Von Kai Rebmann
Man sollte meinen, über Corona sei schon alles gesagt und die Meinungen zu Gefährlichkeit, Ursprung und Hintergründen seien ausgetauscht. Dennoch reifte an der Universität Zürich in den vergangenen Wochen offensichtlich die Überzeugung, dass die Welt noch auf eine weitere, ganz bestimmte Studie zu diesem Thema gewartet hat. Also haben die Forscher etwas Steuergeld in die Hand genommen – schließlich geht es aufs Jahresende zu und man will ja keine Fördergelder verfallen lassen – und haben sich an der Einordnung der „Covid-19-bezogenen Verschwörungsüberzeugungen“ versucht. Statuiert wurde dieses Exempel an der Schweizer Bevölkerung, untersucht wurde dabei insbesondere das Informationsverhalten und die Nutzungsweisen von sozialen Medien.
Die Wissenschaftler um Mike S. Schäfer konfrontieren die Probanden unter anderem mit fünf gängigen „Verschwörungstheorien“ rund um Corona: Die Pandemie wird zu einem größeren Problem gemacht als sie wirklich ist. Es gibt keine Evidenz für die Existenz des neuartigen Coronavirus. Die Zahl der Corona-Toten wurde von den Behörden wissentlich übertrieben. Bestimmte Gruppen wollen, dass die Pandemie fortdauert, weil sie davon profitieren. Die Pandemie wurde von mächtigen Individuen geplant.
Na, ist da schon etwas für Sie dabei? Wenn nicht, dann sind Sie voll auf Linie, genau wie knapp 59 Prozent der Schweizer Bevölkerung. So hoch ist den Autoren zufolge der Anteil der Studienteilnehmer, die keine der oben genannten Behauptungen teilen oder dazu tendieren, diese zu teilen. Jetzt hätte man die Studie für beendet erklären, sich mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen zufriedengeben und darauf hoffen können, dass sie irgendjemandem etwas bringen mögen. Aber einfach alle Schwurbler über einen Kamm scheren und sie der Verdammnis anheimfallen lassen – so einfach wollten es sich die Experten von der Uni Zürich dann doch nicht machen.
Hype-Zyniker, Wankelmütige und Misstrauische
Im nächsten Schritt galt es, die Verschwörungstheoretiker zu typisieren, sie also einer bestimmten Art der Schwurbelei zuzuordnen. Wir wollen gar nicht lange um den heißen Brei herumreden, sondern gleich mit der gefährlichsten Spezies beginnen, den „Extremgläubigen“. Wenn Sie einem solchen Exemplar in freier Wildbahn begegnen, müssen Sie damit rechnen, dass Ihr Gegenüber alle fünf genannten Verschwörungstheorien verbreitet. Mit diesem Typus eng verwandt sind die „Gläubigen“. Beide Gruppen unterscheiden sich im Wesentlichen darin, dass Letztere etwas weniger stark davon überzeugt sind, dass Corona überbewertet werde und bestimmte Gruppen von der Pandemie profitieren. Die „Extremgläubigen“ (9,3 Prozent der Schweizer) und die „Gläubigen“ (6,4 Prozent) gelten gemeinhin als die Könige der Verschwörungstheoretiker.
Sodann werden die „Misstrauischen“ vorgestellt. Hierbei handelt es sich offenbar um eine vom Aussterben bedrohte Art der Schwurbler. Dieser Gruppe gehören nur 5,0 Prozent der Schweizer an, was sie zur zahlenmäßig kleinsten Kategorie macht. Die „Misstrauischen“ zeichnen sich nach Ansicht der Forscher dadurch aus, dass sie weder an der Existenz des Virus zweifeln noch an einen von den Mächtigen ausgetüftelten Plan glauben. Andererseits sind sie aber so frei und hinterfragen das Ausmaß der Pandemie und/oder die Zahl der an (nicht mit) Corona Verstorbenen und können sich vorstellen, dass es wie auch immer geartete Profiteure gibt. Ganz ähnliche Verhaltens- und Glaubensweisen legen die „Wankelmütigen“ (7,5 Prozent) an den Tag. Sie unterscheiden sich von der vorgenannten Gattung vor allem darin, dass sie nicht so recht wissen, ob die Zahl der Corona-Toten übertrieben dargestellt wird oder nicht. Und auch die Überzeugung, dass es das Virus gibt und selbiges nicht geplant wurde, ist bei den „Wankelmütigen“ zwar etwas weniger stark ausgeprägt, grundsätzlich aber vorhanden.
Wenn Sie beim nächsten Skiurlaub in der Schweiz einem Einheimischen begegnen, der nicht voll und ganz auf einer Linie mit dem Mainstream ist, muss es sich dabei nicht zwingend um einen Verschwörungstheoretiker handeln. Ebenso gut ist es möglich, dass ein Zyniker vor Ihnen steht. Als „Hype-Zyniker“ bezeichnen die Experten der Uni Zürich all jene, die nur glauben, dass das Ausmaß der Pandemie übertrieben sei. An allen anderen gängigen Überzeugungen äußert diese Gruppe (5,9 Prozent) keine nennenswerten Zweifel. Und auch die „Profit-Zyniker“ (7,4 Prozent) ernähren sich in der Regel nur von einer ganz bestimmten Verschwörungstheorie, in diesem Fall von der Meinung, dass bestimmte Gruppen von der Pandemie profitieren und diese daher nach Möglichkeit in die Verlängerung schicken wollen.
Studie entmenschlicht die Meinungsfreiheit
Schon alleine die Finanzierung solcher Studien durch Steuergelder erscheint höchst fragwürdig, da sie keinen wirklichen Mehrwert erkennen lässt. Ganz im Gegenteil werden Menschen, sofern sie es wagen, eine eigene Meinung zu haben und diese gegebenenfalls auch zu äußern, in eines von nur sechs vorgegeben Schemata gepresst. Die Autoren dieser Studie suggerieren darüber hinaus, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein, indem sie selbst definieren, was im Zusammenhang mit Corona als „Verschwörungstheorie“ zu gelten hat und was nicht. Eine Auflistung aller ehemaligen Schwurbeleien, die sich im Nachhinein als Fakt herausgestellt haben, würde an dieser Stelle die Dimensionen sprengen.
Die Kollegen von der Schweizer „Weltwoche“ fassen die vorliegende Studie sehr treffend wie folgt zusammen: „Unter dem Deckmantel der Wissenschaft werden Gruppen von Menschen nach willkürlichen Kriterien selektioniert, pathologisiert, diffamiert und ausgegrenzt. Was einst die Herkunft war, ist heute die Gesinnung.“ Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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