Von reitschuster.de
Die Schließung ganzer Branchen und Geschäftszweige im Winter 2020/21 mutete schon damals seltsam bis willkürlich an. Baumärkte durften geöffnet bleiben, Autohäuser hingegen nicht. In kleinen Ladengeschäften bestand offenbar keine Ansteckungsgefahr, während der Infektionsschutz in großflächigen Märkten angeblich nicht gewährleistet gewesen sein soll. Zu den Verlierern beim Maßnahmen-Bingo der Regierungen in Bund und Ländern gehörten unter anderem auch die Betreiber von Möbelhäusern. In Bezug auf die bundesweit erlassenen Einschränkungen konnte sich die Bundesregierung bisher im Zweifelsfall stets auf das brav mit dem Schwanz wedelnde Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verlassen. Auf Ebene der Bundesländer scheinen die obersten Gerichte inzwischen aber langsam aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwachen und die Maßnahmen der vergangenen Jahre zunehmend kritisch zu beäugen.
Ein positives Beispiel hierfür ist das Oberverwaltungsgericht Saarlouis (OVG) im Saarland. Bereits zum wiederholten Male klopften die Richter den politischen Entscheidungsträgern auf die Finger. Nachdem zuvor bereits die Schließung eines Restaurants im November 2020 für rechtswidrig erklärt worden war, waren jetzt auch die Betreiber mehrerer Möbelhäuser mit ihrer Klage erfolgreich. Die Regierung des inzwischen abgewählten und damals für seinen besonders strengen Corona-Kurs bekannten Ex-Ministerpräsidenten Tobias Hans (CDU) hatte im Frühjahr 2021 unter anderem die Schließung von Möbelhäusern initiiert und dies mit einer angeblich hohen Infektionsgefahr begründet. Wer kennt es nicht – Möbelhäuser, in denen sich die Kunden dicht an dicht gedrängt durch die Ausstellungen von Küchen, Bädern und Wohnzimmern schieben?
Verstoß gegen höherrangiges Recht
Um Logik scheint es dem „Ihr-seid-jetzt-raus-aus-dem-gesellschaftlichen-Leben“-Ministerpräsidenten Hans und den meisten seiner Kollegen in den Ländern beim Erlass von Corona-Maßnahmen aber nie wirklich gegangen zu sein. Vielmehr stand das Setzen von Zeichen und „klaren Botschaften“ im Vordergrund. Mit der Schließung von Möbelhäusern hat die Landesregierung im Saarland den Bogen jedoch überspannt. „Die Regelung verstieß gegen höherrangiges Recht“, wie das OVG mit Verweis auf das Grundgesetz in der Urteilsbegründung erklärte. Durch die Rechtsverordnung zur Seuchenbekämpfung seien Grundrechte wie die freie Berufswahl sowie der Schutz von Eigentum und Gewerbe verletzt worden.
In großen Möbelhäusern hätten sich die Kunden „besser aus dem Weg gehen können“ als in den vergleichsweise kleinen Geschäften, die geöffnet bleiben durften, argumentierten die Richter in Saarlouis weiter. Ferner konnte das OVG nicht erkennen, worin der Unterschied zwischen einem Möbelhaus und „großflächigen Einzelhandelsbetrieben“ sowie „Bau- und Gartenmärkten“ liegen soll, die von der Schließung ausgenommen waren. Darüber hinaus würdigte das Gericht die offenkundigen Bemühungen der Kläger in Bezug auf den Infektionsschutz. Die Betreiber der Möbelhäuser hätten Alternativen angeboten, so etwa das Einhalten (und Kontrollieren) von Mindestabständen oder die Durchführung von Corona-Schnelltests vor Ort, was die Richter als „ähnlich effektive Mittel“ wie die vollständige Schließung bewerteten.
Schließlich sah das OVG auch eine unrechtmäßige Ungleichbehandlung zum Nachteil der Kläger als gegeben an. Während Märkte mit gemischtem Sortiment Waren wie Teppiche, Bettwäsche oder Wohnaccessoires in ihren geöffneten Geschäften verkaufen konnten, war dies den Betreibern von Möbelhäusern verboten worden. Alles in allem sahen die Richter den durch die Regierung eingeschränkten Geschäftsbetrieb als „nicht erforderlich“ an, um der Pandemie entgegenzuwirken.
Jetzt drohen Schadenersatzklagen
Da es den Klägern aber wohl nicht nur ums Rechthaben geht, hat das OVG in Saarlouis die Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ausdrücklich zugelassen. Dort konnte es um mögliche Schadensersatzforderungen seitens der Kläger gehen. Die Betreiber der Möbelhäuser hatten im Laufe des Verfahrens vor dem OVG des Saarlandes erhebliche Umsatzeinbußen geltend gemacht, die durch die staatlichen Hilfen nicht ausgeglichen werden konnten. Im Vorjahr seien noch 80.000 Neuaufträge eingegangen, 2021 seien aufgrund der Schließung nur noch 1.450 Neuaufträge registriert worden.
Sollte dieses Urteil Schule machen und sollten die Gerichte in anderen Bundesländern zu ähnlichen Einschätzungen gelangen, könnte das dicke Ende für den Steuerzahler erst noch kommen. Den Bürgern droht dann sozusagen eine Doppelbestrafung. Erst wurden sie durch willkürliche und offensichtlich auch rechtswidrige Maßnahmen in ihren Freiheits- und Grundrechten eingeschränkt, und dann sollen sie auch noch die Zeche für die gravierenden Fehlleistungen der Politik zahlen. Selbst derart schallende Ohrfeigen sind für die „modernen Politiker“ von heute aber längst kein Grund mehr für einen Rücktritt. Umso besser, dass das Stimmvolk im Saarland sich dieser Sache selbst angenommen und die Landesregierung im Frühjahr abgewählt hat. Tobias Hans ist seit dem 25.April 2022 bekanntlich raus aus der Staatskanzlei in Saarbrücken.
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