Dass der Journalistenberuf in der Bundesrepublik nicht reguliert ist und jeder als Journalist tätig sein darf, ist eine der wichtigen Lehren aus dem Nationalsozialismus. Der hatte sich zum Richter darüber erhoben, wer als Journalist arbeiten darf und wer nicht. Das sollte nicht wieder passieren, so der Grundkonsens in der Bundesrepublik. Der alten. In der das Motto galt: Der Staat soll lieber hundert auch noch so umstrittene Journalisten zu viel anerkennen, also auch nur einen in seiner Tätigkeit zu behindern.
Umso mehr hat mich schockiert, was die Polizei in Berlin der freien Journalistin Sophia-Maria Antonulas auf eine Presseanfrage antwortete. Sie ist unter anderem Autorin zweier auch auf meiner Seite veröffentlichten Interviews mit Berliner Polizisten, die schockierend sind. Und ein Dokument der Zeitgeschichte – decken sie doch unfassbare Missstände bei der Berliner Polizei auf (nachzulesen sind sie hier sowie hier).
In meinen Augen Journalismus vom Feinsten.
Die Berliner Polizei sieht das ganz anders. Die erklärte Antonulas, dass sie gar keine Journalistin sei. Und machte sich damit in übelster Tradition zum Richter darüber, wer Journalist ist und wer nicht. Von wegen: Nie wieder!
Wie absurd die Begründung dafür ist, dass Antonulas nicht als Journalistin anerkannt wurde, habe ich in einem eigenen Beitrag ausführlich beschrieben. Man kann mit Antonulas provokanten Aussagen einer Meinung sein oder nicht, man kann sie auch entschieden ablehnen. Aber man kann sich nicht zum Richter erheben, ob sie Journalistin ist oder nicht.
Ich habe in meinem Beitrag auch meine Presseanfrage an die Berliner Polizei zu der Causa veröffentlicht. Mit sieben Fragen. Die bis heute, 45 Tage später, nicht beantwortet sind. Eine phänomenale Zeit, wenn man berücksichtigt, dass Presseanfragen stets zeitnah zu beantworten sind. Hier wird einfach das Pressegesetz ganz offen ausgehöhlt.
Antonulas hat nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Beamten gestellt, der ihr die Auskunft verweigerte. Witzigerweise derselbe, der mir mitteilte, dass gegen mich ermittelt wird.
Die Antwort auf die Dienstaufsichtsbeschwerde ist eine Verhöhnung dessen, was ich in meiner Journalistenausbildung gelernt habe. Und eine Verhöhnung der Losung: „Nie wieder!“
Die Polizei schreibt zu der Causa: „Die Handlungsweise entspricht den Regularien der Polizei Berlin und dem Berliner Pressegesetz und ist deshalb nicht zu beanstanden.“ Die Behörde – streng genommen eigentlich eine Hilfsbehörde der Staatsanwaltschaft – erhebt sich in der Begründung völlig unverhohlen zum Richter darüber, wer Journalist sein darf und wer nicht.
Wer brav auf Linie ist, darf es.
Berlins Polizei geht sogar noch weiter. Sie erhebt sich auch noch zum Richter über die Wahrheit.
Eine ebenso erstaunliche wie präzedenzlose und geschichtsvergessene Kompetenz-Anmaßung.
Verhöhnung der Geschichte
In der atemberaubenden Begründung, die ich unten in ganzer Länge veröffentliche, schreibt die Berliner Polizei unter Berufung auf den Pressekodex, eine private, freiwillig und damit unverbindliche Übereinkunft von Medienunternehmen, die heute extrem parteiisch ausgelegt wird: „Ihre Artikel sind gänzlich ungeeignet, Ihre journalistische Tätigkeit zu belegen, da sie weder der im Pressekodex geforderten Achtung vor der Wahrheit und der wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit noch der im Berliner Pressegesetz verlangten Wahrhaftigkeit und Sorgfalt im Hinblick auf Wahrheit genügen.“
Wir haben im Jahr 2022 also wieder eine Wahrheits-Instanz in Deutschland: die Berliner Polizei.
Orwell hätte es sich nicht schlimmer ausdenken können.
Das ist nicht mehr zu toppen.
Banalität des Bösen
Ich würde zugespitzt sagen: Das ist die Banalität des Bösen, die in der Unbedarftheit von rotgrünem Gutmenschentum daherkommt.
Um jemandem zu verweigern, dass er als Journalist Presseanfragen stellen darf, reicht es also, dass die Polizei in seinen Artikeln „fehlende Wahrheit“ feststellt.
Das besonders erschreckende: Diese absolute Ungeheuerlichkeit, die künftige Historiker als Beispiel für eine Aushöhlung der elementarsten demokratischen Grundsätze in ihre Werke aufnehmen können, geschieht wohl im naiven, tumben Glauben, das „Gute“ zu tun. In fanatischer ideologischer Verblendung. Wie alles ähnliche Unheil, das in der Geschichte seinen Lauf nahm.
Weiter schreibt die Polizei: „Das in Ihrer Beschwerde erwähnte Interview mit einem angeblichen Berliner Polizeibeamten floss hingegen nicht bei der Bewertung Ihrer Tätigkeit mit ein.“
Es ist unfassbar. Statt Anfragen von Journalisten gefälligst zu beantworten, wie es das Gesetz vorschreibt, spielt die Berliner Polizei entweder auf Zeit – wie in meinem Fall – oder verwendet ihre offenbar reichlich vorhandene Arbeitszeit darauf, anhand von Artikeln der Anfragenden zu entscheiden, ob sie einer Antwort würdig sind und die „Wahrheit“ schreiben.
Unterschiedliche ‘Wahrheiten‘
Ob sich die Beamten mal Gedanken darüber gemacht haben, wie schnell sich „Wahrheiten“ ändern? Dass wir 1932 eine ganz andere „Wahrheit“ hatten als ein Jahr später, 1933? Und 1949 in Ost-Berlin eine ganz andere „Wahrheit“ als in West-Berlin?
Aber der Antwort der Berliner Polizei nach zu urteilen, ist dieser Gedankengang zu abstrakt, als dass er bei den Zuständigen in der Behörde auf fruchtbaren intellektuellen Boden fallen könnte.
Antonulas Anwalt schrieb in einer ersten Reaktion an die Polizei:
„Ihre Antwort vom 28. September 2022 können wir nicht nachvollziehen. Der Zugang zum Journalismus ist in der Bundesrepublik nicht reguliert. Presseausweise werden von Berufsverbänden, nicht dem Staat, ausgestellt und gewähren bestimmte Privilegien, um die unabhängige Arbeit von Journalisten und Reportern zu gewährleisten. Die heutige freie Presse ist somit der Gegenentwurf zu den gleichgeschalteten Medien der NS-Zeit. Der Begriff oder die Berufsbezeichnung „Journalistin/Journalist“ ist daher anders als in anderen Ländern nicht geschützt. Jede und jeder darf sich prinzipiell so bezeichnen. Ganz egal, ob sie oder er wirklich hauptberuflich für Medien arbeitet. Presseausweise werden daher von zahlreichen Organisationen und Redaktionen ausgestellt, die unterschiedliche Kriterien für die Vergabe anlegen. Das lässt sich mit den Erfahrungen in der Nazi-Zeit erklären. Ab 1933 mussten Journalistinnen und Journalisten einer so genannten „Pressekammer“ beitreten.“
‘Dunkle Zeiten unserer Geschichte‘
Das Fazit des Anwalts: „Eine Gesinnungsprüfung und ein Verstoß gegen Artikel 5 Grundgesetz ist mehr als offensichtlich – insbesondere da es um das Thema Polizei selbst geht, begründet dies einen wohl kaum widerlegbaren Verdacht, dass die Zusammenarbeit mit meiner Mandantin nur deshalb abgelehnt wurde. Die Einordnung meiner Mandantin, als keine Journalistin, beruht daher ganz klar vor dem Hintergrund, negative Berichterstattung zu verhindern. Ein schwerer Verstoß gegen den Pressekodex liegt nicht vor. Es steht Ihnen keinesfalls zu, die Berichterstattung meiner Mandantin als ‘die Wahrheit‘ oder nicht zu bezeichnen und daher eine willkürliche Einstufung als zugelassene oder nicht zugelassene Journalistin vorzunehmen, dies erinnert an dunkle Zeiten unserer Geschichte, vergleiche oben. Jedenfalls liegen keinerlei schwerwiegende Gründe vor, um die Zusammenarbeit mit meiner Mandantin zu verweigern.“
Antonulas und ihr Anwalt behalten sich nun eine so genannte Verpflichtungsklage gegen die Polizei vor.
PS: Hier die Antwort der Berliner Polizei auf die Dienstaufsichtsbeschwerde in voller Länge: