Von Kai Rebmann
Die Mitarbeiter im Gesundheitswesen durchlaufen seit nunmehr zweieinhalb Jahren ein Wechselbad der Gefühle. Zu Beginn der sogenannten Pandemie wurden Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern noch beklatscht und bejubelt, dann drohte man ihnen mit Betretungs- und Beschäftigungsverboten für den Fall, dass sie sich nicht „vollständig impfen“ lassen, nur um jetzt festzustellen, dass man auf diese Fachkräfte ja gar nicht verzichten kann. Diese eigentlich schon länger bekannte Erkenntnis brach sich inzwischen auch in Bayern Bahn, so dass das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) bei der sektoralen Impfpflicht in der vergangenen Woche zum Zurückrudern ansetzen musste.
Während die Kehrtwende von Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) in den großen Medien kaum Beachtung fand, ging ein Schreiben des Vorstandes des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) an die ungeimpften Mitarbeiter des Hauses in den sozialen Netzwerken durch die Decke. Den Ärzten und Pflegern wird darin mitgeteilt, dass „von Seiten der Gesundheitsämter derzeit weder Bußgeldmaßnahmen noch Betretungs- und Beschäftigungsverbote verhängt werden“. Hintergrund seien offene „rechtliche Fragen“ sowie „bestehende Personalengpässe in den betroffenen Gesundheitseinrichtungen“. Die Klinikleitung bittet daher „alle betroffenen Mitarbeiter, die weiteren Entwicklungen und Entscheidungen abzuwarten und ihrerseits keine Maßnahmen zur eventuellen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am UKR zu erwägen.“ Man tue alles, „um unserem Versorgungsauftrag vollumfänglich nachzukommen“ und bringe dies auch „gegenüber den Gesundheitsbehörden deutlich zum Ausdruck“, wie UKR-Vorstand Prof. Dr. Oliver Kölbl seinen ungeimpften Mitarbeitern versicherte.
Bayern hält sich Hintertür bei sektoraler Impfpflicht offen
Wer nun jedoch gedacht hat, die sektorale Impfpflicht sei damit zumindest in Bayern für alle Zeiten vom Tisch, der sollte zwischen den Zeilen des auf den 4. August datierten Bettel-Briefs lesen. Der Klinikchef weist ausdrücklich darauf hin, dass „derzeit“ keine arbeitsrechtlichen Schritte erwogen werden. Darüber hinaus werden die ungeimpften Angestellten des UKR gebeten, die „weiteren Entwicklungen und Entscheidungen abzuwarten“. Im Klartext: Derzeit kann man weder in Regensburg noch in Bayern oder sonstwo in Deutschland auf die Fachkräfte im Gesundheitswesen verzichten, weshalb sie doch bitte, bitte von einseitigen Kündigungen absehen sollen. Falls der Wind sich aber wieder drehen sollte, wird man die Drohkulisse des Betretungs- und Beschäftigungsverbots ohne mit der Wimper zu zucken wieder aus dem Schrank holen.
Der Vorstand des UKR unternimmt nicht einmal den Versuch, diese Tatsache zu verschleiern. Die ungeimpften Ärzte und Pfleger werden wie selbstverständlich darüber unterrichtet, dass „mit der vorläufigen Maßnahmenaussetzung leider noch keine dauerhafte rechtliche Klarheit besteht“. Ist es nur dreist oder sind es schon erste Anzeichen für fortgeschrittenen Realitätsverlust, wenn man seine eigenen Mitarbeiter förmlich bekniet, dem UKR jetzt die Treue zu schwören, ihnen aber schon im nächsten Satz mitteilt, dass man sie schon in wenigen Monaten vielleicht doch vor die Tür setzen wird?
Das Zurückrudern des Gesundheitsministeriums und Bettel-Briefe wie jener aus Regensburg sind ein überdeutlicher Beleg dafür, dass die Politik längst erkannt hat, dass sie mit der Einführung und dem verbissenen Festhalten an der sektoralen Impfpflicht ein lupenreines Eigentor geschossen hat. Doch anstatt sich diesen Fehler einzugestehen und den Ärzten, Pflegern und Krankenschwestern in diesem Land auch eine langfristige berufliche Perspektive zu garantieren, hält man sich zur eigenen Gesichtswahrung durchaus fragwürdige Hintertüren offen. Wer beim nicht erst seit Corona offenkundigen Pflegenotstand in Deutschland effektiv und nachhaltig gegensteuern will, der sollte diese Berufe für potenzielle Neu- oder Quereinsteiger so attraktiv wie möglich machen. Mit einer sektoralen Impfpflicht im On-Off-Modus können die in diesem Bereich so dringend benötigten Anreize aber sicher nicht geschaffen werden.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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