Ein Leser hat mir folgenden Netzfund geschickt: „Stell dir vor, du führst nach Punkten eine Meisterschaft an. Den Pokal und Titel bekommst du allerdings nicht, da die Zweit-bis Fünftplatzierten ihre Punkte zusammenzählen und den Titel für sich reklamieren. Im Sport wäre es Betrug. In der Politik nennt man es Demokratie.“
So bestechend die Logik hinter dem Vergleich ist – so sehr hat sie auch ihre Schwächen. Wenn beispielsweise zwei linke Parteien antreten und eine konservative, die konservative 40 Prozent bekommt und die beiden linken zusammen 60, dann ist es sehr wohl demokratisch, dass die beiden linken gemeinsam eine Regierung bilden und die formell erstplatzierte Partei in die Opposition muss.
Auf den aktuellen Zustand in Thüringen trifft der Sport-Vergleich dagegen schon eher zu. Besonders bewusst wurde mir das heute, als ich im „Spiegel“ eine Passage über Ruprecht Polenz las, bei der ich meinen Augen nicht traute. Und zuerst dachte: Sind das Fakenews oder hat sich Ruprecht Polenz um 180 Grad gedreht? Der einstige Merkel-Generalsekretär, der ihr bis heute treu ergeben ist, hat sich einen Namen gemacht als lautstarker Trommler gegen alles, was nicht rot-grün ist.
Und so bin ich fast vom Stuhl gefallen, als ich las, was er jetzt auf einmal sagte. Da steht in dem Hamburger Blatt: „Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz hat sich entschieden gegen eine mögliche Koalition der CDU mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ausgesprochen – selbst dann, wenn als Konsequenz die AfD in Thüringen regieren würde: ‘Ich persönlich bin der Meinung, die Thüringerinnen und Thüringer haben nun mal dieses Parlament gewählt, in dem AfD und BSW die Mehrheit haben. Und wenn es keine andere Lösung gibt, müssen die eben regieren‘, sagte Polenz der „taz“. Er unterstütze die Initiative, eine Koalition der CDU mit dem BSW durch einen Unvereinbarkeitsbeschluss zu untersagen. ‘Das BSW steht eigentlich gegen alles, was man als DNA der CDU bezeichnen kann‘, erklärte Polenz.“
Auch wenn ich nicht gedacht hätte, nochmal einer Meinung mit Polenz zu sein – er hat hier recht. Und spricht ganz klar aus, was Sache ist. Und eigentlich naheliegend – aber wegen der Dauer-Propaganda in den Medien nicht offensichtlich: In Thüringen haben mit der AfD und dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ zwei Parteien zusammen eine absolute Mehrheit im Parlament, die klar als Opposition gegen die aktuelle rot-rot-grüne Regierung in Erfurt angetreten sind. Und gegen die Ampel im Bund.
Wenn es Sahra Wagenknecht auch nur halbwegs ernst meint mit ihren Ankündigungen, wenn sie nicht ein „U-Boot“ von Rot-Rot-Grün ist, wie viele ihrer Kritiker argwöhnen, dann kann es für sie nur eine Möglichkeit geben, den Wählerwillen zu erfüllen: In einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit der AfD einen Politikwechsel herbeizuführen. Sei es nun eine Koalition, eine Tolerierung, projektbezogene Zusammenarbeit, die Unterstützung einer Minderheitsregierung oder eine fallweise Abstimmungskooperation.
Angesichts der zunehmenden politischen und gesellschaftlichen Spannungen in Thüringen ist es dringend notwendig, dass alle Parteien, einschließlich der AfD, ernsthaft in den politischen Diskurs eingebunden werden, um den Wählerwillen zu respektieren und den lange überfälligen Wandel herbeizuführen, der das Land stabilisieren könnte. Und nicht mit der CDU, SPD und/oder „Linker“ auf ein „Weiter so“ zu setzen.
Dass sie sich dabei sträubt wie eine Atheistin, die man zur Kommunion führen will, ist überaus merkwürdig. Die AfD in Brandenburg macht denn auch schon Wahlkampf mit einem Plakat, das Wagenknecht als eine verkappte Version von Merkel und Scholz zeigt – eine Politikerin, die sich als Widerstand verkauft, aber am Ende genau den Status quo unterstützt, den sie angeblich bekämpfen will.
Dieses Bild hat Sprengkraft, denn die Ähnlichkeiten sind nicht von der Hand zu weisen. Genauso wie Scholz zaudert sie. Genauso wie Merkel oft den Eindruck erweckte, sie sei der „Fels in der Brandung“, könnte man Wagenknecht vorwerfen, dass sie mit ihrer zögerlichen Haltung gerade dabei ist, die Welle der Veränderung zu stoppen. Also genau das, was sich ihre Wähler in ihrer Mehrheit so sehnlich wünschen. Sie wollten eine Alternative zu den rot-rot-grünen Mehrheiten, die Thüringen seit Jahren dominieren. Doch anstatt sich mutig mit der AfD auf eine sachliche Zusammenarbeit zu einigen, zögert sie und blockiert damit den dringend notwendigen politischen Wandel. Warum? Es scheint, als ob Wagenknecht sich davor fürchtet, die politisch korrekte Linie ihrer alten Parteigenossen zu überschreiten. Dabei ist es genau das, wofür die meisten Wähler sie gewählt haben.
Das ist das wahre Drama in Thüringen. Nicht der Vergleich mit einem Sportturnier, in dem sich Verlierer zusammentun, um die Führung zu übernehmen. Sondern eine tragische Geschichte darüber, wie eine Politikerin, die sich einst als rebellische Stimme der Vernunft verkauft hat, am Ende das Vertrauen ihrer Wähler verraten könnte, indem sie vor der Möglichkeit eines echten Politikwechsels zurückschreckt. Und damit de facto die Mehrheit nicht nur ihrer, sondern aller Wähler verrät.
Es ist an der Zeit, dass Wagenknecht sich klar positioniert und zeigt, ob sie wirklich eine Alternative zu den rot-grünen Ideologen an den Schalthebeln der Macht sein will oder ob sie am Ende doch nur ein weiteres „Systemkonstrukt“ bleibt, das den Status quo verteidigt – eine Art Steigbügelhalterin von Rot-Grün im Schafspelz. Ein Freund schrieb mir dieser Tage, Wagenknecht sei die alte SED bzw. Linke, nur in neuer Verpackung. Ich konnte ihm nicht widersprechen – es liegt nun an Wagenknecht, das mit ihrem Handeln zu tun! Und den Willen der Wählermehrheit durchzusetzen – statt ihn durch eine Zusammenarbeit mit der CDU, der „Linken“ und/oder der SPD zu verhöhnen.
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