Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Es ist eine neue Methode unter den Grünen, ich muss Robert Habeck loben. Von den Gebieten, für die er kraft Amtes verantwortlich zeichnet, von Fragen der Wirtschaft und des Klimas, mag er ja so viel verstehen wie das Kalb von seiner Zubereitung, aber wenn es um geschickte Propaganda geht, ist unser eloquenter Minister immer ganz vorne mit dabei. Für manches kann er nichts. Dass ihn beispielsweise vor Kurzem Markus Lanz als „diesen Pragmatischen, diesen gut Aussehenden, diesen Kennedyesken“ beschrieb, wird ihn vermutlich nicht verärgert haben, aber es waren doch nicht seine Worte, sondern die von Lanz, der die Folgen selbst tragen muss, denn nach Paragraph 189 des Strafgesetzbuches gilt: „Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Und das gilt auch dann, wenn der Verstorbene ein ermordeter US-Präsident war.
Doch nicht von Lanz ist hier die Rede, sondern von Habeck, dem Minister für Wirtschaftsruin und Klimageraune. Während einer Fragerunde mit Bürgern im Rahmen des „Bürgerfestes für das Grundgesetz“ hatte er leichte Schwierigkeiten mit manchen Anwesenden und musste sich häufig „gegen heftige Proteste von Anti-Israel- und Klimaschutz-Aktivisten wehren“ – das war nicht schön für ihn, aber vielleicht doch lehrreich, weil er sich wenigstens einmal im Leben etwa so fühlen konnte wie viele Politiker der AfD, für die unflätige Unterbrechungen und Nötigungen zum täglichen Brot gehören. Dass er etwas daraus gelernt hat, darf man füglich bezweifeln, aber sollte den einen oder anderen ein Hauch von Schadenfreude anfliegen, kann er auf mein Verständnis rechnen.
Trotz allem war er in der Lage, eine zentrale Botschaft unters Volk zu bringen. „Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz“, so verkündete er, „also wie heizen wir in Zukunft, war ja auch ehrlicherweise ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz, wenn er konkret wird, zu tragen. Und ich bin zu weit gegangen. Das hat man ja gesehen, dass dann sozusagen der Gegendruck sofort da war, und es wäre ein Gegendruck gewesen, der wahrscheinlich den gesamten Klimaschutz am Ende von den Füßen geholt hätte.“
Das hört man gerne. Ich lasse den Umstand beiseite, dass sein Gesetz auf einer keineswegs belegten Theorie vom menschengemachten Klimawandel beruht und der Beitrag, den der Ruin deutscher Hausbesitzer zum vermeintlichen Schutz des Klimas leisten könnte, ausgesprochen marginal ist. Ein wenig fühlt man sich an den seligen Jochen Steffen erinnert, der 1971 meinte, es gehe nun darum, „die Grenzen der Belastbarkeit der Wirtschaft zu erproben“. Und nun wollte eben Habeck in seiner kennedyesken Art die Gesellschaft testen.
Die Konditionierung durch fortwährende Indoktrinierung
Auf den ersten Blick könnte man auf sein Manöver hereinfallen. Da hat der arme Mann etwas testen wollen und weil der Test nicht ganz so ausgefallen ist, wie er es sich erträumt hat, musste er sein Vorhaben zurückziehen. Aber so war es nicht. Denn womit hat denn die Gesellschaft solche Tester verdient? Handelt es sich bei ihr um einen Pawlowschen Hund, den man konditionieren kann und bei dem man testet, wie gut die Konditionierung – in unserem Fall: die Konditionierung durch fortwährende Indoktrinierung – funktioniert hat? Vielleicht war er ja dadurch motiviert, dass „die Gesellschaft“ während der sonderbaren PCR-Pandemie in weiten Teilen bereit war, jedem Unsinn Folge zu leisten, doch das rechtfertigt es nicht, die Bürger wie Pawlowsche Versuchsobjekte zu behandeln. Die Politik hat das Volk nicht zu testen, schon gar nicht daraufhin, ob es bereit ist, bei jedem ideologischen Irrsinn freudig mitzuspielen. Beim „Bürgerfest für das Grundgesetz“ zeigt der Minister, was er von den Bürgern und vom Grundgesetz hält.
Natürlich kann man sich fragen, warum man solche Wendungen nicht schon früher versucht hat. Ich darf an Erich Honecker erinnern, der stets mit markigen Parolen wie „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ oder „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“ die eingesperrte Bevölkerung zu unterhalten wusste. „Die Debatte um die Mauer“, so hätte er sagen können, „also wie gestalten wir unsere Grenze, war ja auch ehrlicherweise ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Sozialismus, wenn er konkret wird, zu tragen. Und ich bin zu weit gegangen. Das hat man ja gesehen, dass dann sozusagen der Gegendruck sofort da war, und es wäre ein Gegendruck gewesen, der wahrscheinlich den gesamten Sozialismus am Ende von den Füßen geholt hätte.“ Nun ja, der Gegendruck war nicht sofort da, aber bis 1989 hatte sich so viel Druck aufgebaut, dass man den Sozialismus tatsächlich von den Füßen holte, bis er sich dann in unseren Tagen mit anderem Personal und anderen Parolen doch wieder an die grünrote Macht geschlichen hat. Was wäre das für eine schöne Entschuldigung für 40 Jahre Diktatur gewesen: Man hat es doch nur mal getestet, und für eine Weile hat es ja auch funktioniert.
Vom Status des unfassbaren Irrsinns auf den Status des schlimmen Irrsinns entschärft
Doch es gibt einen großen Unterschied. Zumindest damals war der Sozialismus gestolpert, und kaum jemand – ich weiß, es gab Ausnahmen – konnte sich vorstellen, dass er jemals wieder, wie es heute geschieht, fröhliche Urständ feiert. Aber das Gebäudeenergiegesetz, also das Gesetz zur Zerstörung des Wertes von Hauseigentum, wurde nur vom Status des unfassbaren Irrsinns auf den Status des schlimmen Irrsinns entschärft. Die Verpflichtungen zum energetischen Umbau sind verschoben und von der Existenz sogenannter kommunaler Wärmeplanungen abhängig gemacht worden, die vermutlich in wenigen Jahren vorliegen. Es gibt Übergangsfristen, aber die nützen dem normalen Hausbesitzer nichts, wenn er wegen einer irreparabel kaputten Heizung in fünf, zehn oder zwanzig Jahren Umbaumaßnahmen vornehmen muss, die er sich auch dann nicht leisten kann. Ob das Haus, das man sich in vielen Fällen zur eigenen Altersvorsorge gebaut oder gekauft hat, jetzt oder später seinen Wert verliert und vielleicht sogar wegen mangelnder Sanierungsfähigkeit billig verkauft werden muss, ist für die Besitzer nicht übermäßig wichtig – Hauptsache, sie werden ruiniert. Aber der Minister hat ja nur testen wollen, wie weit die Gesellschaft zu gehen bereit ist, und weint Krokodilstränen, weil sie ihm auf seinem Weg in den Untergang nicht gleich folgen wollte, sondern erst ein paar Jahre später.
Die Qualitätspresse sieht das etwas anders. Im Focus kann man lesen: „Habecks Eingeständnis zeigt, dass auch Politik ihre Grenzen hat und Kompromisse unerlässlich sind, um breite gesellschaftliche Akzeptanz für nachhaltige Veränderungen zu schaffen.“ Da hat er sich also mit seinem nach wie vor unsäglichen Gesetz noch um die Demokratie verdient gemacht und die hohe Kunst des Kompromisses ins rechte Licht gerückt. Man fragt sich, ob ein Blatt noch tiefer sinken kann.
Eigene Denkmethoden
Wir kennen es nicht anders. Auch eine andere Ikone der Partei des infantilen Totalitarismus, die man auch die Grünen nennt, wird von den sogenannten Journalisten immer wieder gerne gelobt und gegen jede Kritik in Schutz genommen: Annalena Baerbock, die Außenministerin, die aus dem Völkerrecht kam und im Interesse des Landes, wenn auch nicht des Rechts, besser dort geblieben wäre. Auch sie äußert sich oft und gerne, und kürzlich hat sie ihre Freunde wieder einmal über das Weltgeschehen belehrt. In einem Interview hat sie auf die Frage, ob die Ukraine den Krieg verlieren werde, geantwortet: „Nein. Die Menschen hier in der Ukraine, die ich heute auch wieder getroffen habe, kämpfen mit Löwenmut. Das können wir uns alle kaum vorstellen, was das bedeutet.“ Nein, das können wir nicht, und vor allem können wir nicht so ganz verstehen, warum daraus folgt, dass sie den Krieg nicht verlieren werden. Auch ein Löwe, der mit Löwenmut gegen einen Elefanten oder einen Kampfpanzer antritt, wird den Kampf verlieren. Aber, so fährt sie fort, die Ukrainer verteidigen auch „unsere Friedensordnung. Deswegen muss die Ukraine diesen Krieg gewinnen. Wir müssen alles dafür tun, dass dies eines Tages eintreten wird“. Dass die Ukrainer unsere Friedensordnung verteidigen, dürfte den dortigen Soldaten ein großer Trost sein, obwohl sie wohl eher davon ausgehen, dass sie ihr Land verteidigen, und sich um Baerbocks Friedensordnung nur am Rande interessieren.
Doch Baerbock hat ihre eigenen Denkmethoden, wie sie auch hier wieder einmal dokumentiert. „Sehr vieles geht mir durch den Kopf und noch viel mehr geht mir durch mein Herz. Weil Politiker sind logischerweise auch Menschen. Man ist wie Freund, man ist Nachbar, man ist wie in meinem Fall Mutter, man ist Ehefrau und man ist Tochter. Und so sind das alle auch hier.“ Die Formulierung „Man ist wie Freund“ hat mir besonders gut gefallen, aber ich will nicht kleinlich sein. Interessanter ist, womit sie inzwischen zu denken pflegt, denn allem Anschein nach hat sie inzwischen den Kopf weitgehend durch das Herz ersetzt; man kann nur hoffen, dass sie nicht mit allzu vielen mRNA-Spritzen traktiert wurde, was vielleicht ihr alternatives Denkorgan schwächen könnte. Und das Resultat ihres Herzdenkens ist, dass wir alle in der einen oder anderen Form Menschen sind, was in der Ukraine auch nicht anders sei. Ohne die Völkerrechtlerin wären wir darauf nicht gekommen.
Wie dem auch sei, es ist vermutlich ihr Herz, das ihr sagt, dass das alles „sehr, sehr viel Geld“ kostet, aber „niemand kann es verantworten zu sagen, wir waren damals nicht bereit, weitere Milliarden in die Hand zu nehmen für den Frieden. Und es hat dann dazu geführt, dass dieser russische Angriffskrieg sich weiter ausgeweitet hat in Europa“. Milliarden in die Hand nehmen – das klingt gut, und darin hat die Regierung ja auch Übung, vor allem wenn es darum geht, die Hand zu öffnen und diese Milliarden in aller Welt zu verstreuen. Es wird nur leider gern vergessen, dass es sich um die Milliarden der deutschen Steuerzahler handelt, die vielleicht auch gerne einmal gefragt würden, was man denn mit ihrem Geld anstellen soll. Zudem ist nicht unmittelbar einsichtig, inwiefern denn die bisher in die Hand genommenen Milliarden dem Frieden dienten, er scheint nicht wirklich in die Nähe gerückt zu sein. Einen Krieg kann man durch einen Frieden beenden, indem man entweder den Kontrahenten ohne Wenn und Aber besiegt oder sich auf Gespräche einigt und einen Verhandlungsfrieden erlangt. Da kaum zu erwarten ist, dass Putin kapituliert, wären wenigstens ein paar Euro von den vielen Milliarden gut in der Vorbereitung und Sondierung von eventuellen Verhandlungen angelegt, falls unsere oberste Diplomatin in ihrem Herzen Informationen darüber findet, was das ist. Ich hatte eben schon den Focus mit der Bemerkung zitiert, „dass auch Politik ihre Grenzen hat und Kompromisse unerlässlich sind“ – sollte das für eine feministische Außenpolitik nicht gelten?
Herrlich weit haben wir es tatsächlich gebracht
Zu ihrer wahren Form läuft sie jedoch erst in einem anderen Zusammenhang auf. „Wir müssen jetzt alle Kräfte bündeln, damit die Ukraine bestehen kann und damit Putins Truppen nicht bald vor unseren eigenen Grenzen stehen.“ Das ist bemerkenswert. Man könnte sich fragen, was diese Truppen wohl vor unseren Grenzen anfangen wollten. Falls Putin darauf aus ist, Deutschland zu ruinieren und in einen totalitären Staat umzuwandeln, dann braucht er keine Truppen zu schicken, sondern kann im Kreml gemütlich die Tagesschau verfolgen: Das schaffen wir mit dieser Regierung ganz alleine. Doch vielleicht geht es der Völkerrechtlerin um etwas ganz anderes. In Artikel 115a des Grundgesetzes heißt es: „Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates.“ Und diese Gefahrt scheint ja zu bestehen, denn Putins Truppen könnten bald „vor unseren eigenen Grenzen“ auftauchen. Hat Baerbock etwa im Sinn – oder eher im Herzen –, den Verteidigungsfall herbei zu reden? Denn in diesem Fall gibt es in Artikel 115 h eine wunderschöne und ausgesprochen praktische Regelung: „Während des Verteidigungsfalles ablaufende Wahlperioden des Bundestages oder der Volksvertretungen der Länder enden sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. Die im Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit des Bundespräsidenten sowie bei vorzeitiger Erledigung seines Amtes die Wahrnehmung seiner Befugnisse durch den Präsidenten des Bundesrates enden neun Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles.“
Was könnte der Regierung Schöneres passieren? Man braucht keine Wahlen mehr, man muss sich dem Volk, das man ohnehin geringschätzt und nur noch wegen seiner Steuerzahlungen erträgt, nicht mehr stellen, man bleibt einfach im Amt, indem man den Verteidigungsfall ausruft und dann beibehält. Sogar unser überparteilicher Bundespräsident könnte weiter seine mitreißenden Reden halten. Besser kann es für eine Regierung, die schon am Tag ihres Amtsantritts abgewirtschaftet hatte, nicht kommen.
Was Habeck mit seinem treuherzigen Geständnis und Baerbock mit ihrem ministeriellen Geplauder wirklich meinen, kann niemand wissen, im Fall der Außenministerin weiß sie es vielleicht selbst nicht. Um auch einmal Wagner, den kognitiv überschaubaren Assistenten von Goethes Faust, zu Wort kommen zu lassen:
„Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen,
Zu schauen wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.“
Herrlich weit haben wir es tatsächlich gebracht, wir sind in die Hand von kompetenzbefreiten Ideologen geraten, die alles daran setzen, ihre realitätsfernen und ruinösen Ideen umzusetzen. Auf Kosten der Steuerzahler. Auf Kosten der Wähler.
Und die lassen es mit sich machen.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
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