Von Kai Rebmann
Über die Machenschaften der Zensoren in den sozialen Medien musste auf dieser Seite – leider – schon mehrfach berichtet werden. Nicht zuletzt Facebook und Youtube taten und tun sich dabei immer wieder mit willkürlich anmutenden Sperren oder gar Löschungen missliebiger Beiträge oder ganzer Accounts hervor. In diesen Fällen maßgeblich dafür verantwortlich sind die Zensoren des Bertelsmann-Verlags, der auf eine einschlägige Geschichte zurückblickt. Offensichtliches Ziel ist die Einschränkung der Meinungsfreiheit bzw. die nach eigenem Gutdünken betriebene Begrenzung des zulässigen Meinungskorridors.
Hier soll es jedoch um eine andere Art der „Zensur“ gehen, auf die – im Gegensatz zu der Arbeit von Bertelsmann und Co – im digitalen Zeitalter wohl kaum noch verzichtet werden kann. Videos, Bilder und Kommentare werden in den sozialen Medien millionenfach in Echtzeit generiert – rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche. Ein nicht geringer Teil dieser Inhalte ist aus offensichtlichen Gründen nicht zur großflächigen Verbreitung geeignet, die Rede ist von Enthauptungen, Kindesmisshandlungen oder der Zurschaustellung von Leichen – um nur einige Beispiele zu nennen.
‚Ich bin ein gebrochener Mensch‘
Mit dieser Thematik befasst sich jüngst auch der Digitalausschuss des Deutschen Bundestags und lud zu diesem Zweck einen sogenannten „Content-Moderator“ vor. Cengiz Haksöz arbeitet für Telus International, ein in Essen ansässiges Subunternehmen, das in diesem Fall für Facebook und Instagram tätig ist. Seine Aufgabe bestehe darin, das Auge der Öffentlichkeit vor „extrem verstörenden Bildern und Videos“ zu schützen, wie Haksöz es selbst ausdrückt.
Im Laufe der Zeit habe er rund „4.000 Stunden Gewalt und Terror“ gesehen, was ihn zu „einem gebrochenen Menschen“ gemacht habe, wie der Content-Moderator vor den Abgeordneten zu Protokoll gab. Die Folge: „Depressionen, Schlaflosigkeit und posttraumatische Belastungsstörungen“, beschreibt Haksöz in der FAZ einige der psychischen Erkrankungen, die bei vielen seiner Kollegen diagnostiziert worden seien. Er wisse sogar von einem Kollegen, der sich in diesem Zusammenhang das Leben genommen habe. Das alles habe ihn zu „einem gebrochenen Menschen“ gemacht.
Augen auf bei der Berufswahl, möchte man dem Mann im ersten Moment wohl zurufen. Doch darum geht es dem Insider gar nicht. Vielmehr beklagt Haksöz die Arbeitsbedingungen bei Unternehmen wie Telus International. Die Content-Moderatoren erhielten „wenig mehr als den Mindestlohn“, die Angebote für psychologische Betreuung seien „unterentwickelt“ und überhaupt herrsche eine „Kultur der Geheimhaltung und des Mobbings“. Ein per Video aus Südafrika nach Berlin zugeschalteter Content-Manager bestätigte Haksözs Angaben in weiten Teilen.
Eigentlich dürften wir und die Mitglieder des Digitalausschusses des Bundestags von diesen Details gar nichts wissen. Denn: Cengiz Haksöz hat ebenso wie wohl die meisten seiner insgesamt rund 5.000 Berufskollegen in Deutschland eine „Geheimhaltungsklausel“ unterschrieben. Doch vor möglichen Konsequenzen, die sich nun inzwischen auch abzeichnen, hat der Whistleblower offenbar keine Angst mehr: „Ich habe genug von der Ausbeutung, ich habe genug Schaden erlitten.“
Freigestellt oder kaltgestellt?
Da ist es sicher nur ein seltsamer Zufall, dass Haksöz nur wenige Tage nach seinem Auftritt im Bundestag von seinem Arbeitgeber bis auf Weiteres – und ohne Angabe der genauen Gründe – freigestellt wurde. Dem Content-Moderator wurde in diesem Zusammenhang sogar das Betreten der Räumlichkeiten in der Essener Niederlassung von Telus International verboten. Er werde sich mit Hilfe eines Anwalts gegen diese „Maßregelung“ zur Wehr setzen, wie Haksöz bekräftigt.
Die Auskunftsfreude des Content-Moderators ist aber nur eines von zwei möglichen Motiven, die zu der überraschenden Freistellung geführt haben könnten. So ist Haksöz offenbar auch der führende Kopf einer Gruppe von Mitarbeitern, die für den 7. Juli die Wahl eines Betriebsrates bei Telus International in Essen vorbereiten. Die Freistellung bezeichnet er deshalb als „nicht nur illegal, sondern auch eine Missachtung der Demokratie“.
Als Tabea Rößner (Grüne), die Vorsitzende des Digitalausschusses, mit den arbeitsrechtlichen Konsequenzen für ihren „Kronzeugen“ konfrontiert wurde, reagierte diese mit einem Schreiben an Telus International. Darin bezeichnete sie die Freistellung als „völlig inakzeptabel“ und forderte, dass „die Bereitschaft, den Abgeordneten Rede und Antwort zu stehen, zu keinen persönlichen Nachteilen führen“ dürfe. Dasselbe gilt bekanntlich auch für Mitarbeiter, die sich gewerkschaftlich engagieren wollen.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Politik scheint sich – hier in Person von Tabea Rößner – in der Rolle des (Doppel-)Moralapostels ganz hervorragend zu gefallen. Schiebt man jetzt Facebook den Schwarzen Peter zu, griff man in der sogenannten Corona-„Pandemie“ nur zu gerne auf die Dienste der Internet-Giganten zurück, um die eigene Agenda durchzupeitschen.
Facebook und Telus hüllen sich in Schweigen
In Essen hingegen wäscht man die Hände in Unschuld. Eine leitende Angestellte von Telus International bestritt auf FAZ-Anfrage, dass die Freistellung etwas mit dem Auftritt ihres Mitarbeiters im Bundestag zu tun habe. Vielmehr liege ein Verstoß gegen Arbeitsbedingungen vor, wozu man aber keine weiteren Angaben machen könne, da es sich um eine „persönliche Angelegenheit“ handele. Haksöz habe derzeit zwar keinen Zugang zu „sensiblen Informationen“, beziehe aber weiter sein bisheriges Gehalt.
Gegenüber der ARD distanzierte sich das Unternehmen darüber hinaus auch von den inhaltlichen Angaben des Insiders. Diese spiegelten „die Realität unseres Geschäfts nicht korrekt wider“, teilte Telus dazu mit. Stattdessen kümmere man sich sehr wohl um „die Gesundheit und das Wohlbefinden“ seiner Angestellten.
Und was sagt Facebook zu den erhobenen Vorwürfen? Dort weist man die Anschuldigungen mit einer solchen Vehemenz zurück, dass man schon allein deshalb versucht ist, sie als insgeheime Bestätigung auszulegen. Man achte sehr darauf, dass „Dienstleister einen pfleglichen Umgang mit ihren Mitarbeitern“ ausübten, die Unterstützung der Content-Moderatoren nehme man ernst und die Subunternehmen seien angehalten, „rund um die Uhr“ für diese Mitarbeiter zu sorgen. Darüber hinaus gebe es vertragliche Verpflichtungen, „angemessene Löhne“ zu bezahlen, die über dem jeweiligen „Industrie-Durchschnitt“ lägen.
Content-Moderatoren fordern bessere Arbeitsbedingungen
Das klingt fast so, als wollten sich Facebook und dessen Mutterkonzern Meta für die Wahl zum Arbeitgeber des Jahres bewerben – und ist ein krasser Widerspruch zu einer breiten Front von rund 300 Content-Moderatoren, die sich bereits im März 2023 auf einem Summit in Berlin gebildet hat. In einem damals veröffentlichten Manifest, das schließlich auch zu der Anhörung im Bundestag geführt hat, heißt es unter anderem:
„Ohne uns würden die Social-Media-Unternehmen über Nacht zusammenbrechen. Trotzdem werden wir von diesen Unternehmen ausgebeutet und schikaniert. Doch wir werden nicht länger schweigen. Wir fordern einen branchenweiten Wandel. Soziale Medien können niemals sicher sein, solange unsere eigenen Arbeitsplätze nicht sicher sind.“
Ginge es nach Cengiz Haksöz und seinen Mitstreitern sollten Facebook und Co künftig viel stärker in die Pflicht genommen werden. Zu den zentralen Forderungen gehören unter anderem die Abschaffung von „Überwachung und algorithmischer Steuerung“ sowie ein Ende der Auslagerung der Arbeitsplätze von Content-Moderatoren an Subunternehmen.
Vor allem diese beiden Punkte kann man wohl nur unterstützen – und zwar ausdrücklich auch und gerade, wenn es um die „klassische Zensur“ geht. Den vor allem in diesem Bereich, in dem es um die Meinungsfreiheit und -bildung in der breiten Gesellschaft geht, weisen die Social-Media-Giganten jede Verantwortung von sich und versuchen, diese auf Subunternehmen wie Bertelsmann – oder im Fall des Content-Managements eben auch Telus International – abzuwälzen.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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