Bröckelt da was? SPD-Mann spricht von „Grüner Diktatur“… ...und bringt damit Journalisten aus der Fassung

Für das, was Manfred Güllner jetzt ganz offen sagt, wären andere gestern noch als „Schwurbler“ diffamiert worden. Als Gründer und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa und zeitgleich SPD-Mitglied muss der 81-Jährige aber solche Vorwürfe nicht fürchten. Eine „kleine elitäre Minderheit der oberen Bildungs- und Einkommensschichten“ zwinge „der großen Mehrheit der Andersdenkenden ihre Werte durch Belehrungen oder Verbote“ auf – so lautet die bestechende Diagnose des Meinungsforschers aus dem linken Spektrum. Die Ampel treibe „Wähler zur AfD, die nicht rechtsradikal seien“, sagte er – er kann es trotz der kritischen Einsichten nicht lassen, die AfD bzw. einen Großteil ihrer Wähler als rechtsradikal zu diffamieren.

„Die AfD hat es – anders als frühere rechtsradikale Bewegungen – geschafft, das immer vorhandene Potenzial der Anfälligen für rechtsradikales Gedankengut auch als Wähler zu gewinnen“, sagte Güllner in einem Interview mit der „Welt“, das hinter einer Bezahlschranke steht und in dem Güllners SPD-Mitgliedschaft dem Leser gegenüber nur versteckt in einer Bildunterschrift mitgeteilt wird. Das ist noch das alte „Framing“, das immer weniger wirkt. Allerdings muss auch der Sozialdemokrat eingestehen, dass in diesem Jahr „bisherige Wähler anderer Parteien und Nichtwähler zur AfD gewandert“ sind, „die bislang Vorbehalte gegen diese Partei hatten.“ Anders als bisher seien darunter auch „beachtlich viele Wähler der Ampel-Parteien“.

Das kann niemanden überraschen. Interessant ist aber, dass Güllner in anderen Bereichen geradezu ketzerische Ansichten äußert. Und sogar Klartext über die Ampel spricht. Ein Teil der ursprünglichen Wähler sei von der Ampel enttäuscht, so der Sozialdemokrat: „Sie betreibt eine Politik, die in erster Linie von der grünen Wählerklientel, nicht aber von der Mehrheit der liberalen und vor allem der sozialdemokratischen Wähler für richtig befunden wird. Die große Mehrheit der früheren SPD-Wähler in normalen Arbeitsverhältnissen hat den Eindruck, dass sich ‚ihre‘ einstige Partei zu sehr einer Art grüner Diktatur beugt.“

Das ist so schwerer Tobak, dass der Interviewer von der einst konservativen „Welt“, die zu einem großen Teil von rot-grünen Journalisten gemacht wird, für einen Moment seine wahre „Haltung“ durchblitzen lässt. Er reagiert auf die Aussage von Güllner, merkbar entsetzt, mit zwei Fragen in sechs Worten: „Grüne Diktatur? Ist das Ihr Ernst?“

Was der Meinungsforscher von der SPD darauf antwortet, dürfte dem Interviewer nicht behagt haben: „Wenn eine kleine elitäre Minderheit der oberen Bildungs- und Einkommensschichten der Gesellschaft der großen Mehrheit der Andersdenkenden ihre Werte durch Belehrungen oder Verbote aufzwingt, kann das wohl als eine Art Diktatur gewertet werden.“ So halte, anders als die große Mehrheit der Grünen-Wähler, „nur eine Minderheit aller Bundesbürger die Abschaltung der Kernkraftwerke, das Verbot des Verbrennungsmotors sowie der Gas- und Ölheizungen oder die Gendersprache für richtig“, so Güllner: „Nicht nur die Politik auf Bundesebene, sondern auch viele Kommunen orientieren sich zu sehr an einem vermeintlich grünen Zeitgeist.“

Als Beispiel nennt der Meinungsforscher die bisherige Verkehrspolitik des rot-grün-roten Senats in Berlin und konkret die symptomatische Sperrung der Friedrichstraße. Nur 20 Prozent aller Berliner würden diese befürworten, gegenüber 85 Prozent der Grünen-Anhänger. „Übernimmt eine Partei wie die SPD aber derartige, nur von einer Minderheit geteilte grüne Positionen, treibt das Wähler über das rechtsradikale Potenzial hinaus zur AfD“, so Güllner zur „Welt“.

Der Journalist beginnt zu hyperventilieren und vom Thema abzulenken: „Die AfD ist seit ihrer Gründung immer weiter nach rechts außen gerückt. Stört die Wähler das nicht?“, hält er Güllner vor. Der besinnt sich auf sein Framing: „Die Stammwählerschaft der AfD hat ein geschlossenes rechtsradikales Weltbild, ist fremdenfeindlich und nationalistisch eingestellt“, sagt er. Ohne Draufhauen auf die AfD und ihre Wähler ist heute keine halbwegs risikofreie öffentliche Aussage möglich. Und Güllner drescht noch weiter: „Die große Mehrheit von rund 80 Prozent der Bundesbürger, die die AfD nicht für eine normale demokratische Partei halten, stört die Radikalität der AfD durchaus.“

Güllner spricht nun von einem „klaren Damm zwischen Anhängern der AfD und der übergroßen Mehrheit, die mit dieser Partei nichts zu tun haben will.“ Doch da zeigten sich jetzt, so der Sozialdemokrat, „erste Aufweichungen, und es wechseln Wähler zur AfD, die sehr wohl wissen, dass es eine rechtsradikale Partei ist. Wegen des zunehmenden großen Unmuts über den überbordenden grünen Zeitgeist aber wandern sie trotzdem zu dieser Partei.“

Sodann folgt weiteres Framing. „Medienfeindlichkeit und Verschwörungstheorien gehören zur DNA der AfD“, sagt Güllner weiter: „Es ist eine Masche von radikalen Rechten, sich selbst zum Opfer zu stilisieren und andere für das eigene Schicksal oder vorhandene Ängste verantwortlich zu machen.“ Für Wähler der AfD aus dem Mittelstand spiele „die große Sorge, den jetzigen Status in der Gesellschaft zu verlieren und zwischen dem ‚globalen Kapitalismus‘ und dem ‚Proletariat‘ zerrieben zu werden, eine große Rolle.“

Sodann folgt ein munteres Framing-Ping-Pong zwischen Interviewer und Interviewten. „Welche Rolle spielen autoritäre Einstellungen, eigene Ressentiments und das Ablehnen demokratischer Institutionen?“ fragt der „Welt“-Journalist. Güller antwortet, stramm auf Linie: „In der Tat haben AfD-Wähler nicht nur zu keiner staatlichen Institution, sondern etwa auch zu den Medien, den Sicherheitsorganen oder den Meinungsforschern kein Vertrauen. Sie protestieren gegen alles und sich selbst, lehnen das gesamte politische und gesellschaftliche System ab und hängen Verschwörungstheorien an.“

Ich erspare Ihnen die weiteren Details, weil sie langweilig wären – es sind immer die gleichen.

Dennoch finde ich dieses Interview geradezu spektakulär. Und zwar in mehrerlei Hinsicht. Noch am wenigsten, weil die SPD-Mitgliedschaft von Güllner nur in einer Bildunterschrift mitgeteilt wird, also quasi versteckt. Andere Medien erwähnen sie gar nicht und führen damit ihre Leser massiv in die Irre. Dass Güllner aber sagt, man könne die Politik der Ampel „als eine Art Diktatur werten“, ist ein Tabubruch. Spektakulär ist auch, wie genau er die grüne Hegemonie als eine Ursache für den Anstieg der AfD benennt.

Jetzt Neu und nur für kurze Zeit!

Noch spektakulärer indes, wie er dann diese Erkenntnis ignoriert, oder genauer gesagt verdrängt. Und wieder völlig ins alte Framing zurückfällt und in die Stigmatisierung der AfD und ihrer Wähler. Dass genau dies ebenfalls eine wesentliche Ursache für den Erfolg ist, dass damit seine eigene jahrelange Arbeit in die falsche Richtung lief und das Gegenteil des Beabsichtigten erreichte – sich das einzugestehen, wäre für den 81-Jährigen wohl zu schmerzhaft. Und genauso für weite Teile des rot-grünen polit-medialen Komplexes.

Das Interview zeigt ebenso wie die panischen Reaktionen der Grünen auf Unmut und Protest, wie dieser Komplex auf eine Implosion zusteuert. Die klügeren Vertreter wie Güllner erkennen zwar die grüne Hegemonie und ihre verheerenden Auswirkungen. Aber sie sind gleichzeitig nicht bereit, den Irrweg der AfD-Stigmatisierung als Teil des Problems zu erkennen. Je länger sie diese Schutzhaltung der Verdrängung aufrechterhalten, umso stärker wird diese Partei wachsen.

Tatsächlich sind in der AfD rechtsradikale Strömungen vorhanden und auch stark. Das gleiche lässt sich aber, seitenverkehrt, über die „Linke“ sagen, mit denen SPD und Grüne in mehreren Ländern zusammen regier(t)en. Ebenso wie bei der „Linken“ sind aber eben auch bei der AfD ein großer Teil der Parteimitglieder und ihrer Wähler Menschen, die zwar die Politik sehr kritisch sehen, aber keinesfalls radikal sind. Die allgegenwärtige „Kontaktschuld“ und die Verteufelungen von Gesprächen mit der AfD sind genau darin begründet: Gespräche würden das sorgsam – auch mit Hilfe von AfD-Leuten wie Höcke – aufgebaute Zerrbild in die Gefahr bringen, an der Realität zu zerschellen.

Die Geschichte zeigt aber: Auf Dauer lassen sich Zerrbilder nicht aufrechterhalten. Solange die anderen Parteien eine tatsächliche, fundamentale Opposition zur grünen Hegemonie der AfD überlassen, wird diese weiter wachsen. Und je weiter sie wächst, umso mehr werden die Zerrbilder zerschellen.

Als Journalist sehe ich die AfD wie jede andere Partei kritisch. Ich habe in meiner Arbeit viele Gespräche mit aktiven und früheren Mitgliedern der Partei geführt und dabei sehr unterschiedliche Eindrücke gewonnen. Die Stigmatisierung der AfD war und ist in vielem eine selbsterfüllende Prophezeiung und half, die radikalen Kräfte in der Partei zu stärken. Wenn nun die Stigmatisierung weniger wirkt, wäre das auch eine Chance für die gemäßigten Kräfte innerhalb der Partei, Boden gut zu machen im Kampf gegen die Radikalen.

Diese Seite braucht Ihre Unterstützung

Wenn Sie weiter Artikel wie diesen lesen wollen, helfen Sie bitte mit! Sichern Sie kritischen, unabhängigen Journalismus, der keine GEZ-Gebühren oder Steuergelder bekommt, und keinen Milliardär als Sponsor hat. Und deswegen nur Ihnen gegenüber verpflichtet ist – den Lesern! 1000 Dank!!!
Aktuell sind (wieder) Zuwendungen via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – trotz der Paypal-Sperre: über diesen Link. Alternativ via Banküberweisung, IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71. Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut.

Mein Video-Tipp

„Zigeuner“-Verbot für Schriftsteller, kritische Journalisten als irre Lügner: Die Irrsinns-Chronik

YouTube player
Bild: Screenshot Youtube-Video dub beamtenbund
Hier die neue Fun-Kollektion!

Mehr zum Thema auf reitschuster.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert