„Licht in der Finsternis“ – unter dieser Überschrift, versehen mit einem Bild von Angela Merkel, setzte der Chefredakteur von „T-Online“, der Ex-Spiegel-Online-Chef Florian Harms, 2020 einen neuen Rekord in Sachen Bauchpinselei und Personenkult, der an Nordkorea erinnert. Der Artikel war, anders als ich beim ersten Blick auf die Schlagzeile dachte und hoffte, keine Satire. Sondern ein Kriechen in einen Körperteil der damaligen Kanzlerin, das ich hier aus Gründen der Schicklichkeit nicht namentlich erwähnen will.
Auf Anhieb fällt mir jedenfalls kein anderes Land ein, in dem „Journalisten“ Staats- oder Regierungschefs mit derartigen Vergleichen bauchpinseln. Die Saat trägt nun ihre Früchte. Und wieder ist es – wen wundert es, „T-Online“, das die Kunde verbreitet. Allein mit der Schlagzeile ist eigentlich alles gesagt: „Eltern in Essen nennen ihre Tochter Merkel“. Weiter erfährt der geneigte Leser: „Merkel aus Essen ist mit ihrem besonderen Namen nicht alleine: Aus Dankbarkeit nennen einige geflüchtete Familien ihre Neugeborenen nach der Ex-Kanzlerin.“
‘Wir schaffen das‘
Bekannt gemacht haben das nicht etwa die Eltern, sondern das Standesamt in Essen. Bei der Mutter und dem Vater handelt es sich den Angaben der Stadt zufolge um Eltern aus dem Irak, schreibt das Regierungs-Lobpreis-Portal – und setzt noch einen drauf: „Dies könnte die Motivation der Namensgebung erklären: Aus Dankbarkeit gegenüber der Ex-Kanzlerin, die sich mit ihrem 2015 ausgesprochenen Satz ‘Wir schaffen das‘ zur zunehmenden Ankunft von Flüchtlingen in Deutschland äußerte und damit ein Zeichen einer neuen Willkommenskultur setzte.“
Sodann steht da: „Angela Merkel gibt es auch in Münster und Duisburg. Kinder verschiedenster Hautfarben und Nationen heißen inzwischen so“.
Die Sowjetunion lässt grüßen. In den zwanziger und dreißiger Jahren, zum Teil auch weit darüber hinaus, gaben besonders eifrige Kommunisten ihren Kindern Namen wie „Wladlen“, ein kommunistischer Kunstname, der aus den Anfangsbuchstaben von Wladimir Lenin zusammengesetzt war. Entweder, weil sie wirklich an die Sache glaubten, was wohl die Minderheit war, oder, weil sie sich selbst und ihren Kindern Karrierevorteile von so einem linientreuen Namen versprachen.
In einem Skript eines noch nicht veröffentlichten Romans schrieb ich vor ein paar Jahren: „Für uns Westler ist das schwer zu verstehen, denn wer käme schon auf die Idee, sein Kind Angemer zu nennen, Nicosarc, Barobam, oder Silvberl“. Weit gefehlt, wie sich nun herausstellt.
Wenigstens in Russland ist diese alte Unsitte aus der Mode gekommen, und es ist mir noch nie ein Wladput zu Ohren gekommen, nur eine „Privatisazija“ – also Privatisierung – und ein „Morgser“, die Abkürzung für „Meine Eltern wählen Einiges-Russland“, die Kreml-Partei.
Altlasten gang und gäbe
Während solcher ideologischer Ballast bei Vornamen heute Seltenheitswert hat, sind Altlasten in den Vatersnamen gang und gäbe. Atheistowitsch etwa bedeutet, dass der Vater Atheist hieß, Kimowitsch steht für Kim (die Abkürzung für „Kommunistische Internationale der Jugend“), Wilowitsch für Wil (abgekürzt Wladimir Ilitsch Lenin), Tankistowitsch für das russische Wort für Panzerfahrer, wer Bonapartowisch heißt, hatte Großeltern, die Napoleon Bonaparte verehrten, ein „Telmanowitsch“ im Pass verrät die Vorliebe der Großeltern für den deutschen Kommunistenführer Thälmann, der im Russischen nur etwas anders geschrieben wird, wie die meisten deutschen Wörter. Auch für das zarte Geschlecht gab es solche ideologischen Vornamen, nur sorgt die russische Tradition hier für Diskretion, weil es zwar einen Vatersnamen, aber keinen Muttersnamen gibt. Was übrigens auch ein Glück für die Merkels in Essen, Münster und anderswo ist. Wenigstens ihre Kinder müssen sich später mal nicht schämen.
Weil es eben keinen Mutternamen gibt in Russland, ist nur noch aus den Geburtsurkunden zu erfahren, wer von einer Ideja (Idee), Wolja (Wille), Aurora oder Dastraperma („Hoch lebe der erste Mai“) abstammt. Dabei waren ungewöhnliche neue Vornamen nach der Revolution in Russland auch abseits des Politischen sehr populär: Die Liste reicht von Granit, Wolfram, Iridij (Iridium), Radij (Radium) über Diesel, Kombain (Mähdrescher), Traktor, Traktorina bis hin zu Wolga, Gimalaja (Himalaya), Berjosa (Birke), Dub (Eiche), Genie und – was auch immer dahinter steckt, am ehesten wohl Unwissen – Geisha.
Wer den immer wieder anzutreffenden Vatersnamen „Wladlenowitsch“ trägt, hat es dabei noch durchaus gut erwischt. Denn kein normaler Russe muss dabei auf Anhieb lachen, wie das immer wieder der Fall ist, wenn jemand den Vatersnamen Demokratowitsch, Kominternowitsch, Energieowitsch, Elektronowitsch, Elbrusowitsch oder Marxowitsch.
Angesichts der Ideologisierung in der Bundesrepublik und der Übernahme vieler sowjetischer Unsitten, habe ich mir Gedanken gemacht, welche Vornamen uns bald erwarten könnten: Vielleicht gibt es bald einen Habeck Müller, einen Baerbock Schneider, eine Atomfrei Müller oder Energiewende Michailow. Den Ideen sind keine Grenzen gesetzt – ich freue mich auf Ihre Vorschläge und ergänze diese gerne.
Die Vorschläge meiner Korrektorin: ‚Generationowitsch‘ oder ‚Klebowitsch‘ (Letzte Generation und Klimakleber) oder (für ganz Staatstreue) ‚Karlowitsch‘ (Karl Lauterbach). Kommentar eines Freundes: „Herrlich ! Merkel al Mustafi“. Leser Steffen schlägt unten in den Kommentaren vor: „Ich mach dann den Klimterroristowitsch, um auch mal das Unwort des Jahres zu würdigen.“ Seyke schreibt: „Da kommt bestimmt bald die Elektrifikacija wieder.“
Aktuell ist (wieder) eine Unterstützung via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – trotz der Paypal-Sperre: über diesen Link.