Also die Formulierung ist so, dass da an der Stelle eine Reise gemacht wurde … dass da Eindrücke gesammelt wurden … wieso die Deutsche Welle da jetzt eine ähnliche Formulierung hat …“
Lanz: „Ein Jahr vorher … und auch nicht „eigentlich“, sondern exakt.“
Krischer: „Das ist ja nicht exakt so ..:“ Das Beispiel mit den gleichen Sätzen bleibt allerdings einfach weiter eingeblendet, auch für die Zuschauer.
Lanz kann die Verteidigungslinie nicht verstehen, sagt er, warum sagt man nicht einfach, da sei ein großer Fehler begangen worden? Der taz-Redakteur findet die Krisenkommunikation gerade katastrophal bei den Grünen. „Sie streiten etwas ab, was für alle offensichtlich ist“, sie würden so tun, als wäre der blaue Himmel rosa, so Schulte. Aber es gäbe doch, sagt er fast entschuldigend hintendran, auch innerhalb von Parteien „Gedankenklau“ um die beste Formulierung.
Sich selbst schützend ergänzt Schulte noch schüchtern lächelnd, dass er aber auch kein Politikberater der Grünen sei, auch er will sich demnach nicht beschmutzen. Intern und im Gespräch mit Grünen – als Mann der grünpopulistischen taz hat er gute Kontakte – habe er festgestellt, „die Krisenkommunikation ist wirklich problematisch.“
Das große grüne Narrativ würde gerade implodieren, so Schulte final: „Die Grünen sind angetreten mit der Idee, wir stehen hier mit einer jungen integren Kandidatin, für Aufbruch und Erneuerung. Und diese Frau war der breiten Öffentlichkeit noch nicht wirklich bekannt (…) und das erste, was die breite Öffentlichkeit jetzt von dieser Frau mitbekommt, ist diese peinliche Geschichte. Das hinterlässt einen schweren Kratzer, nicht, weil es in der Sache dramatisch wäre, sondern weil es einfach ein Image konterkariert.“
Krischer kämpft dann noch ein bisschen weiter, meint, er wäre mal froh, wenn diese Maßstäbe bei allen angelegt werden würden. Aber auch das lässt ihm Lanz nicht durchgehen. Denn die Tugendwächter der Grünen haben in der Vergangenheit eben genau das gemacht: immer sofort losgelegt, wo es darum ging, dem Gegenüber irgendwelche Verfehlungen vorzuwerfen. Lanz will wissen, ob die Grünen bei der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg auch so nachsichtig waren.
Oliver Krischer möchte jetzt gerne über die Inhalte des Buches reden. Das aber darüber die ganze Zeit geredet wird, scheint ihm wirklich entgangen zu sein. Lanz zum wiederholten Male: „Aber Herr Krischer, Herr Krischer …“
Und schon blendet die Redaktion weitere vergleichende Texte ein, solche, wo Baerbock sehr persönlich tun würde, „Meine Jahre in Brandenburg“, und wo auch das und dieses Mal nicht von der Deutschen Welle, sondern sogar von der taz kopiert ist.
Man muss es so sagen: Krischer ist auch renitent oder albern, wo er Lanz fragt, warum dieser unterstellen würde, dass das nicht der eigene Gedanke der Baerbock ist. Er fragt also tatsächlich, ob Baerbock nicht quasi wortgleich dasselbe gesagt und gedacht haben könnte, wie ein Jahr zuvor schon eine Redakteurin der taz.
Der Schlusssatz hier vielleicht bei Lanz: Die Idee eines solchen Buches kann doch eigentlich nur sein, hier lernt ihr mich mal kennen, das bin ich und das ist mein Gedanke dazu.“ Und das sei nun wahrlich keine Kleinigkeit, wenn sich herausstellt, das ist gar nicht der eigene Gedanke, sondern der von jemand anderem.
Krischer lässt nicht locker, spricht weiter davon, dass man versuchen würde in das Buch etwas hineinzuinterpretieren. Aber da ist das Fallbeil über ihm längst gefallen und sogar noch mal neu hochgezogen und wieder runtergefallen, einfach weil der abgeschlagene Kopf noch so tat, als säße er fest am Hals.
Krischers letzte Worte: „Das ist nicht wortwörtlich, das ist anders.“ Großes Gelächter über dem Kopf, nicht nur bei Lanz.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig für Szene-Magazine Kolumnen. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Screenshot/Youtube/Markus Lanz/ZDFText: Gast