Höchst brisante, aber kaum bemerkte Informationen über den Verlauf der Demonstration am Samstag in Leipzig verbreitet jetzt die Sportschau der ARD. Demnach haben Fußball-Hooligans – Anhänger aus Leipzig, Chemnitz oder Cottbus – entscheidend zu den Ausschreitungen am vergangenen Wochenende auf der Querdenken-Demonstration beigetragen. Dies ist insofern ganz wichtig, weil es in den Medien und von der Regierung so dargestellt wurde, als seien die für die Ausschreitungen Verantwortlichen den Querdenkern selbst zuzurechnen gewesen.
So wichtig diese Enthüllung ist und so sehr sie eigentlich das offizielle „Narrativ“ widerlegt – die Sportschau biegt die Nachricht sofort wieder so zurecht, dass sie doch wieder zur offiziellen Version der Ereignisse passt. Zumindest widerspricht das, was die ARD-Sendung berichtet, dem, was ich selbst vor Ort erlebt und in einem sechsstündigen Livestream dokumentiert habe, und was auch andere Augenzeugen berichten (siehe unten). So heißt es bei der ARD, Querdenken-Unterstützer hätten die Hooligans euphorisch gefeiert. Ich selbst war an der neuralgischen Stelle und habe eher das Gegenteil erlebt – einige Querdenker versuchten, sich den Hooligans in den Weg zu stellen bzw. sie von der Gewalt abzuhalten. Genau an dieser Stelle standen schon Kameras, etwa vom ZDF (die entscheidenden Szenen sehen Sie hier).
Weiter heißt es bei der ARD: „Wegen der Hooligans hätten sich die Polizisten zurückgezogen, sagen Fanforscher Claus und weitere Szenekenner, die vor Ort das Szenario beobachtet hatten. Die Hooligans wären in erster Reihe vorweg gegangen und hätten als ‘Wellenbrecher‘ den Weg durch die Welle an Polizisten freigemacht. Nachdem die Polizisten sich daraufhin zurückzogen, wurde der Marsch durch die Leipziger Innenstadt möglich.“
Ich und andere Augenzeugen haben das ganz anders erlebt. Die Hooligans hatten zuerst randaliert. An der entsprechenden Stelle am Georgiring öffnete die Polizei ihre Absperrung aber deswegen nicht. Dies geschah erst viel später, vor meinen Augen, als die Hooligans abgezogen waren, weil der Andrang von hinten zu groß war und es sonst zu einer massiven Anstauung gekommen wäre.
Von Hooligans keine Spur
Fan-Forscher Robert Claus sagte in dem ARD-Beitrag: „Wir reden von einer professionalisierten Gewaltszene.“ Genau das war auch mein Eindruck, als plötzlich wie aus dem Nichts gewaltbereite junge Männer auftauchten und die Polizei provozierten (anzusehen hier, wie oben). Die ARD beschreibt diese Situation treffend: „Mehrere hundert Personen hatten sich seit Mittag in der Nähe des Hauptbahnhofs aufgehalten – unter ihnen nach Sportschau-Informationen überwiegend Kampfsportler und bekannte Hooligans aus dem Fußballumfeld.“ Der nächste Satz in dem ARD-Bericht widerspricht allerdings dem, was ich gesehen habe: „Nachdem Pyrotechnik auf die Polizei geworfen worden war und Straßensperren eingerissen wurden, kam es zunächst zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, ehe sich diese – zahlenmäßig den Hooligans weit unterlegen – zurückzog.“
Weiter wird Claus zitiert: „Rechte Hooligans stellen selten die Redner, sie organisieren auch nicht die Informationstische, sondern sie stellen die Muskelkraft. Wenn es darum geht, eine Polizeikette zu durchbrechen oder den politischen Gegner anzugreifen, ist genau das ihre Aufgabe. Die Arbeitsteilung konnte man in Leipzig zur Perfektion sehen.“ Was ich gesehen habe, spricht für das Gegenteil. Auf mich wirken solche Aussagen wie der Versuch, einen Zusammenhang zwischen friedlichen Demonstranten und Hooligans herbeizuschreiben, ohne jede Belege. Im Weiteren wird dann noch munter weiter das Framing der Radikalisierung der Proteste und deren Nähe zu Nazis betrieben.
Sehr zu empfehlen zum Verständnis, was wirklich geschah, sind unglaubliche Szenen, die der Youtube-Sender ExoMagazinTV zeigt: Auf denen ist zu sehen, wie genau die Gruppe, die ich später als Provokateure ausmachte, und die offenbar die genannten Hooligans sind, gezielt, wie auf Kommando, regelrecht zu der Absperrung rennt, wo sie dann für Krawall sorgt und wo bereits die Fernsehkameras sind. Ich empfehle Ihnen sehr, sich diese Bilder anzusehen – über diesen Link.
Interessant ist auch, dass Regierungssprecher Steffen Seibert und der Sprecher des Innenministeriums Behauptungen zu Leipzig aufstellten, die im Widerspruch zu den Angaben der Polizei in Leipzig stehen. Auf meine Rückfrage in der Bundespressekonferenz zu der Diskrepanz hatte die Regierung keine Antwort (siehe hier).
Widersprechender Augenzeugenbericht
„Ich hoffe, Ihre Blessuren heilen gut. Ich selbst war gestern mit meinem Sohn in Leipzig, um die Demonstration zu beobachten. (Leider haben wir uns nicht getroffen.) Daher kann ich Ihnen einige Ergänzungen aus anderer Perspektive bieten. Sie können sie gerne für Ihre Berichterstattung verwenden. Ich möchte dabei nicht namentlich erwähnt werden. Ihren Videomitschnitt habe ich noch nicht gesehen, aber Ihren Artikel, den Sie heute veröffentlicht haben.
Der Augustusplatz war bereits voll, als wir gegen etwa 13:30 Uhr eintrafen. Wir kamen von der Grimmaischen Straße her und blieben zunächst auf der Westseite des Platzes, weil kein Durchkommen war. Auf der Westseite marschierte immer wieder ein Trupp von etwa 50 jungen Männern im Gänsemarsch die Goethestraße auf und ab. Ich dachte mir sofort: Das wird noch Ärger geben. Die Polizei stand aber daneben, schaute zu und ließ den Trupp hin- und herwechseln. Zunächst war ich mir nicht sicher, ob die jungen Leute der Antifa angehörten. Allerdings war eine gewisse Uniformierung durch Adidas-Kleidung und „The North Face“-Jacken erkennbar.
Später entdeckte ich eindeutige Hinweise auf die NPD. Deren Sammlungsort befand sich an der Westseite der Leipziger Oper. Dort wurden Schilder emporgehalten, auf denen auch „Deutsche Stimme“ stand, so heißt die Zeitung der NPD. Auch eine schwarzweißrote Reichsfahne habe ich gesehen.
Ich vermute, dass dieser Trupp immer wieder auf die andere, östliche Seite zum Grimmaischen Steinweg zog, wo die Stadt Leipzig eine Antifa-Demo in direkter Nachbarschaft zu den Querdenkern erlaubt hatte; eine Entscheidung, die ich für unverantwortlich halte. Wollte die Stadt etwa gewalttätige Ausschreitungen provozieren? Rechtsanwalt Markus Haintz sagte durch, dass die Gegendemonstration der Querdenker-Demonstration Platz wegnehme. Auch das hat sicher mit dazu beigetragen, dass vielfach die Abstände nicht eingehalten werden konnten.
In Trance gesungen
Als die Demonstration aufgelöst wurde, herrschte Verwirrung, weil niemand sagte, was zu tun ist. Die Polizei nutzte die Möglichkeit nicht, auf die Bühne zu gehen, um die Lautsprecheranlage zu nutzen. Vielleicht hat sie sich nicht getraut. Etwaige Polizeidurchsagen waren unverständlich. Nun formierte sich an der Goethestraße unter den Augen der Polizei die NPD, kenntlich an einer JN-Fahne („Junge Nationalisten“) und den „Deutsche Stimme“-Schildern. Diese gut 50 Personen zogen die Straße Richtung Hauptbahnhof hinunter. Vereinzelt gingen Demonstranten nach. Wir blieben auf dem Augustusplatz, weil wir nicht der NPD hinterherlaufen wollten. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass diese Leute auf Krawall aus waren.
Später wurden ja auch dort am Bahnhof Feuerwerkskörper geworfen. Der Platz leerte sich allmählich, denn die meisten gingen weg in Richtung Osten zum Georgiring. So konnten wir zur Bühne gehen, vor der eine Gruppe Querdenker Friedensgesänge anstimmte und sich in Trance sang. Wir folgten dann dem Strom, der sich auf dem Georgiring Richtung Hauptbahnhof bewegte. Dieser Strom kam allerdings zum Stillstand, weil die Polizei am Hauptbahnhof die Straße abgeriegelt hatte. Während viele Demonstranten Kerzen auf die Straßenbahngleise stellten, sahen wir unten am Hauptbahnhof Rauchschwaden.
Vereinzelt gingen Feuerwerkskörper hoch. Dort musste es also zur Sache gehen. Als es nicht mehr weiterging und sich die Menge verdichtete, weil immer mehr Menschen nachrückten, gingen wir nach links durch den Park auf den Willy-Brandt-Platz vor dem Hauptbahnhof. Nun standen wir in den Reihen der Polizei. Hinter uns befanden sich die Reiterstaffel, ein Wagen mit der Einsatzleitung und in quadratischen Formationen Polizisten. Vor uns bildeten Polizisten zwei Ketten, die versuchten, die drängende Masse zurückzuhalten. Das gelang ihnen immer weniger. Die Polizisten stammten aus vielen verschiedenen Bundesländern. Die Koordination der einzelnen Polizeigruppen war sicher nicht einfach.
Nervöser Schimmel
An dieser Stelle waren Polizisten aus Sachsen-Anhalt im Einsatz. Die Demonstranten strömten in großer Zahl nach. Für die Polizei gab es nichts mehr zu halten, sie konnte nur noch zusehen und die Demonstranten auf dem Innenstadtring begleiten. Zwei oder dreimal versuchte die Polizei, wieder Ketten zu bilden, aber alle diese Versuche scheiterten. Es war keinesfalls eine Entscheidung der Polizei, die Demonstranten ziehen zu lassen. Es war aber eine sehr gute Entscheidung der Polizei, keine Gewalt einzusetzen, um die Menschen aufzuhalten. So konnte die Demonstration zu einem friedlichen Ende kommen.
Viele offene Fragen
Zum Schluss noch eine Anmerkung und Fragen: Übergriffe auf Journalisten habe ich selbst nicht erlebt. Der einzige Übergriff, der mir bekannt ist, ist der auf den Kollegen Reitschuster. Ich habe Journalisten an vorderster Front gesehen, die ungehindert ihrer Arbeit nachgehen konnten. Einige davon waren geradezu martialisch ausgestattet, etwa mit Helmen. Vielleicht sollte Kollege Reitschuster das nächste Mal auch einen Helm aufsetzen.
• Warum erlaubte die Stadt Leipzig eine Gegendemonstration von
Linksextremen in unmittelbarer Nähe zur Querdenken-Demo?
• Warum ließ die Polizei die gewaltbereiten Rechtsextremen innerhalb
der Querdenken-Demonstration ungehindert passieren?
• War eine Eskalation von manchen Verantwortlichen politisch gewollt,
selbst wenn sie auf Kosten Tausender friedlicher Demonstranten, auf Kosten
von Journalisten und auf Kosten von Polizisten geht?
Diese Fragen müssen geklärt werden, im Interesse unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats.
Text: red