Von Kai Rebmann
Venezuela ist das Land mit dem größten Erdölvorkommen der Welt und war einst das reichste Land Südamerikas. Doch davon ist nach Jahrzehnten des Sozialismus, zunächst unter Hugo Chávez und seit 2013 unter dessen Ziehsohn Nicolás Maduro, nichts mehr übriggeblieben. Korruption, Vetternwirtschaft und eine weltweit beispiellose Inflationsrate haben weite Teile der Bevölkerung in die Armut und den Staat in eine tiefe Abhängigkeit von Verbündeten wie Russland und China geführt. Die Förderrechte des unter dem Boden Venezuelas schlummernden Erdöls wurden im Gegenzug für Erlass oder Stundung von Staatsschulden auf Jahrzehnte an Moskau und Peking verpfändet. Ein Ausweg aus der wirtschaftlichen, finanziellen und nicht zuletzt politischen Krise ist weit und breit nicht in Sicht. Seit dreieinhalb Jahren tobt zu allem Überfluss auch noch ein erbitterter Machtkampf zwischen dem offiziellen Präsidenten Maduro und Juan Guaidó. Der damalige Parlamentspräsident hatte sich im Januar 2019 unter Berufung auf Venezuelas Verfassung selbst zum Interimspräsidenten ernannt, da die vorangegangenen Präsidentschaftswahlen von der Opposition nicht anerkannt worden waren.
Dieser Hintergrund ist wichtig, um eine aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Großbritannien bewerten und einordnen zu können. In den Tresoren der Bank of England lagern rund 31 Tonnen Gold, dessen Eigentümerin die Zentralbank von Venezuela (BCV) ist. So weit, so unstrittig. Das Problem ist nun, dass bei der BCV zwei rivalisierende Vorstände das Sagen haben bzw. selbiges für sich reklamieren, nachdem sowohl Staatspräsident Maduro als auch dessen Gegenspieler Guaidó jeweils ein Führungsgremium bestimmt haben. Wenig überraschend gelangte der Oberste Gerichtshof Venezuelas (TSJ) in mehreren Urteilen zu der Ansicht, dass der von Nicolás Maduro eingesetzte BCV-Vorstand der einzig legitime sei. Nahezu alle relevanten Institutionen der Bolivarischen Republik Venezuela, so auch der TSJ, sind von Chavistas durchsetzt, wie die Anhänger des im Jahr 2013 verstorbenen Hugo Chávez genannt werden.
Großbritannien erkennt Urteil aus Venezuela nicht an
Großbritannien erkennt ebenso wie die USA, aber etwa im Gegensatz zur Europäischen Union, Juan Guaidó nach wie vor als Interimspräsidenten und rechtmäßiges Staatsoberhaupt von Venezuela an. Diese Einschätzung vertritt offenbar auch der High Court in London, weshalb er das Gold aus Südamerika dem Oppositionsführer zugesprochen hat. Die Vorsitzende Sara Cockerill betonte, dass es „keinen Grund“ gebe, die Urteile aus Venezuela anzuerkennen, da es „eindeutige Beweise“ dafür gebe, dass das TSJ aus regierungsfreundlichen Richtern bestehe, die von Maduro eingesetzt worden seien. Ein Schelm, der sich bei diesem Auszug aus der Urteilsbegründung an das Bundesverfassungsgericht und dessen Vorsitzenden, den langjährigen Merkel-Vertrauten Stephan Harbarth, erinnert fühlt.
Juan Guaidó begrüßte das Urteil aus London und sprach gegenüber der spanischsprachigen Ausgabe der Los Angeles Times von „einem weiteren Schritt auf dem Weg zum Schutz der internationalen Goldreserven Venezuelas und ihrer Erhaltung für das venezolanische Volk und seiner Zukunft.“ Rechtsanwalt Sarosh Zaiwalla, der die Interessen der Maduro-Junta in London vertreten hatte, sprach dagegen von einem „unglücklichen Urteil“, da es nicht zuletzt auch um die Frage gegangen sei, wie Großbritannien mit den Urteilen ausländischer Gerichte umzugehen gedenke. Die BCV kritisierte die Entscheidung ebenfalls und warf den Richtern am High Court vor, sich der Außenpolitik der britischen Regierung untergeordnet und internationales Recht verletzt zu haben. Venezuelas Vizepräsidentin Delcy Rodríguez, deren Name wegen Verfassungsbruchs auf Sanktionslisten unter anderem der EU, Schweiz und USA steht, rief die Regierung in London zum Eingreifen auf und verlangte, „nicht weiter so zu tun, als sei Juan Guiadó der Präsident, der er nicht ist und auch nie sein wird“.
Was soll mit dem Gold geschehen?
Und tatsächlich ist der Oppositionsführer auch in seiner Heimat längst nicht mehr unumstritten. Kritiker werfen Guiadó vor, dass es ihm in den vergangenen drei Jahren trotz großer Unterstützung von Ländern wie Großbritannien und den USA, sowie anfänglich auch der EU, nicht gelungen sei, die Macht in Caracas zu übernehmen. Die Europäische Union hatte ihre Anerkennung des Interimspräsidenten nach den Parlamentswahlen 2020 zurückgezogen. Artikel 233 der Verfassung Venezuelas, auf den Guiadó sich berufen hatte, verlangt, dass der Interimspräsident binnen 30 Tagen das Amt auch offiziell übernehmen muss, was dem Maduro-Widersacher allerdings bis heute nicht gelungen ist.
Wie es mit dem Gold aus Venezuela nun weitergeht, bleibt aber vorerst noch offen, auch wenn Guaidó seinen Anhängern via Twitter mitteilte: „Ich kann euch versichern, dass das in England deponierte Gold des Landes auch weiterhin vor den Klauen der Diktatur geschützt sein wird.“ Das Urteil des High Court ist jedoch noch nicht rechtskräftig und die Regierung in Caracas hat bereits angekündigt, in Berufung gehen zu wollen. Als wichtigstes Argument führen die Chavistas die Tatsache an, dass Großbritannien weiterhin diplomatische Beziehungen mit Venezuela unterhalte, da die jeweiligen Botschaften nach wie vor besetzt seien. Dies wird vom Maduro-Lager als Beleg gewertet, dass London trotz anderslautender Darstellungen in Wahrheit eben doch den amtierenden Präsidenten Venezuelas anerkenne.
Nicolás Maduro geht in staatlichen Medien regelmäßig mit dem Versprechen hausieren, dass Gold verkaufen und den Erlös zur Bewältigung der Wirtschafts- und Versorgungskrise sowie zur Sanierung des völlig maroden bis nicht existenten Gesundheitssystems verwenden zu wollen. Glauben will ihm das in Venezuela wie auch im Ausland allerdings kaum noch jemand, da die Maduro-Junta nicht als Lösung, sondern als Verursacher der aktuellen Situation in dem einstigen Schwellenland angesehen wird. Stattdessen stünde wohl zu befürchten, dass beträchtliche Teile des Goldes, sofern die Chavistas im BCV-Vorstand Zugriff darauf bekämen, auf direktem Wege nach Russland und China weiterfließen würden, bei denen Venezuela tief in der Kreide steht.
Sollten Moskau und/oder Peking eines Tages den Daumen senken, wäre das Schicksal des an sich rohstoffreichen Landes und seiner Bürger wohl endgültig besiegelt. Das wissen selbstverständlich auch die Regierungen des Westens, weshalb das auf den ersten Blick eher unscheinbare Venezuela im spätestens seit dem Ukraine-Krieg neu entbrannten geopolitischen Machtpoker noch zu einem wichtigen Ass in den Ärmeln Wladimir Putins und Xi Jinpings werden könnte. Und man kann sich gut vorstellen, dass eine amerikafreundliche Regierung in Caracas, etwa unter einem Präsidenten Juan Guaidó, Russland und China alles andere als in die Karten spielen würde.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog. Rebmann hat mehrere Jahre im Ausland gelebt, unter anderem in Venezuela und der Schweiz.
Bild: ShutterstockText: kr
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