Berliner Polizei gibt nur noch „richtigen“ Journalisten Presseauskünfte Forderung nach "Neutralität" und "journalistischen Standards" – voller Fehler

In meiner Journalistenausbildung habe ich Folgendes gelernt: Dass der Journalistenberuf in der Bundesrepublik nicht reguliert ist und jeder als Journalist tätig sein darf und sich Journalist nennen kann, ist eine der wichtigen Lehren aus dem Nationalsozialismus. Die – echten – Nazis hatten sich nämlich zum Richter darüber erhoben, wer Journalist ist und wer nicht. Das „Nie wieder“ – so habe ich es in meiner Ausbildung verinnerlicht, bezieht sich auch darauf, dass nie wieder der Staat oder staatliche Stellen bestimmen sollen, wen sie als Journalisten „anerkennen“ und wen nicht.

Insofern war es zwar befremdlich, aber hinnehmbar, dass mir etwa Tilo Jung absprach, Journalist zu sein. Jung mag zwar staatsnah und mit der Regierung verbandelt sein – weshalb er etwa die Meistbegünstigungsklausel bei Interviewanfragen bekommt. Aber er ist dennoch keine staatliche Stelle.

Umso mehr hat mich schockiert, was jetzt die Polizei in Berlin der freien Journalistin Sophia-Maria Antonulas auf eine Presseanfrage antwortete. Antonulas ist unter anderem Autorin eines Interviews mit einem Berliner Polizeikommissar, das mich tief bewegt hat und das ich auf meiner Seite abdruckte – und ich bin Antonulas sehr dankbar, dass sie mir den Abdruck gestattete. Denn das Interview ist ebenso schockierend wie ein Dokument der Zeitgeschichte – deckt es doch unfassbare Missstände bei der Berliner Polizei auf (nachzulesen hier).

Ein Dokument der Zeitgeschichte ist auch die Antwort eben dieser Polizei auf Antonulas Presseanfragen. Sie zeigt, dass das „Nie wieder!“ für viele eine hohle Phrase ist. Die Berliner Polizei schwingt sich zum Richter darüber auf, wer sich Journalist nennen darf und wer nicht. Und leider reagiert sie damit auch auf Forderungen von Mainstream-Journalisten und sogar Journalisten, die sie regelmäßig zu solch einem „Filtern“ auffordern und damit das eigene Berufsethos auf den Kopf stellen. Aber lesen Sie diese skandalöse Antwort selbst – in voller Länge:

Subject: Ihre Anfragen bei der Pressestelle der Polizei Berlin
Date: August 26, 2022 at 15:04:35 GMT+2

To: [email protected]

 

Sehr geehrte Frau Antonulas,
 
vielen Dank für die Zusendung des Bildes ihres Presseausweises sowie des Hin- und Verweises darauf, in wessen Auftrag sie berichten. Nach Beurteilung dieser Informationen erkennen wir in Ihrer Tätigkeit keine journalistische Tätigkeit und können Sie somit nicht als Journalistin anerkennen.
 
Dies begründen wir wie folgt.
 
Eine journalistische Tätigkeit leitet sich für die Polizei Berlin, neben den wesentlichen Merkmalen Aktualität, Publizität, Universalität und Periodizität, auch aus einem anerkennen des Pressekodex oder einer ähnlichen ethisch-moralischen Selbstverpflichtung sowie damit einhergehender journalistischer Standards her.
 
Aus den Inhalten ihrer bisher veröffentlichten Beiträge treten Sie nach unserer Feststellung als Aktivistin und Akteurin der Protestbewegung gegen die pandemiebedingten Infektionsschutzmaßnahmen und nicht als neutrale Beobachterin bzw. Berichterstatterin auf. Die Gleichstellung der aktuellen pandemiebedingten Grundrechtsbeschränkungen mit einem vermeintlichen „Corona-Faschismus“, mit dem nationalsozialistisches Unrecht und der Unwertgehalt nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen bagatellisiert wird, steht nach unserer Auffassung journalistischen Standards entgegen. Zahlreiche Beiträge entsprechen hinsichtlich der Ziffer 1, Ziffer 2 sowie der Ziffer 14 darüber hinaus nicht dem Pressekodex.
 
Ihre etwaigen zukünftigen Anfragen werden wir daher an die für Bürgeranfragen zuständige Dienstelle weiterleiten.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Im Auftrag
Polizeihauptkommissar XXXXX XXXXXX

Die Rechtschreibung habe ich absichtlich so belassen, wie sie im Original war. Auch dies gehört zu einem Dokument der Zeitgeschichte. Den Namen des Absenders dieser Mail nenne ich nicht, obwohl das zulässig wäre, da er offizieller Pressesprecher ist. Aber es geht nicht um die Person. Es geht um das System dahinter.

In meinen Augen ist die Antwort an Dreistigkeit und Geschichtsvergessenheit nicht zu überbieten. Ich bin etwa auch der Ansicht, dass viele Kollegen bei ARD und ZDF aktivistisch tätig sind. Wäre das ein Grund für die Polizei, ihnen Presseauskünfte zu verweigern?

Standards des Kaninchenzüchtervereins

Die Pressestelle schreibt: „Eine journalistische Tätigkeit leitet sich für die Polizei Berlin…auch aus einem anerkennen des Pressekodex oder einer ähnlichen ethisch-moralischen Selbstverpflichtung sowie damit einhergehender journalistischer Standards her.“ Ich schreibe jetzt besser nicht, an welche Einrichtung in der Geschichte mich das erinnert. Wer bitte soll die „journalistischen Standards“ definieren? Ich finde: ARD und ZDF und viele Medien verstoßen regelmäßig gegen journalistische Standards, so wie ich sie verstehe. Bekommt künftig nur noch Auskünfte, wer den Standards des zuständigen Kommissars entspricht? Oder der linksgrün angehauchten Polizeipräsidentin? Oder der SPD-Innensenatorin? Oder des Kaninchenzüchtervereins, dem der diensthabende Beamte angehört?    

Weiter schwingt sich die Pressestelle zum Richter dazu auf, welche Berichterstattung neutral sein soll. Dabei ist das schon per se absurd. Niemals musste Presse neutral sein. Die Frankfurter Allgemeine war früher konservativ, die Frankfurter Rundschau links. Beide waren nie „neutral“. Mehr noch: Medien sind eindeutig Tendenzbetriebe, weswegen sie etwa in Sachen Betriebsverfassungsgesetz einen Sonderstatus haben.

Kolossales Eigentor

So etwas sollte zum Mindestwissen einer Pressestelle gehören. Wäre hier ein Minimum an einschlägiger Bildung vorhanden, hätte man dort gemerkt, welch kolossales Eigentor man da schießt.

Genauso in Sachen Pressekodex: Der ist eine freiwillige Selbstverpflichtung eines Teils der Medien (die inzwischen zu einer Potemkinschen Fassade geworden ist, aber das tut nichts zur Sache). Wie kommt die Polizei dazu, ihn zur Grundlage für die Entscheidung darüber zu machen, wen sie als Journalist betrachtet? Schon etwas Googeln hätte geholfen: Dann hätten die Beamten erfahren, dass zum einen nicht alle Verlage sich dem Pressekodex unterwerfen, und viele es gar nicht können – etwa kostenlose Zeitungen oder Zeitschriften, öffentlich-rechtliche Sender oder reine Internetmedien.

Und aktivistisch? Der Vorwärts ist ein SPD-Organ. Ist es deswegen keine Presse und würde ihm die Pressestelle eine Auskunft verweigern? Es sind die Bürger und letztlich die Leser bzw. Zuschauer, die zu entscheiden haben, ob sie „Aktivismus“ bei Journalisten dulden oder nicht. Aber bei Gott ist das in einer Demokratie nicht die Entscheidung einer staatlichen Behörde! Besonders pikant: Der Pressesprecher, der den obigen Brief unterzeichnete, gab in seiner amtlichen Eigenschaft dem Portal „diversoderwas.de“ ein Interview. Komisch, dass er das offenbar nicht für „aktivistisch“ hielt. Eine der Aussagen dort unterstreicht indes sein Brief: „Die Schulbildung lässt nach“.

Aktivismus im Amt

Ich bin einfach nur sprachlos, welch schlimme Kombination aus Unwissen und politischer Voreingenommenheit heute in staatlichen Behörden herrscht. Der Vorwurf, den sie anderen machen, fällt auf sie zurück: Die Polizei ist es hier, die aktivistisch handelt. Indem sie zwischen „guten“ und „schlechten“ Journalisten unterscheidet. Und im Gegensatz zu freien Journalisten dürfen Beamte als Staatsdiener eben nicht aktivistisch sein!

Mir persönlich fehlen Zeit und Mittel, um gegen diese hanebüchene Verletzung des Neutralitätsgebots und der Dienstpflichten der Berliner Polizei vorzugehen (die übrigens hartnäckig schweigt, was den tätlichen Angriff auf mich auf einer Demo vor einem Jahr mit einem Blumentopf angeht – wahrscheinlich bin ich für die Beamten auch kein richtiger Journalist und/oder schlicht vogelfrei). Vielleicht findet sich ja ein Anwalt oder ein juristisch bewanderter Leser, der dieses Unrecht nicht hinnehmen möchte und dagegen vorgeht.

PS: Ich habe folgende Presseanfrage an die Berliner Polizei geschickt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Frau Antonulas, die auch auf meiner Seite veröffentlicht hat, schickte mir Ihre Antwort auf ihre Presseanfrage zu. Sie sprechen ihr darin ab, Journalistin zu sein. Dazu habe ich folgende Fragen:

  1. Auf welche Kompetenz beruft sich die Berliner Polizei, wenn sie entscheidet, wer journalistisch tätig ist und wer nicht?
  2. Wie steht die Berliner Polizei zu der in der Journalistenausbildung gelehrten Lehre aus der Geschichte, dass nie mehr staatliche Organisationen in Deutschland entscheiden sollen, wer Journalist ist und wer nicht?
  3. Wie begründen Sie Ihre Haltung, dass nur neutrale Journalisten in Ihren Augen Journalisten sind, wenn doch Medienbetriebe laut Gesetz Tendenzbetriebe sind, also explizit nicht neutral?
  4. Sie schreiben, für die Anerkennung als Journalist durch Sie sei eine Einhaltung von „journalistischen Standards“ nötig. Wer definiert diese in Ihren Augen und woraus leiten Sie die Allgemeinverbindlichkeit solcher Definitionen ab?
  5. Ganz unabhängig davon, wie man zu einer Gleichsetzung von Corona-Maßnahmen mit einem vermeintlichen „Corona-Faschismus“ steht – woraus leiten Sie ab, dass diese unzulässig ist für Journalisten und nicht durch die grundgesetzlich garantierte Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt?
  6. Wie stehen Sie zu dem Widerspruch, dass Sie ja selbst die Existenz eines „Corona-Faschismus“ durch Ihre Formulierung negieren, gleichzeitig aber eine Gleichsetzung damit bemängeln? Gehe ich Recht in der Annahme, dass es sich hier einfach um eine ungeschickte Formulierung handelt?
  7. Auf welcher Rechtsgrundlage machen Sie den Pressekodex, der ja eine freiwillige Selbstverpflichtung eines Teils der Medien ist, zur Grundlage für die Entscheidung darüber, wen Sie als Journalisten betrachten?

Mit freundlichen Grüßen

Boris Reitschuster

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
Bild: Shutterstock
Text: br

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