Von Alexander Wallasch
Im hessischen Einzelhandel gilt künftig eine 2G-Option: Wird diese vom Unternehmer gewählt, besteht keine Abstands- und Maskenpflicht mehr.
Es wird abenteuerlich für Ungeimpfte: Die hessische Landesregierung überlässt es Einzelhändlern, Kunden nicht einzulassen, die nicht geimpft oder nicht genesen sind. Die Unternehmen wollen wieder Geld verdienen wie vor der Pandemie – wie viele werden deshalb nur noch 2G-Kunden einlassen?
Ganz ähnlich funktioniert der vorauseilende Gehorsam bei den Löschorgien der Sozialen Medien: Auch hier nimmt der Staat nur bedingt Einfluss auf die Internetkonzerne, baut aber eine nebulöse Drohkulisse auf, die Umsatzeinbußen befürchten lässt, und schon erledigen die Privatkonzerne, was der Staat aus gutem Grunde nicht selbst einfordert.
Greift dieses Erfüllungsgehilfentum jetzt auch in Hessen beim Einzelhandel? Nordrhein-Westfalen schaut ebenfalls interessiert, andere Länder könnten folgen.
Das hessische Kabinett um Ministerpräsident Volker Bouffier hat die bestehende Coronavirus-Schutzverordnung bis zum 7. November verlängert und neue Regelungen festgelegt. So wird die bereits für bestimmte Branchen bestehende 2G-Möglichkeit auf den gesamten Einzelhandel ausgeweitet: Es steht den betreibenden Personen also frei, Ungeimpfte – auch mit selbst bezahltem negativem Test – nicht einzulassen.
Dann allerdings dürfen die Geschäfte auf Abstands- und Maskenpflicht verzichten. Die meisten erinnern sich noch aus eigener Erfahrung, wie viel angenehmer und zeitintensiver man ohne Maske und Abstand einkauft. Man kann sich vorstellen, dass schon alleine hier ein Umsatzzuwachs in Aussicht steht. Wird der Einzelhandel dem widerstehen können oder wird man Ungeimpfte jetzt inflationär oft ausgrenzen?
Der Einzelhändler kann bei den Ausgrenzungen auf die Beschlüsse der Regierung verweisen. Und umgekehrt kann die Regierung die Freiwilligkeit herausstellen. Beide waschen ihre Hände dann in Unschuld. Wenn also zukünftig Menschen schauen müssen, wo sie ihre Nahrung herbekommen – möglicherweise kann man ja den geimpften Nachbarn noch bitten, einen vollen Einkaufskorb mitzubringen.
Spannend wird sein, wie sich die großen Discounterketten dazu verhalten. Die Landesregierung kommentiert das so:
„Wir gehen davon aus, dass diese Option eher nur tageweise genutzt wird und Geschäfte des alltäglichen Bedarfs davon keinen Gebrauch machen werden. Das heißt dann aber auch, dass ohne 2G weiter die Abstands- und die Maskenpflicht gelten.“
„Tageweise“ klingt verharmlosend nach Frauenbadetag im ansässigen Schwimmbad oder anzüglicher nach schutzlosem Ringelpiez mit Anfassen im Swingerclub, wenn der geforderte Aids-Test erbracht wurde. Aber Hessen scheint hier zu übersehen, dass der Entzug des freien Zugangs zum Einkauf für den täglichen Bedarf eine ganze Reihe von Bürgern unabhängig vom Impfstatus solidarisch erzürnen dürfte.
Denn hier ist die rote Linie überschritten: Der Hunger der Kriegs- und Nachkriegszeit sitzt tief, er ist auch für die Nachgeborenen Teil der DNA der Deutschen. Nicht umsonst ist das Angebot an Lebensmitteln in Deutschland in den Discountern sowohl vom Sortiment her wie auch vom Preis in Europa in der Kombination einzigartig. Wir mögen hier teure Miet-, Strom- und Benzinpreise haben, das Bier, die Milch, das Heidebrot und der Belag obendrauf sind Heiligtümer in Verfügbarkeit und im Preis.
Da nutzt es mutmaßlich wenig, wenn Volker Bouffier seinen Hessen noch ein Bonbon hinschmeißt, als ginge es darum, renitente Kinder ruhigzustellen: Die Weihnachtsmärkte sollen stattfinden, Zugangskontrollen wären dabei nicht erforderlich. Und als Aufmunterung hintendran sagt Bouffier: „Der größte Schutz gegen das Virus für uns alle bleibt die Impfung. Und diese ist nach wie vor unkompliziert, unbürokratisch und kostenfrei zu bekommen.“
RP Online berichtet, dass noch gar nicht klar sei, ob Einzelhändler von 2G tatsächlich Gebrauch machen würden. Bis Freitag liefe eine Blitzumfrage des Handelsverbands Hessen bei den Mitgliedsunternehmen, in der sie ihre Meinung dazu kundtun könnten.
Ach so: Die Landesregierung hat sich sogar noch weiter abgesichert, sie kann sagen, ihr Erlass würde auf einen Gerichtsentscheid zurückzuführen sein. Denn tatsächlich hatte eine Händlerin für Grillbedarf geklagt, die Ungeimpfte ebenfalls nicht mehr in ihr Geschäft lassen wollte, wie es beispielsweise Betreiber von Kinos, Theatern, Gaststätten und Hotels schon dürften. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, Az.: 5 L 2709/21.F) sah keinen Grund für die Ungleichbehandlung, kippte die Regel, und die Landesregierung ergriff die Gelegenheit bzw. musste noch mal ran.
Ein Wermutstropfen für die zukünftigen 2G-Discounter und Geschäfte sei noch erwähnt: Die Ungeimpften müssten natürlich ausgesiebt werden, es besteht also Bedarf an Kontrolleuren und Türstehern vor dem Discounter – die unschönen Bilder der Abgewiesenen und Empörten kann man sich jetzt schon vorstellen.
Die Corona-Maßnahmen haben unzählige Menschen extrem hart getroffen. Sie haben viele Existenzen gefährdet und vernichtet. Ich möchte Menschen, die betroffen sind, helfen – und veröffentliche deshalb auf meiner Seite Reklame von ihnen. Mit der Bitte an meine Leser, sie wohlwollend zu betrachten.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: privatText: wal