Seltsame Chronologie der Ereignisse: Abgekartetes Spiel in Thüringen CDU im Schulterschluss mit SED-Erben und BSW

Von Kai Rebmann

„Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben!“ Mit diesem Ulbricht-Zitat, aus dem der ganze Geist der DDR spricht, lässt sich das, was in den letzten 48 Stunden in Erfurt respektive Weimar passiert ist, wohl am besten zusammenfassen.

Los ging es am Donnerstag mit der denkwürdigen und gleichermaßen skandalösen konstituierenden Sitzung des neugewählten Landtags von Thüringen in Erfurt. Sämtliche demokratischen Gepflogenheiten wurden über Bord geworfen, um die AfD als vermeintliche Feinde der Demokratie vorzuführen. Die CDU und das BSW zogen schließlich vor das Landesverfassungsgericht und klagten dort gegen die AfD und den Alterspräsidenten Jürgen Treutler.

Verfassungsgericht wird zur Stempelmaschine

Und, große Überraschung: Weimar nickte den Einwurf der Christdemokraten in den wesentlichen Teilen wie auf Zuruf ab – und wohl auch ganz im Sinne des CDU-Mannes und Gerichtspräsidenten Dr. Klaus von der Weiden. Dabei geht in der ganzen medialen Empörung ein wichtiges Detail unter: die Richter in Weimar haben der Klage der CDU lediglich in Teilen entsprochen, wie aus dem Kostenfeststellungsbeschluss hervorgeht.

Dort heißt es unter anderem: „Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Der Freistaat Thüringen hat den Antragstellern [CDU und BSW] die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.“ Hätte die CDU in vollem Umfang und auf ganzer Linie Recht bekommen, so wären ihr die gesamten Kosten zu erstatten gewesen.

Dennoch lässt der Beschluss aus Weimar viele Fragen offen. Vor allem aber entsteht der Eindruck, dass sich das Gericht weder mit dem konkreten Ablauf der konstituierenden Sitzung des Landtags befasst noch in Betracht gezogen hat, was sich in den Tagen und Wochen zuvor bereits ereignet hat. Vielmehr wirkt es auf verdächtige Weise so, als sei der Beschluss schon vorformuliert gewesen und die Richter hätten geradezu auf den Einwand von CDU und BSW gewartet.

So fand etwa ein schriftlich vorgetragener Einwand der AfD und des Alterspräsidenten in der Begründung des Beschlusses keinerlei Berücksichtigung. Die Antragsgegner hatten unter anderem wie folgt argumentiert:

„Nach Ende der Rede des Alterspräsidenten, die im Übrigen zwischen den Fraktionen nach der ersten Unterbrechung vereinbart wurde, hätte der Antragsgegner bei einem gewöhnlichen Geschehensablauf, bei dem die Antragsteller nicht sinn- und gegenstandslose Geschäftsordnungsanträge gestellt hätten, genau das getan, was die Antragsteller mit ihren Geschäftsordnungsanträgen bezwecken wollten: Der Alterspräsident hätte unter TOP 2 vorläufige Schriftführer ernannt und unter TOP 3 die Namen der Abgeordneten aufgerufen und die Beschlussfähigkeit des Landtags festgestellt. Der Antragsgegner setzte hierzu sogar an, als er zu Beginn des Tagesordnungspunktes 2 sagte: ‚Ich setze jetzt die Sitzung fort. Ich komme nun zur Ernennung von vorläufigen Schriftführern…‘“

Weiter war Treutler bekanntlich nicht gekommen, da er immer wieder durch wilde Zwischenrufe in der Ausübung seines Amtes unterbrochen bzw. daran gehindert worden war. Als Beweis führte der Antragsgegner gegenüber dem Gericht unter anderem dieses Youtube-Video an.

Diktierte CDU die Änderungen zur Tagesordnung?

Das bringt Krzysztof Walczak, Vize der AfD Hamburg, via X zu einem einfachen Schluss: „Offenbar hat sich das Gericht eine Woche lang auf eine Rechtsfrage vorbereitet, die am Ende gar nicht Streitgegenstand war: Was bei einem dritten Wahlgang bei der Präsidentenwahl passiert. Doch durch das Schmierentheater der CDU ist die Frage gar nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden. […] Man merkt förmlich, wie man trotzdem die vorher vorbereiteten Textbausteine abladen wollte, und zwar ohne auf die neue, durch die CDU geschaffene Chaos-Situation konkret einzugehen.“

Tatsächlich ist Jürgen Treutler exakt dem in der bisherigen Geschäftsordnung vorgesehen Prozedere gefolgt – oder besser gesagt: er hatte eben dies vor! Für die CDU besonders pikant: Noch in der zurückliegenden Legislaturperiode hatten die inzwischen aus dem Landtag geflogenen Grünen einen Antrag zur Geschäftsordnung eingebracht, der eine Änderung in eben diesem Sinne zum Ziel hatte, wie CDU und BSW jetzt beantragt haben. Die CDU hat sich damals noch dagegen gesperrt, weil sie fest davon ausgegangen war, aus der Landtagswahl am 1. September 2024 als strahlender Sieger hervorzugehen. Das war bekanntlich nicht der Fall, und nur so ist der plötzliche Sinneswandel zu erklären.

Der Alterspräsident verwies in seiner mehrfach unterbrochenen Rede wiederholt auf ein Einladungsschreiben vom 19. September 2024 zu der konstituierenden Sitzung des Landtags am 26. September 2019, das noch von der inzwischen ehemaligen Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linke) verfasst und verschickt worden war. Dabei handelte es sich aber um mindestens das zweite Schreiben dieser Art, welches – wohl auf Druck von Mario Voigt (CDU) – in erheblicher Weise von der ursprünglichen Version abwich. Konkret stand die darin enthaltene Tagesordnung offenbar im Widerspruch zur Geschäftsordnung des Parlaments (siehe Zeitmarke ab 03:05:00 im Video).

CDU-Kandidat mit Stimmen von Linken und BSW gewählt

Die Geschäftsordnung, welche sich der Thüringer Landtag selbst gegeben hat, gibt ein bestimmtes Verfahren vor und gilt – ganz wichtig – auch über das Ende einer abgelaufenen Legislaturperiode hinaus. Die Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls wann Änderungsanträge noch im Laufe der Konstituierung eingebracht werden können, war jetzt der Auslöser der Chaos-Tage im Thüringer Landtag. Fakt ist jedoch, dass der Begriff „Geschäftsordnung“ im ersten Abschnitt (Paragrafen 1 bis 3) der bis dato gültigen Fassung der Geschäftsordnung des Landtags nicht einmal auftaucht.

Es ist an Selbstentlarvung kaum zu überbieten, wie die CDU bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ihre Ferne zu Linken und BSW betont. Gegenüber den SED-Erben gibt es gar einen offiziellen und damit verbindlichen Unvereinbarkeitsbeschluss. Dieser scheint aber spätestens dann nicht mehr zu gelten, wenn er eigenen machtpolitischen Interessen im Wege steht.

Selbst demokratische Gepflogenheiten, die in deutschen Parlamenten über Jahrzehnte hinweg gang und gäbe waren, genießen im vorgeblichen „Kampf gegen rechts“ eine immer kürzere Halbwertszeit. Dass dies im Schulterschluss der selbsternannten „politischen Mitte“ ausgerechnet mit Linken und BSW geschieht, sollte der CDU und insbesondere ihren Wählern doch sehr zu denken geben.

Und so kann es kaum noch wirklich überraschen, dass die CDU in Thüringen keinerlei Probleme damit hat, ihren eigenen Kandidaten Thadäus König mit den Stimmen von Linken und BSW zum neuen Landtagspräsidenten und damit ins zweithöchste Amt des Parlaments wählen zu lassen. Das sah bei der Wahl zum Ministerpräsidenten vor fünf Jahren bekanntlich noch ganz anders aus – und man fragt sich: Wo ist die (Ex-)Kanzlerin, die zum Telefon greift und befiehlt, dass diese Wahl „unverzeihlich“ sei und auf jeden Fall „rückgängig“ gemacht werden müsse?

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Screenshot Youtube-Video ntv Nachrichten

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