Steinmeier nutzt jede Gelegenheit, die Opposition zu diffamieren Staatsbürgerkunde mit dem Bundespräsidenten

Von Alexander Wallasch

Der Bundespräsident hat zu einer weiteren Gesprächsrunde ins Schloss Bellevue eingeladen. Sein Thema lautet: „Hass und Gewalt in Zeiten der Pandemie – Erfahrungen und Reaktionen“.

Und Steinmeier legt gleich ordentlich los: Spaziergänger nennt er „Täter“. „Wir dürfen nicht verharmlosen“, sagt der Bundespräsident mit Blick auf die Opposition auf den Straßen in ganz Deutschland.

Lokalredakteure würden nicht mehr ohne Security aus dem Haus gehen. Dass das allerdings regierungskritischen Journalisten seit Jahren so geht, weil sie von der regierungsnahen Antifa regelmäßig angegriffen werden, interessiert Steinmeier nicht.

Es klingt tatsächlich beinah schon hohl, wenn der Bundespräsident demgegenüber meint, die Versammlungsfreiheit müsse geschützt werden, sie sei ein hohes Gut. Und weiter: Gewaltaufrufe seien „die rote Linie“, Spaziergänger würden sich mit gewaltbereiten Rechtsextremen und ihren Forderungen gemein machen. Aber wo genau soll das sein?

Die 180-Grad-Verdrehung ist hier total. Angebliche Hetze von Spaziergängern wird unversöhnlich mit präsidialer Diffamierung beantwortet. Die Verunglimpfung zunächst der zuwanderungskritischen Stimmen ab 2015 und die Diffamierung der Querdenken-Bewegung ab 2020 waren einfach zu erfolgreich, daran wird jetzt angeknüpft.

„Die Bürgerschaft darf nicht schweigen“, sie solle „lauter werden“. Der Protest der Spaziergänger ist nicht der gewünschte Protest. In Halle sei gerade eine Moschee beschossen worden, versucht Steinmeier eine besonders schmutzige Form der Schmähung zu Beginn, und kein Spaziergänger da, der ihm dafür mal hätte die Meinung geigen können.

Was der Angriff auf eine Moschee mit Spaziergängern zu tun haben könnte, erschließt sich nur Steinmeier selbst, das ist Hetze pur. Man erinnert sich: Im letzten Gespräch hatte eine unerschrockene Frau den Bundespräsidenten in Bedrängnis gebracht. Eines ist schon sicher: Das soll und wird sich hier nicht wiederholen.

Meinungsvielfalt als Inszenierung

Es sind solche inszenierten Runden, die das Zwangsgebührenfernsehen in seinen Talkshows schon seit Jahren anbietet, und die sich hier im Schloss Bellevue nahtlos fortsetzen.

Annette Knaup, leitende medizinische Fachangestellte in Paderborn, erzählt von der Überlastung und von überforderten Patienten. Die seien ermüdet von den Maßnahmen. Steinmeier hakt explizit nach, wo Knaup es nicht anspricht: Wie es denn mit Übergriffen sei gegen das medizinische Personal. Der Bundespräsident will aber noch mehr wissen über persönliche Angriffe und Beschimpfungen.

Steinmeier insistiert, ob Kollegen vielleicht deshalb den Beruf aufgeben würden. Also wegen übergriffiger Kritiker. Dass viele Menschen ihre gelernten Pflegeberufe allerdings aufgeben, weil die Politik die Rahmenbedingungen nicht verbessert und die Ungeimpften unter ihnen ab 15. März darin hindert, ihre Berufe auszuüben, soll hier unter den Tisch fallen.

Zuletzt hatten sich die Medien beschwert, dass in der vorhergehenden Runde im Schloss eine couragierte Frau ad hoc nicht überprüfbare Fakten genannt hatte. Die sogenannten Faktenchecker wurden auf den Plan gerufen. Man darf vermuten, dass das dieses Mal nicht der Fall sein wird, regierungsfreundliche Äußerungen sind von einer Überprüfung befreit.

Dr. Klaus Reinhardt, praktizierender Hausarzt in Bielefeld und Präsident der Bundesärztekammer, ist schon mal als Dr. Mengele bezeichnet worden, als er sich für das Impfen aussprach, erzählt er. Von Spaziergängern? Nein, von einem Kollegen, erfährt der Zuschauer im Livestream.

Steinmeier wendet sich André Neumann zu. Der ist Oberbürgermeister der Stadt Altenburg in Thüringen. Steinmeier schafft es hier tatsächlich, die Wut und den Protest der Menschen auch noch „wegzugendern“. Also zu einer frauenfeindlichen Aktion umzudeuten, als er zwei Bürgermeisterinnen ins Spiel bringt, die während der Zuwanderungsdebatte nach Anfeindungen die Flinte ins Korn geworfen hatten. Was das mit Spaziergängen gegen die Corona-Maßnahmen zu tun hat, bleibt wieder Steinmeiers Geheimnis.

Auch hier wieder die reflexartige 180-Grad-Umkehrung. Aber die Wut der Menschen ist zunächst eine gegen die Regierungspolitik. Hier nimmt sich die Bundes- und Landespolitik aus dem Spiel und überlässt den kleinen Bürgermeistern die Kommunikation des für so viele Menschen Unerträglichen.

Bürgermeister mit entsprechender etablierter Parteizugehörigkeit werden eben leider immer auch als Vertreter des Parteienstaates verstanden. Aber soll man deswegen seinen Protest gegen die Bundes- und Landespolitik einstellen, aus Rücksicht auf die Befindlichkeiten des örtlichen Bürgermeisters? Dass sich Gewalt und Übergriffe verbieten, ist doch selbstverständlich. Aber das gilt auch für linksextremistische Gewalt unter staatlicher Duldung gegen Kritiker der Regierungspolitik.

Markus Lewe ist an der Reihe. Er ist Oberbürgermeister der Stadt Münster und Präsident des Deutschen Städtetages. Früher habe es mehr Vertrauen gegenüber Amtsträgern gegeben, weiß Lewe.

Markus Lewe beklagt, dass man sich nicht mehr zuhören würde. Die Netiquette würde fehlen. Und das sagt er dann während einer Veranstaltung, wo Kritiker kategorisch ausgeschlossen wurden, wo nicht nur nicht zugehört, sondern, vom Bundespräsidenten aktiv betrieben, gegen Oppositionelle gehetzt wird, wie man es in dieser Steigerung kaum noch für möglich gehalten hätte.

Steinmeier interveniert erneut, Stichwort Gewalt gegen Bürgermeister, er will jetzt die ganz blutigen Geschichten hören. Aber Lewe wird das etwas viel, er will sich nicht in einer Opferrolle sehen, meint er nur.

Der Antifa-Präsident der SPD

Steinmeier gefällt sich sichtlich in seiner Rolle als oberster Talkmaster der Nation. Das spürt man sofort. Da will einer besonders lässig erscheinen und selbst viel Schlaues sagen. Der Bundespräsident hat sich für diesen Nachmittag eine besondere Aufgabe gestellt: Er will etwas tun, damit er später die Lorbeeren dafür einstreichen kann, diese Spaziergänger-Bewegung von der Straße weg in die Katakomben der Rechtsextremisten getrieben zu haben. Dafür scheint ihm jedes Mittel recht.

Undine Weihe von der Polizei Berlin ist Leiterin der 33. Einsatzhundertschaft. Nein, sie soll nicht über vielfach dokumentierte Übergriffe der Kollegen berichten, sondern selbstverständlich für diese Runde über solche von Demonstranten gegen die Polizei.

Steinmeier meint, er habe sich Demonstrationen im Fernsehen angeschaut und er könne sich dabei des Eindrucks nicht erwehren, da würde Polizei bewusst provoziert. Herr im Himmel, das muss man erst einmal hinbekommen.

Corona – Angst. Was mit unserer Psyche geschieht."Undine Weihe berichtet stattdessen davon, dass die Eskalation damit beginne, dass die Solidarität der Polizei eingefordert wird mit dem Demonstrationsziel. Und wenn man dem nicht nachkomme, würde man bedroht – dass man zur Rechenschaft gezogen werde, wenn die Demonstranten erst einmal an der Macht seien. Weihe ist seit 1991 bei der Polizei.

Christian Tiede kommt zu Wort, er ist evangelischer Pfarrer in Bautzen und Mitinitiator der Erklärung „Bautzen gemeinsam“. Er beklagt eine Umwertung der Begriffe.

Für einen Moment sieht man den zuhörenden Frank-Walter Steinmeier mit leicht geröteten Wangen sitzen. Zu lässig für das höchste Amt des Landes lümmelt er sich in seinem Stahlrohr-Leder-Schwingsessel. Zufrieden wirkt er mit der Auswahl der Gäste. Selbstzufrieden. Nein, hier geht es nicht um Debatte oder Gespräch, hier werden ausgewählte Protagonisten an der Staatstrense vorgeführt. Die Belohnung für Wohlgefallen ist die Anwesenheit Steinmeiers. Das alles hat etwas von einem ersten Akt hin zur Verdienstkreuzverleihung.

Steinmeiers Aufgabe, die er sich für diesen Nachmittag gestellt hat, wird im Laufe der traurigen Inszenierung immer deutlicher: Hier wird das höchste Amt missbraucht und das Neutralitätsgebot gebrochen mit dem Ziel, Regierungspolitik durchzusetzen, Propaganda zu zelebrieren und Opposition zu diffamieren.

Kaum erwähnenswert: Der Pfarrer ist erwartungsgemäß auch ein Befürworter der Zuwanderungsagenda der Bundesregierung. Und für seine Bewegung/offenen Brief „Bautzen gemeinsam“ darf er dann einen Werbefilm einspielen. Steinmeier liest anschließend von einer Liste weitere regierungstreue Bewegungen im Land ab.

Altenburgs Bürgermeister Neumann will, dass man nicht davor zurückschrecken soll, auch mal Telegramgruppen „zuzumachen“, wenn dort zu Gewalt aufgerufen wird.

Klartext ist nicht gleich Klartext

Der thüringische Bürgermeister will schneller in die Impfpflicht. Und Steinmeier erinnert ihn daran, dass das doch erst vom Parlament diskutiert werden muss.

Was für eine zutiefst groteske Szene: Da sitzt der präsidiale Erfüllungsgehilfe der Bundesregierung zwischen sorgsam ausgewählten Sidekicks, die ihm – dankbar für den Stuhl im Schloss – artig anreichen.

Der Oberbürgermeister der Stadt Münster freut sich nochmal in großer Runde über jenen Münsteraner Polizisten, der – wie er meint – „Klartext“ geredet habe, als er gegenüber Spaziergängern sagte: „Sie wollen nicht spazieren gehen. Sie wollen uns verarschen. Sie wollen uns hier eindeutig an der Nase herumführen.“

Der große Teil derjenigen, die mit den Maßnahmen der Regierung mitgehen, hätten das Gefühl, dass der Staat sich nicht wehren könne, so der Altenburger Bürgermeister André Neumann, der es bedauert, dass der Staat schwach wirken würde.

Dass der Staat aber die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu schützen hat, das scheint dem jungen Bürgermeister entgangen zu sein.

Anette Knaup will mehr Wertschätzung des Staates. Gerne in Form eines finanziellen Bonus, den gefühlt jeder bekäme. „Wir sind diejenigen, die Deutschland impfen“, ergänzt die medizinische Fachangestellte stolz.

„Das war mir gar nicht so bekannt“, sagt der Bundespräsident. Und das spiegelt dann versehentlich das Versagen der Regierung, die Arroganz der Macht, wo man sich nicht vorstellen kann, dass die, die am meisten leisten, auch anständig bezahlt werden sollten.

Der Bielefelder Hausarzt Reinhardt, der auch Präsident der Bundesärztekammer ist, springt von einem Thema zum anderen, ohne dabei unterbrochen zu werden. Nach quälenden Minuten und einer schwallartigen Kaskade unzusammenhängender Sätze versteht wirklich keiner mehr in der Runde, was der Mann eigentlich sagen wollte. Er selbst wahrscheinlich auch längst nicht mehr.

Eine weitere Amtszeit ist zu befürchten

Bei Steinmeier ist aber noch irgendein Satzfragment hängengeblieben, er wirft den Schnipsel in die Runde und Reinhardt setzt zum Grausen aller Anwesenden erneut zum Vortrag an, er sei da falsch verstanden worden. Aber wo, weiß er dann selbst nicht mehr, irgendwas mit Zentralismus und Amerika.

Steinmeier will wissen, wie man die Bewegung in Bautzen noch erweitern kann. Er ist jetzt bei seinem Kernanliegen angekommen. Aber es ist ja eigentlich gar keine Bewegung, sondern ein durch viele vom heimischen Sofa aus unterschriebener offener Brief, nicht mehr und nicht weniger.

Auch Steinmeier wird nicht entgangen sein, dass die Antifa-gesteuerten Gegendemonstrationen immer schmaler werden und die wenigen immer aggressiver. Nein, für den Staat auf die Straße zu gehen, ist nicht besonders attraktiv, und besonders im Osten vielen noch in negativer Erinnerung.

Schließlich beendet Frank-Walter Steinmeier diesen „Austausch von Erfahrungen“, wie er es nennt, einen weiteren tragischen Steinmeier-Moment im Amt. Die Hoffnung ist vollkommen erloschen, dass es dabei bliebe. Es werden ganz sicher weitere solcher Nachmittage aus Schloss Bellevue folgen, dieser präsidiale Hetzer hat noch nicht fertig, eine weitere Amtszeit ist abgemachte Sache.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“

Bild: Foto-berlin.net/Shutterstock
Text: wal

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