Es ist eine kleine, radikale Minderheit, die sich gegen die Corona-Maßnahmen auflehnt – diesen Tenor verbreiten Politik und Medien in Dauerschleife. Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte bei seiner Regierungserklärung am 15. Dezember 2021 vor dem Bundestag: „Wir werden es uns nicht gefallen lassen, dass eine winzige Minderheit von enthemmten Extremisten versucht, unserer gesamten Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen. Dieser winzigen Minderheit der Hasserfüllten, die mit Fackelmärschen, mit Gewalt und Morddrohungen uns alle angreift, werden wir mit allen Mitteln unseres demokratischen Rechtsstaats entgegentreten. Unsere Demokratie ist eine wehrhafte Demokratie.“ Faktisch erklärte der Kanzler damit den Menschen, die er als „winzige Minderheit“ bezeichnete, den Krieg. Ich wollte deshalb wissen: Wie klein ist diese Minderheit wirklich? Um der Frage auf den Grund zu gehen, gab ich bei dem Meinungsforschungsinstitut INSA eine repräsentative Umfrage in Auftrag. 2.107 Menschen aus Deutschland ab 18 Jahren wurde folgende Frage online oder per Telefon gestellt: „Wie stehen Sie zu folgender Aussage? Ich habe Verständnis für die Spaziergänger, die damit ihre Kritik an der aktuellen Corona-Politik zeigen wollen.“
Das Ergebnis ist wie ein Paukenschlag: Während Medien und Politik den Eindruck vermitteln, nur eine verschwindend kleine Minderheit der Menschen habe Verständnis für die Demonstranten gegen die Corona-Politik, trifft das laut Umfrage für 29 Prozent zu – also für fast jeden dritten. Zwar sagt eine deutliche Mehrheit von 55 Prozent, sie habe kein Verständnis für die so genannten „Spaziergänge“. Aber umgekehrt kann man sagen: 45 Prozent beteiligen sich nicht an der Verurteilung der Demonstranten, wenn man diejenigen mit einrechnet, die keine Angaben machten oder mit „weiß nicht“ antworteten. Das Ergebnis zeigt auch: Deutschland ist entgegen der Beteuerung von Kanzler Scholz gespalten. Zumindest beim Thema Corona.
Dass 29 Prozent explizit Verständnis äußern, ist eine große Überraschung. Umso mehr, als zu so einem Eingeständnis durchaus schon Mut gehört. Zum Vergleich: Die SPD kam bei der Bundestagswahl auf 25,7 Prozent der Wähler. Rechnet man das über die Wahlbeteiligung auf den Anteil der SPD-Wähler an den Stimmberechtigten herunter (also ohne Ausländer), kommt man auf 19,5 Prozent. Geht man von 70 Millionen erwachsenen Einwohnern in Deutschland aus, haben der Umfrage zufolge rund 20 Millionen Erwachsene Verständnis für die Proteste – während bei der Bundestagswahl 2021 nur knapp 12 Millionen SPD wählten. Insofern sind die Scholz-Worte von der „winzigen Minderheit von enthemmten Extremisten“ an Realitätsverlust und Dreistigkeit kaum zu überbieten.
Besonders spannend ist die Altersverteilung bei den Antworten. Ein ungewöhnlich steiles Gefälle tritt bei der Altersgruppe 60plus zu Tage:
Befragte ab 60 Jahren geben deutlich häufiger als jüngere Befragte an, dass sie kein Verständnis für die Spaziergänger haben – 73 Prozent. Bei keiner anderen Altersgruppe haben mehr als 50 Prozent kein Verständnis. Dass ingesamt mehr als 50 Prozent kein Verständnis haben, ist also nur den Älteren zuzuschreiben. Hier wäre interessant, wie viele von ihnen regelmäßig die öffentlich-rechtlichen Medien als (einzige?) Informationsquelle nutzen. Dies geht aus der Umfrage aber nicht hervor (dazu hätten noch weitere Fragen gestellt werden müssen, und das hätte den Kostenrahmen gesprengt).
Deutliche Unterschiede gibt es auch in Sachen Migrationshintergrund:
Befragte ohne Migrationshintergrund haben deutlich öfter kein Verständnis für die „Spaziergänger“ (59 Prozent) als Befragte mit Migrationshintergrund (37 Prozent). Interessant ist, dass die Zahl derjenigen, die Verständnis haben, in beiden Gruppen fast gleich ist. Dies liegt daran, dass besonders viel mehr Befragte mit Migrationshintergrund mit „weiß nicht“ geantwortet oder keine Angabe gemacht haben als Befragte ohne Migrationshintergrund.
Auch bei den Anhängern der Parteien ergibt sich eine klare Präferenz:
Nur bei den Wählern der AfD gibt eine absolute Mehrheit an, dass sie Verständnis für die „Spaziergänger“ hat, die gegen die Corona-Politik demonstrieren (72 Prozent). Bei den Wählern der anderen Parteien hat bis auf die FDP-Wähler eine absolute Mehrheit kein Verständnis für die Proteste.
Würden Ihnen die öffentlich-rechtlichen Sender eine solche Umfrage präsentieren (wobei sie eine solche ja nicht einmal in Auftrag geben – aus ihrer Sicht bestimmt aus gutem Grund), würden sie einen Text darüber komplett umgekehrt aufmachen als ich: „Deutliche Mehrheit der Deutschen hat kein Verständnis für Corona-Demos“, wäre wohl der Aufmacher. Und auch der Dreh des gesamten Beitrags. Faktisch wäre das zwar richtig. Aber in meinen Augen dennoch eine Irreführung der Leser. Denn wenn Medien und Politik ständig den Eindruck erwecken, es sei nur eine „winzige Minderheit“, die auf die Straße gehe, und die sei völlig isoliert, weil kaum jemand in der Bevölkerung Verständnis hat, so zeigt das Ergebnis der Umfrage genau das Gegenteil: Wenn weitaus mehr Menschen Verständnis für die Proteste haben als SPD wählen, kann man sie nicht mehr marginalisieren und als „winzige Minderheit der Hasserfüllten“ abtun. Das Ergebnis dieser Umfrage ist eine Ohrfeige für Scholz, die großen Parteien und die großen Medien. Für Leute wie Spiegel-Autor Sascha Lobo, der die Proteste als „Denkpest“ bezeichnet. Und es zeigt, wie sehr die Union auf einem Irrweg ist, wenn sie die Regierung stramm unterstützt bei ihrem Corona-Kurs und sogar noch härtere Maßnahmen fordert.
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Bild: Alexander Heil
Text: red