Von Alexander Wallasch
Die Kanzlerkandidaten durchlaufen in diesem merkwürdigen Triell-Theater gerade etwas, das man eine Lernkurve nennen könnte. Von diesem Effekt der TV-Professionalisierung profitiert Armin Laschet (CDU) allerdings viel weniger als seine beiden Gegenkandidaten.
Denn er ist noch bis zum D-Day gezwungen, seinen potentiellen Wählern eine Unionspolitik von vorgestern als Alternative zu rot-rot-grüner Politik vorzugaukeln – als Alternative zum Linksrutsch der Union in sechzehn langen Merkeljahren.
Um Laschet besser zu verstehen, nutzen diese Fernsehauftritte kaum. Dem Unionskanzlerkandidaten wurden von der Kanzlerin höchstpersönlich die Grünen als Wunschpartner ins Koalitionsbett gelegt. Die daraus resultierende nur lauwarme Streitkultur mit der grünen Kandidatin kommt beim Zuschauer entsprechend inszeniert an – ausgestattet mit einem Glaubwürdigkeitsproblem.
Marc Felix Serrao von der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) hat jetzt allerdings mit Armin Laschet ein Interview geführt, welches geeigneter erscheint, etwas mehr über den Kandidaten und über die zukünftige Politik der Union zu erfahren.
Für Armin Laschet ist Impfen alternativlos
Es beginnt mit den Corona-Maßnahmen: Laschet startet damit, Impfen als alternativlos zu bezeichnen. Ausdrücklich nimmt er die 12- bis 17-Jährigen hier mit hinein in die Gruppe derer, die zu impfen sind.
Zwar wird Laschet auch hier nicht müde, zu betonen, dass es mit ihm keine Impfpflicht gäbe, auch nicht durch die Hintertür, aber der NRW-Ministerpräsident findet einen gewissen Druck (Test selbst bezahlen) „verhältnismäßig“, eine gewisse Verantwortung für die Gemeinschaft trage jeder.
Es ginge, so Laschet, „auch um die Interessen der vielen Menschen, die sich haben impfen lassen, um wieder ein Stück Normalität zurückzuerlangen. Für sich und die gesamte Gesellschaft“.
Hier bleibt es der Kandidat den Lesern schuldig, zu erklären, warum bereits Geimpfte überhaupt – jedenfalls der eigentlichen Idee des Impfens folgend – einen gesundheitlichen Vorteil davon hätten, wenn Ungeimpfte sich impfen lassen würden.
Wer dem Impfen gegenüber kritisch ist – und es gibt auch aus renommierten Quellen einige nachdenkenswerte Einwände speziell gegen die COVID-19-Impfstoffe –, wer kritisch eingestellt ist, ist für Laschet nur verunsichert und wurde halt schlecht beworben.
Laschet argumentiert gegenüber der NZZ damit, dass die überwiegende Zahl der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen Ungeimpfte wären. Was er hier allerdings auslässt, ist die Tatsache, dass es sich hier wenn, dann überwiegend um Patienten handelt, die Vorerkrankungen haben oder die altersbedingt besonders anfällig sind. Hier geben aber auch einige Impfkritiker nach Risikoabwägung eine Impfempfehlung.
Dennoch möchte Laschet auch gesunde Kinder impfen.
Armin Laschet weiß nicht weiter
„Angela Merkel hat unser Land erfolgreich durch viele Krisen geführt“ – wer wie Armin Laschet den Ist-Zustand der Bundesrepublik so zusammenfasst, der hat es im Anschluss besonders schwer, zu erklären, was er besser machen könnte.
Wer so startet, der zementiert ein „Weiter so“ – dafür allerdings sind die Probleme viel zu groß. Und ein „Weiter so“ haben sich bereits Olaf Scholz (wirbt für sich geschickt mit der Merkel-Raute) und die heimliche Favoritin der Kanzlerin auf die Fahne geschrieben. Annalena Baerbock sagt es zwar nicht so, aber sie gilt vielen als Vollenderin der Politik von Angela Merkel in vielen Belangen – von der Umwelt bis zur Umsetzung der UN-Flucht- und Migrationspläne.
„Unser Land ist besser geworden.“, sagt Laschet allen Ernstes. Aber besser im Vergleich mit was? Mit der Vor-Merkel-Regierung? Das waren Schröder und Fischer. Und von Schröder wird gesagt, seine Politik hätte überhaupt erst die wirtschaftliche Grundlage gelegt für das Füllhorn in den Händen von Merkel.
Zwischenbemerkung: Bei der Vorstellung einer Biografie über den Altkanzler durch die amtierende Bundeskanzlerin sagte Merkel 2015 etwas über Schröder, das sie im Nachsatz auch für sich beanspruchte: „Er ist ein Machtmensch, er ist süchtig nach Macht. Was will eigentlich jemand in der Politik, der keine Macht will?“ Nachsatz: „Recht hat er!“
Ist Laschet auch so ein Machtmensch? Was seine Biegsamkeit und Konturlosigkeit angeht, darf man das durchaus annehmen. Denn das gehört ja unbedingt dazu und macht rückblickend auch den Unterschied aus zwischen Schröder und Merkel: Ersterer vermied den Eindruck, besonders biegsam zu erscheinen.
Die Merkel-Ära hat einen tiefen Riss quer durch die Gesellschaft hinterlassen. Einen Riss, den die Bundeskanzlerin willentlich sogar quer durch ihre Partei in Kauf genommen hatte, um ihre unionsferne linksgrüne Politik durchzusetzen – sogar unter Inkaufnahme eines AfD-Oppositionsführers im Bundestag. Zu dieser Politik schafft es Laschet nicht, eine glaubwürdige Distanz aufzubauen.
Armin Laschet: Ausputzer der Kanzlerin
Der Kanzlerkandidat der Union will stattdessen sogar die Arbeit der Bundeskanzlerin vollenden: „Die nächste Koalition muss sich all das vornehmen, was nicht erledigt wurde.“
Laschet bietet sich als Cleaner an, als Ausputzer. Er will derjenige sein, der den liegengebliebenen Dreck wegmacht, damit das Werk seiner großen Kanzlerin ihre Amtszeit noch überstrahlt. Laschet klingt gegenüber der Neuen Züricher Zeitung, als verstehe er seine Kanzlerschaft als die eines Museumswärters mit der Kehrmaschine im Merkelmausoleum.
Laschet sieht „gigantische Schulden“. Die will er zurückzahlen. Und das ginge nur „mit Wachstum, nur mit Wettbewerbsfähigkeit und neuen Jobs“. Hier ist der Kanzlerkandidat ganz nah dran an den Glaubenssätzen der Grünen, die dem Wähler allen Ernstes verkaufen wollen, dass der Umbau der Industrie hin zu einer grünen Fertigungsstätte Deutschland etwas mit Aufschwung zu tun haben könnte.
Fast so, als wäre das Land auf einmal nicht mehr Teil der Globalisierung und also der Konkurrenz jener ausgesetzt, die auf all diese Maßnahmen pfeifen. Die Anrainerstaaten Deutschlands pflegen fleißig ihre Kernkraftwerke oder bauen sogar neue – wohl wissend um zukünftige Verlegenheitseinkäufe aus einem Energiemangelgebiet Deutschland.
„Eine SPD-Regierung mit Frau Esken und Kevin Kühnert wäre ein Angriff auf Deutschlands Wohlstand“, sagt Armin Laschet, als hätte es diesen größten aller Angriffe auf unseren Wohlstand durch seine Bundeskanzlerin nie gegeben.
Armin Laschet hätte vor Monaten schon Neuwahlen fordern müssen
Woher kommen denn die „gigantischen Schulden“, von denen Armin Laschet spricht? Hört man Laschet zu, erscheint Merkel nur als Opfer von Naturgewalten: Klimapolitik, Massenzuwanderung und Corona-Maßnahmenmanagement – alles ohne die eigene Verantwortung anzunehmen.
Aber wenn Armin Laschet wirklich bereit gewesen wäre, dieser Mehltau-Kanzlerschaft etwas Zukunftsweisendes entgegenzusetzen, hätte er schon vor Monaten auf Angriff schalten müssen. Er hätte bestenfalls sogar vorgezogene Neuwahlen fordern müssen.
Am Rande interessant an diesem Interview der NZZ ist der Moment, wo der Interviewer den Pfad der journalistischen Tugend verlässt und eine Frage an Laschet zur AfD so einleitet: „Die AfD ist gewiss keine bürgerliche Partei.“
Das mag man so sehen und viele sehen das so. Das ist aber durchaus auch Anlass für Debatten angesichts der Verschiebung des bürgerlichen Lagers durch Merkel nach links und der Entstehungsgeschichte der AfD. So wirkt es hier leider nur wie die peinliche Pflichtübung des Interviewers.
Fazit: Armin Laschet kann noch so viele Triells mit seinen Kumpanen absolvieren. Als Hoffnungsträger besitzt er die geringste Glaubwürdigkeit. Für die Union wird sich das aber womöglich noch als Segen herausstellen, einen so schlecht positionierten Kanzlerkandidaten aufgestellt zu haben.
Das allerdings könnte so verstanden werden, als hätte es eine Alternative zu Laschet in der Union gegeben. Aber auch die gibt es oder gab es nie. Dieses Phänomen zieht sich übrigens durch alle Parteien und politischen Ebenen.
Im ganzen Land ist während der Mehltau-Politik der Kanzlerin das politische Engagement der Bürger einfach weggedämmert.
Die Erosion des Bürgerengagements
Dieser vielleicht katastrophalste Schaden der Merkel-Ära ist noch gar nicht in den Fokus des medialen Interesses gerückt. Nicht nur die Kommunalwahlen in Niedersachsen haben da an einigen Orten einen bedenklichen Mangel an geeigneten Kandidaten und Nachwuchs offenbart.
In Braunschweig beispielsweise fand parallel die Bürgermeisterwahl statt: Die CDU versucht hier aus Mangel an einem geeigneten parteiinternen Kandidaten einen unbekannten Parteilosen als moderne Alternative zu verkaufen. Und selbst die Grünen konnten hier niemanden in ihren Reihen finden und platzierten ebenfalls eine parteilose Kandidatin. Parteien wie die FDP und weitere hängten sich ebenfalls an diese Kandidaten der eigentlichen politischen Konkurrenz.
Der Fisch stinkt vom Kopf her. Die Rolle der Union in der kommenden Legislatur wird die des Oppositionsführers sein. Längst ist hier eine parteiinterne Generation nachgerückt, die sich kaum noch an Oppositionsarbeit erinnert. Es wird also nicht nur alleine wegen der AfD zur Rechten ein verdammt schwerer Gang werden.
Und Armin Laschet ist dann mutmaßlich längst wieder in der Provinz verschwunden. Zwar sagte Laschet noch im Juni 2021 gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), er wolle kein Rückfahrticket nach Düsseldorf lösen: „Mein Platz ist nach der Bundestagswahl in Berlin.“ Aber zum Dilemma dieser Kanzlerkandidatenschaft gehört eben auch, dass selbst da, wo er sich kämpferisch gibt, keine rechte Glaubwürdigkeit mehr entstehen will.
Fairerweise liegt das nicht nur an Armin Laschet allein. Denn in einem hat er ja durchaus Recht: Einer muss den Ausputzer geben. Er hat nur den Ort des Großreinemachens verwechselt: Nicht im Kanzleramt, sondern auf der Oppositionsbank muss die Union mit dem Besen Abbitte für die Merkel-Ära leisten.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: photocosmos1/ShutterstockText: wal