Wahlen in Baden-Württemberg nach DDR-Vorbild – und alle klatschen Beifall Wenn Demokratie zur Farce verkommt

Von Kai Rebmann

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus! So haben es die Väter des Grundgesetzes eigentlich vorgesehen. Doch in Baden-Württemberg gilt das immer weniger, hier soll der Wähler immer weiter entmachtet werden. War Baden-Württemberg bisher schon das einzige Bundesland, das seine Landräte nicht direkt vom Volk wählen lässt, schwindet der Einfluss des Souveräns auch auf die Zusammensetzung des künftigen Parlaments ab der kommenden Landtagswahl am 8. März 2026. Stattdessen können die Parteien, analog zur Bundestagswahl, quasi „sichere“ Plätze vergeben – die im Südwesten für Landtagswahlen neu eingeführten Landeslisten machen es möglich.

Schon Walter Ulbricht wusste: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben!“ An den Landratswahlen, wie sie in Baden-Württemberg durchgeführt werden, hätte der ehemals oberste SED-Genosse der DDR demnach gewiss seine helle Freude. Seit einigen Jahren werden dort Wahlen mit nur einem einzigen Bewerber mehr zur Regel als zur Ausnahme – und Kreistage, Behörden und nicht zuletzt Medien klatschen eifrig Beifall, anstatt solche Zustände zu kritisieren.

Paragraf 39 Absatz 3 der Landkreisordnung für Baden-Württemberg legt fest: „Der Kreisrat legt dem Innenministerium die eingegangenen Bewerbungen mit den dazugehörigen Unterlagen unverzüglich vor. Das Innenministerium und der Kreisrat benennen gemeinsam mindestens drei für die Leitung des Landratsamts geeignete Bewerber, aus denen der Kreistag den Landrat wählt. Können Innenministerium und Kreisrat keine drei Bewerber benennen, ist die Stelle erneut auszuschreiben. Dies gilt nicht, wenn der Kreistag auf die Benennung weiterer Bewerber verzichtet.“

Ausnahme für Härtefälle wird zur Regel

Letzteres war im Sinne der Erfinder im Jahr 1955, als die Landkreisordnung verabschiedet und in Kraft gesetzt wurde, ursprünglich als absolute Ausnahme vorgesehen, sozusagen als letzter Ausweg, um Vakanzen an der Spitze des Landratsamtes aufgrund von Formvorschriften zu vermeiden.

Soweit die Theorie, die Realität ist jedoch eine gänzlich andere. Die Prüfung, wer als „geeigneter“ Kandidat gilt, hinter der nur wirklich ganz böse Zungen eine „Gesinnungskontrolle“ vermuten würden, ist mittlerweile auch aus anderen Bundesländern bekannt. In Baden-Württemberg geht es aber noch absurder: Von den aktuell 35 amtierenden Landräten sind gerade einmal drei (!) durch das eigentlich vorgesehene Verfahren gewählt worden – Norbert Heuser (parteilos) in Heilbronn, Thorsten Erny (CDU) im Ortenaukreis und Joachim Bläse (CDU) im Ostalbkreis.

Das ist aber noch nicht alles: 21 Landräte kamen in Wahlen ohne Wahl zu ihrem Amt und damit deutlich mehr als die Hälfte aller Landkreischefs. Oft ist es so, dass der bisherige Amtsinhaber einfach wiedergewählt wird. Potenzielle Mitbewerber sucht man in diesen Fällen auch und vor allem deshalb vergeblich, weil der Kreistag schon im Vorfeld entsprechende Signale aussendet, dass weitere Kandidaturen aussichtslos sein werden. Oder aber die Mehrheitsverhältnisse im Gremium sind dergestalt, dass das „richtige“ Parteibuch einer sicheren Wahl gleichkommt. Und so dürfen sich Landräte in Baden-Württemberg in unschöner Regelmäßigkeit alle acht Jahre in ihrem Amt bestätigen oder auch erstmals wählen lassen und niemand stört sich an diesem mehr als fragwürdigen Verfahren – ganz im Gegenteil.

Am 3. November 2025 durfte sich zum Beispiel Helmut Riegger in Calw ohne Gegenkandidaten zum alten und neuen Landrat wählen lassen. Der CDU-Mann erhielt 44 von 50 Stimmen und das Landratsamt jubilierte auf seiner Homepage: „Die Kreisrätinnen und Kreisräte setzen durch die Wiederwahl ein deutliches Zeichen für Verlässlichkeit, Erfahrung und Kontinuität und bestätigen Helmut Riegger für weitere acht Jahre im Amt.“

Was wie ein Lob klingen soll und unter normalen Umständen ganz sicher auch eines wäre, verkommt unter den hier gegebenen Voraussetzungen schnell zur unfreiwilligen Realsatire. Noch absurder trieb es die „Südwestpresse“ nach der Wahl von Markus Möller (CDU) zum Landrat von Göppingen im April 2025. Die Überschrift des entsprechenden Artikels lautete: „Markus Möller mit großer Mehrheit zum Landrat gewählt“. Nur wer weiterlas, erfuhr dann auch noch, dass Möller nicht nur der einzige Kandidat war, sondern lediglich 44 von 62 Stimmen erhielt – für einen Alleinbewerber ein geradezu desaströses Ergebnis.

Da Landratswahlen in Baden-Württemberg stets in geheimer Abstimmung durchgeführt werden, werden wir es nie erfahren, aber dieses Beispiel aus Göppingen legt nahe, dass es hier zahlreiche Kreisräte oder auch ganze Fraktionen gab, die mit diesem Resultat ihren Protest gegen die gängige Praxis zum Ausdruck bringen wollten.

Landeslisten stärken Parteien-Staat

Bemühungen, an diesen Zuständen, die an Ulbrichts DDR aus dem vorigen Jahrtausend erinnern, etwas zu ändern, gibt es in Baden-Württemberg ganz offensichtlich nicht. Bereits im Jahr 2018 gab der Sprecher des Innenministeriums in Stuttgart, Carsten Dehner, gegenüber dem „Staatsanzeiger“ bezüglich der fast schon obligatorisch gewordenen One-Man-Shows bei Landratswahlen im Ländle ganz unverblümt zu: „Wir machen regelmäßig von dieser Möglichkeit Gebrauch und verzichten auf eine erneute Ausschreibung.“ Mit anderen Worten: Es wird nicht einmal der Versuch unternommen, ernsthafte Wahlen durchzuführen – man kennt sich, man schätzt sich und man bleibt deshalb gerne unter sich …

Seither hat sich nicht nur nichts geändert, die Entscheidungshoheit des Wählers in Baden-Württemberg wird immer weiter eingeengt. Nachdem der Souverän bisher schon bei den Landratswahlen gänzlich außen vor ist, hat er künftig auch bei den noch wesentlich wichtigeren Landtagswahlen deutlich weniger zu sagen.

Wo Überhang- und Ausgleichsmandate bisher über die in ihren Wahlkreisen nicht siegreichen Kandidaten mit den besten relativen Ergebnissen, sprich dem höchsten Stimmenanteil in Prozent, vergeben wurden, geschieht dies künftig über Landeslisten. Für die Parteien bedeutet diese Änderung, dass sie beim Volk gegebenenfalls schwer vermittelbare, aber linientreue Kandidaten auf sicheren Listenplätzen positionieren können. Wie das in der Praxis aussehen kann, hat die vergangene Bundestagswahl gezeigt, bei der beispielsweise Katrin Göring-Eckardt (Grüne) in den Bundestag einzog – eines Ergebnisses von gerade einmal 3,1 Prozent in ihrem Wahlkreis Erfurt – Weimar – Weimarer Land II zum Trotz.

Deutlicher kann die Ablehnung durch das Volk kaum zum Ausdruck gebracht werden. Parteien und (nicht gewählten) Kandidaten kann das bei indirekten Wahlen freilich einerlei sein – das Vertrauen in die Demokratie stärkt dies allerdings nicht.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

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