Alena Buyx schrieb am 12. Juni 2020 eine Mail, die ihr heute wahrscheinlich mehr als unangenehm sein dürfte. Der Inhalt ist brisant: Die damals frisch gewählte Vorsitzende des Deutschen Ethikrats biedert sich in dem Schreiben bei dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn regelrecht an und bietet ihm an, seine Wünsche für die Arbeit des Ethikrats zu berücksichtigen. Genau dieses Schreiben, das in der Frühphase der Pandemie verfasst wurde, wirft nun erneut die Frage auf, die viele – auch ich – für sich schon längst beantwortet haben: Ob der Ethikrat jemals wirklich unabhängig agierte.
Die „Welt“ hat diesen Schriftwechsel, den sie durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz einsehen konnte, jetzt publik gemacht. Doch anstatt diese aufschlussreichen Dokumente frei zugänglich zu machen, hat das Blatt den Beitrag hinter einer Bezahlschranke versteckt – ein Umstand, den ich anmerken darf, da ich selbst keine solche Schranke habe. Ich habe den Text gelesen und was darin steht, hat meine ohnehin schon düstere Einschätzung von Buyx und dem Ethikrat weiter verschärft.
Das eingangs zitierte Schreiben offenbart ein erschütterndes Bild eines Gremiums, das laut Gesetz unabhängig agieren soll: „Lieber Herr Spahn“, steht da, „bitte erlauben Sie, dass ich Ihnen auf diesem etwas informellen Weg für Ihr freundliches Schreiben (…) danke“. Man sei als Ethikrat „mitten in der intensiven Arbeit“, streite und schwitze und werde alles geben, um zu Fragen zur SARS-CoV-2-Immunität „bald eine Empfehlung vorzulegen“. Im letzten Absatz steht: „Besonders aber freue ich mich darauf Ihre Vorschläge und alle weiteren Fragen, die sich ergeben könnten, im persönlichen Gespräch zu erörtern und noch genauer zu erfahren, welche Wünsche und Ideen Sie für unsere Arbeit haben.“ Vor der Schlussformel folgt dann noch folgender Hinweis: „Wir sind als Rat in der Findungsphase und ich als Vorsitzende auf der Lernkurve; nicht nur deswegen würde ich einen intensiven Austausch sehr begrüßen.“
Das klingt nicht nach Unabhängigkeit, sondern genau nach dem Gegenteil – nach Anbiederung.
Der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge äußert sich dazu eindeutig. Er, der bereits als Mitglied des Bayerischen Ethikrats durch seine kritische Haltung zu den Lockdowns auffiel, nennt die Unabhängigkeit des Gremiums „vollkommen kompromittiert“. Im Gespräch mit der „Welt“ sagt er: „Einen solchen Ethikrat, der kein kritischer ist, kann man sich sparen.“ Tatsächlich hinterlässt die Arbeit des Ethikrats in der Pandemie den Eindruck, eher ein Sprachrohr der Regierung als eine unabhängige Kontrollinstanz gewesen zu sein. Besonders auffällig wurde dies, als der Ethikrat seine Haltung zur Impfpflicht nahezu zeitgleich mit der Kursänderung der Bundesregierung änderte.
Es ist kaum zu glauben: Unter Buyx veröffentlichte der Ethikrat acht Empfehlungen, die ausnahmslos die Positionen der Bundesregierung stützten. Ein Beispiel dafür ist die Empfehlung zur allgemeinen Impfpflicht vom Dezember 2021 – angeblich gestützt auf die Erkenntnisse zur Delta-Variante. Doch in der Stellungnahme wird Omikron explizit erwähnt, und es war längst klar, dass diese milde Variante bald dominieren würde. Dennoch drängte der Ethikrat auf eine drastische Erhöhung der Impfquote. Buyx selbst verteidigte die Entscheidung mit dem Begriff „Revisionsoffenheit“ – eine Erklärung, die viele Experten eher als politisches Rückversicherungsspiel denn als ethisch fundiert bezeichnen.
Wolfgang Kubicki bringt es auf den Punkt: „Mit Frau Buyx ist eine politische Gefügigkeit des Ethikrats eingetreten.“ Unter ihrem Vorgänger Peter Dabrock waren die Empfehlungen des Ethikrats noch stärker von der Sorge um Rechtsstaatlichkeit geprägt. Doch mit dem Wechsel an der Spitze wandelte sich der Ethikrat, wie Kubicki es nennt, in ein Gremium regierungsnaher Unterstützung.
Auch der Epidemiologe Klaus Stöhr findet deutliche Worte. Gegenüber der „Welt“ bezeichnet er es als „No-go“, dass ein Sachverständigengremium explizit auf Basis von Regierungswünschen arbeitet. Noch schärfer äußert sich der Wissenschaftsphilosoph Michael Esfeld, der fordert, den Ethikrat „ersatzlos zu streichen“, da er jegliche Glaubwürdigkeit verloren habe.
Ich sehe das ganz genauso.
Der Fall Buyx entlarvt nicht nur, wie eng angeblich unabhängige Gremien mit der Regierung zusammenarbeiten – er zerstört auch den Mythos, dass der Ethikrat jemals wirklich unabhängig war. Aussagen, die vor kurzem noch als überzogen galten, lassen sich nun belegen. Wolfgang Kubicki fordert einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, um die Rolle des Ethikrats während der Pandemie aufzuarbeiten. Und er hat recht: Ein Gremium, das nur den Anschein ethischer Standards wahrt, um die Regierungslinie zu rechtfertigen, ist nicht nur überflüssig – es ist gefährlich.
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