Es sind bizarre Szenen auf der Bundespressekonferenz am Freitag. Doch die meisten Medien schweigen darüber. Da sitzen wie so oft Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der Leiter seiner Bundesbehörde, des RKI, Lothar Wieler, und der Virologe Christian Drosten. Lauterbach und Wieler sind wie immer im „Alarmstufe Rot“-Modus. Die Hoffnung, die viele mit Nachrichten aus anderen Ländern verbinden – Spanien will Omikron wie eine Grippe behandeln – bekämpfen sie regelrecht. Und auch die anwesenden Journalisten klingen mehrheitlich so, als seien sie an einer Verschärfung der Maßnahmen und der Corona-Politik interessiert sowie an einer Impfpflicht.
Wie immer auf den Pressekonferenzen wiederholt Wieler gebetsmühlenartig seine düsteren Prognosen und Warnungen. Diesmal geht er sogar so weit, zu empfehlen, im eigenen Haushalt Maske zu tragen, wenn jemand positiv getestet sei. Kostproben:
- „Die Omikron-Welle türmt sich weiter auf.“
- „Die Infektionszahlen werden von den Meldedaten weniger gut erfasst.“
- „Omikron hat die Lage verändert. Es ist in unser aller Interesse, Ansteckungen so gut es geht zu verhindern.“
Auch Gesundheitsminister Lauterbach scheint geradezu beschwören zu wollen, dass mit Omikron eben nicht das Ende der Pandemie heraufziehe – wie es kritische Fachleute formulieren: „Die Krankenhäuser werden an ihre Belastungsgrenze kommen.“ Dass genau dies in den anderen Ländern Europas nicht passiert, in denen es viel weniger Einschränkungen und viel höhere Infektionszahlen mit Omikron gibt, lässt er einfach außer Acht.
Man bekommt den Eindruck, die beiden meinten, es seien lauter Geisterfahrer unterwegs – nur eben sie selbst nicht.
Und dann Drosten. Der wendige Virologe schlägt plötzlich Töne an, die man von ihm – dem Dauer-Warner – überhaupt nicht gewohnt ist.
Dass große Teile von Politik und Medien die Bevölkerung auf eine Dauer-Impfschleife einstimmen, zerlegt er mal eben so ohne viel Aufhebens mit drei kurzen Sätzen: „Wir werden nicht auf Dauer über alle paar Monate die Bevölkerung nachimpfen können. Das geht nicht. Irgendwann muss das Virus auch in der Bevölkerung Infektionen setzen und das Virus selbst muss die Immunität der Menschen immer wieder updaten.“
Das klingt ganz anders als das, was der gleiche Drosten vor rund zwei Wochen auf Twitter verkündet hat: „Wer glaubt, durch eine Infektion sein Immunsystem zu trainieren, muss konsequenterweise auch glauben, durch ein Steak seine Verdauung zu trainieren.“
Dann stellt er eben mal die gesamte Strategie der beiden Herren neben ihm als nackt dar, in einem kurzen Satz: „London, die haben wirklich eine Wand gehabt, mit wenig Maßnahmen, und jetzt ist das sogar ein bisschen von selbst zum Stillstand gekommen […] Da geht die Inzidenz eindeutig runter.“
Faktisch setzt Drosten damit auf das, was immer als das Schreckgespenst der deutschen Corona-Politik (und wohl auch der Pharma-Industrie) galt: Auf eine Durchseuchung. Er schränkt das zwar ein, aber sehr vorsichtig und nur zeitlich, jedoch nicht von der Richtung her: „Wir wissen nicht, ob wir uns das in Deutschland leisten können, angesichts der Impflücke. Das kann niemand voraussagen. Das Virus muss irgendwann laufen, aber vielleicht darf es das jetzt noch nicht.“
Auch bei der Impfpflicht schlägt er anders als die beiden Herren neben ihm leise Töne an. Er redet vom Boostern der Älteren im Herbst mit einem neuen, auf Omikron zugeschnittenen Impfstoff. Aber nicht von einem solchen neuerlichen Boostern im Herbst von allen.
Drostens Aussagen sind der K.O.-Schlag für Lauterbach und Wieler. Letzterer wirkte bei den Aussagen des Virologen wie versteinert. Und der Minister nestelte an seinem Handy herum, als ob er die Aussagen überprüfen wollte. Sie sind ein K.O-Schlag auch für die aktuelle Corona-Politik. Für den deutschen Sonderweg. Und für diejenigen Journalisten, denen es gar nicht hart und schnell genug gehen kann mit den Maßnahmen, Einschränkungen und der Impfpflicht.
Der Virologe geht noch weiter: Er beklagt, es gebe vieles, was nicht gut kommuniziert werde. Auch das ein indirekter Hieb gegen die beiden Herrn neben ihm, insbesondere Talkshow-Dauergast Lauterbach.
Zudem sagte Drosten: „Ende des Jahres ist die Pandemie zu Ende. Da können wir uns drauf verlassen.“
Es sei dahingestellt, was Drosten bewegt, von der Lockdown-Lokomotive zum Bremser zu werden. Versucht da jemand gerade noch rechtzeitig von einem sinkenden Schiff abzuspringen, das er selbst auf fatalen Kurs gebracht hat? Spürt der Virologe, dass die Stimmung kippt?
Ebenso erstaunlich wie Drostens Kehrtwende: In den brav auf Regierungslinie liegenden Medien wird sie so gut wie nicht als solche erkannt bzw. wiedergegeben (eine löbliche Ausnahme ist etwa die »Welt« – die ihren Bericht aber schamhaft hinter einer Zahlschranke versteckt).
PS: Ein befreundeter Arzt, dem ich diesen Artikel zur fachlichen Durchsicht vorab geschickt habe, machte folgende Anmerkungen:
- Drosten bezeichnet Omikron als neues Virus. Das ist fachlich falsch. Es ist eine neue Mutation des bekannten Virus.
- Drosten fordert die Nicht-Geimpften auf, sich jetzt noch impfen zu lassen; bei Omikron seien zwar die Chancen auf einen harmlosen Verlauf auch ohne Impfung groß, aber die Delta-Variante könne wiederkommen. Dabei wissen wir aus dem Narrativ von Bundesgesundheitsministerium und Robert Koch-Institut, dass der gegen die Alpha-Variante entwickelte, aktuell eingesetzte Impfstoff nach sechs Monaten seine Wirkung stark verliert und gegen die Delta-Variante wenig wirksam ist. Darüber hinaus halte ich die Drohung von Drosten, dass eine alte Mutation zurückkommen könnte, für sehr wenig wahrscheinlich.
- Drosten sagte, in Südafrika, wo Omikron nach wenigen Wochen zu Ende war und die Zahl der Krankenhauseinweisungen keinen wesentlichen Ausschlag lieferte, sei man immuner, und für den schnellen Verlauf der Omikron-Variante habe man dort einen hohen Preis bezahlt. In Südafrika ist die Impfquote aber nur bei 27 Prozent, ein Bruchteil von Deutschland. Und auch den hohen Preis kann ich nicht nachvollziehen. Südafrika hatte ca. 3,5 Millionen positiv Getestete und ca. 85.000 Tote bei ca. 60 Millionen Einwohnern. Deutschland hatte bei ca. 83 Millionen Einwohnern ca. 7,8 Millionen positive Tests und 115.000 Tote.
- Drosten verglich die Pandemie-Entwicklung mit einem Sandweg, und ließ damit indirekt Wieler und Lauterbach als auf dem Holzweg erscheinen.
Wichtiger Hinweis: Berichte wie dieser sind immer auch durch die Sichtweise des Autors subjektiv gefärbt. Ich bitte daher meine Leser wie immer, sich auch aus anderen Quellen mit anderer Herangehensweise zu informieren, um dann in Kenntnis verschiedener Sichtweisen selbst ein Urteil zu fällen. Sie können die gesamte Bundespressekonferenz, um die es in diesem Artikel geht, auch hier selbst ansehen, um sich ein direktes Bild aus erster Hand zu machen.
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Bild: Screenshot/Youtube/PhoenixText: br
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