Ein Gastbeitrag von Marcel Luthe
Man stelle sich vor: Zur abendlichen Primetime steht der Vizepräsident einer sogenannten „Bananenrepublik“ – vielleicht eines kleinen Karibikstaates – vor ausgesuchten Claqueuren, fein herausgeputzt, auf einer Bühne und trällert – optisch wie musikalisch fragwürdig – auf der Melodie eines bekannten Liedes einen umgedichteten Propagandasong zur Aufwiegelung der Massen ins Mikrofon. Und dieses Schauspiel wird ebenso brav wie unkritisch vom staatlichen Fernsehsender in die Wohnzimmer übertragen.
Wir können uns derartig halbseidene Halb-, Schein- und Neindemokraten durchaus überall da vorstellen, wo nicht unsere hohen Ansprüche an staatliche Neutralität und die historisch geprägte Ablehnung von „Volksaufklärung und Propaganda“ vorherrschen.
Am gestrigen Abend habe ich den Fernseher eingeschaltet. Und meinen alten FDP-Weggefährten Joachim Stamp – der bei meinem ehemaligen FDP-Kollegen Jürgen Dittberner über die FDP-Jugendorganisation promoviert hat – im Smoking auf dem Bildschirm gesehen – offenbar bei der Aachener Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst im Ersten Deutschen Fernsehen, einer Karnevalssitzung.
Karneval ist das Fest der Rebellen, das Fest der Freiheit und der Gleichheit, an dem der Bettler zum Fürsten, der Atheist zum Kardinal und die Tänzerin zum Holzfäller werden, an dem ausgelassen, bunt und fröhlich die jeweiligen Machthaber verspottet und infrage gestellt werden.
Und dann setzte er an zu einem Lied auf einer Melodie, die ich nicht nur mit dem Karneval, sondern überhaupt mit rheinischer Offenheit, Herzlichkeit und Lebensfreude verbinde: „Drink doch eine met“ von den Bläck Fööss.
Vorweg: Ich habe mich noch nie so derart dafür geschämt, einen Menschen zu kennen wie angesichts dieses abstoßenden Auftritts von Joachim Stamp.
Karneval und das Lied der Bläck Fööss stehen dafür, niemanden auszugrenzen, herzlich füreinander da zu sein und den anderen so sein zu lassen, wie er mag.
Im Original geht es um Menschen, die einsam sind, allein zu Hause sitzen, gerne mal wieder lachen würden – und herzlich eingeladen werden, sich einer fröhlichen Runde anzuschließen. Einfach, weil wir alle Menschen sind.
Stattdessen gibt sich ein Vizeministerpräsident die Blöße, im Wortsinne totalitär einen Karnevalsauftritt dafür zu nutzen, Propaganda reinsten Wassers zu verbreiten und dichtet das Lied um:
„Impf doch einfach mit, stell Dich nicht so an, Du spazierst die janze Zick eröm (ganze Zeit herum) (…) Wovor haste Schiss? … Ein Piks macht das Lävve (Leben) wieder schön.“
In Kenntnis der Person des Herrn Stamp kann ich ihm keine böse Absicht dabei unterstellen, dass er sich angesichts hunderttausender gravierender, kurzfristiger Nebenwirkungen und gänzlich unerforschter mittel- und langfristiger Folgen nicht vorstellen kann, wovor Menschen sich sorgen könnten.
Dass das Leben wieder schön wird, wenn die Menschen schriftlich auf Ansprüche gegen die Impfstoffhersteller verzichten und sich „freiwillig“ einen Wirkstoff injizieren lassen, glaubt angesichts der Fallzahlen nun wirklich niemand mehr. Das Leben ist ja auch nicht unschön, weil es eine behandlungsfähige Krankheit gibt, sondern weil eine durchgedrehte Exekutive dem Wahn anhängt, niemand dürfe mehr erkranken und dazu fortlaufend neue, unwirksame Eingriffe ersinnt.
Und als Gegner ersinnt der Vizeministerpräsident des größten Bundeslandes die „Spaziergänger“ und ergreift Partei gegen die Meinungsbekundung der Bürger.
Darf er das? Das wird zu klären sein. Sollte er das tun? Ist das anständiges, gutes Regierungshandeln?
Die Bundesregierung definiert „Good Governance“ wie folgt:
„Sie ist transparent und effektiv. Sie legt Rechenschaft ab. Sie beteiligt alle Menschen und berücksichtigt die Meinung von Minderheiten und die Bedürfnisse von Schwachen.“
Das gilt für die Landesregierung von NRW also ebenso wenig wie für die deutsche Bundesregierung.
Und eben deshalb habe ich mit kritischen Mitstreitern die Good Governance Gewerkschaft gegründet – als Gegenpol zu diesen übergriffigen Akteuren.
In zwei Wochen ist nicht nur Montag, sondern sogar Rosenmontag. Ich bin gespannt, wie viele Spaziergänger auf den Straßen sein werden und vielleicht das Originallied singen. Miteinander statt gegeneinander. Demokratisch. Tolerant. Frei.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Marcel Luthe war Berliner FDP-Abgeordneter und ist seit Februar Vorsitzender der Good Governance Gewerkschaft.
Bild: Photo Spirit / Shutterstock.com
Text: Gast
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