Weihnachten in der Fremde – in der eigenen Heimat Ein Besuch in Augsburg – und das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören

So recht kam keine Weihnachtsstimmung auf dieses Jahr bei meinem Besuch in der alten Heimat, in Augsburg. Ja, da sind die ganzen Kindheitserinnerungen, da ist etwas Nostalgie – doch die Stadt ist mir fremd geworden. Und nicht nur, weil so viele – in meinen Augen zu viele Fremde da sind und zu viel Fremdes (was man ja heute gar nicht mehr sagen darf, ohne deswegen als Ketzer zu gelten). Nicht wegen der Menschen an sich – sondern weil mir alles, was mir einmal vertraut war, entgleitet. Und das Neue kommt mir oft fremd vor – nicht weil es falsch ist, sondern weil ich darin keinen Platz mehr finde.

Da war der Besuch in meiner Lieblings-Konditorei, Eber am Rathausplatz, deren Weihnachtsgebäck für mich zum Heiligabend gehört, seit ich denken kann. Der erste Versuch scheiterte an einer nicht langen, aber chaotischen Warteschlange, in der ich den Altersdurchschnitt erheblich senkte – und jeder jedes Plätzchen einzeln und erst nach dreimaligem Überlegen orderte. Als der Juniorchef dann noch plötzlich die Herrschaften hinter mir bediente, war ich weg. Ich habe das Schlangestehen und die Geduld, die heute in Deutschland üblich erscheint, im Ausland verlernt.

Am nächsten Tag kam ich dann im leeren Laden an eine sehr nette Verkäuferin. Sie schockierte mich mit der Nachricht, dass es mein letztes Weihnachten mit Eber-Weihnachtsgebäck sein werde. „Im März schließen wir“. Seit Corona sei das Geschäft nie mehr richtig in die Gänge gekommen. Die Chefs reagierten mit Preiserhöhungen – und machten das Elend so nur noch größer. Im März kommt jetzt eine Kette in die Konditorei mit Café, die für mich zu Augsburg gehörte wie der Papst zum Vatikan. Die seit 1925 am Platz ist, in vierter Generation familiengeführt.

Kann man den Inhabern vorwerfen, die Zeit verschlafen zu haben? Nicht gegengesteuert zu haben, dass fast nur noch Rentner im Laden und im Café zu sehen sind? Ich finde – persönlich nein. Sie machen seit Generationen wunderbares Gebäck – und das sollte eigentlich reichen. Andererseits ist die fehlende Flexibilität und der Versuch, alles durch Preiserhöhungen zu retten, auch ein generelles Problem in Deutschland.

Andere reagieren weniger redlich. Im Wirtshaus Fischer´s Mohrenplatz in Garmisch-Partenkischen schmeckte alles wunderbar, der Kellner war freundlich – so freundlich, dass er am Schluss noch fragte, ob wir einen Kaffee oder Schnaps möchten. In einem Tonfall, der keinen Zweifel ließ, dass es eine Einladung war. Aber es war keine. Um zu vertuschen, dass er die vermeintliche Einladung auf die Rechnung gesetzt hatte, brachte der Kellner diese erst gar nicht – sondern nannte nur den Endbetrag – fast 90 Euro. Ich schluckte die Sache runter, weil ich die Stimmung nicht noch weiter verschlechtern wollte. Doch die Weihnachtslaune war sofort dahin.

Im Hotel, dem Mercure, ging es im gleichen Stil weiter – zum ersten Mal, seit ich das Hotel kenne, wurde mir eine Parkplatzgebühr berechnet – dabei wurde nicht mal gefragt, ob ich den völlig offen stehenden, riesigen Parkplatz vor dem Hotel wirklich genutzt habe.

Doch das sind nur ein paar Momente der Entfremdung. Ich könnte die Liste lange fortsetzen. Die Abzocke mit Zusatzgebühren beim Mietwagen. Die Tatsache, dass in Augsburg das „Drei Mohren“, ebenfalls eine Kindheitserinnerung, jetzt politisch korrekt „Maximilians“ heißt. Dass in meiner Lieblingspizzeria, die jetzt einen anderen Namen hat, die Tische inzwischen so eng zusammenstehen, dass man jedes Wort vom Nachbartisch mithört, und die Salate ebenso zusammenschrumpften wie der Platz. Dass man heute fast überall den Tisch angewiesen bekommt, statt ihn sich frei auszuwählen – was mir mein Vater einst als Errungenschaft Westdeutschlands und großen Kontrast zur DDR verkauft hat.

Die Tatsache, dass die ganz große Mehrheit der Menschen all das offenbar fast schon masochistisch hinnimmt. Ebenso wie die teilweise immensen Warteschlangen an einfachen Glühwein-, Bratwurst- oder Dampfnudelständen. Und die Tatsache, dass etwa am Augsburger Christkindlesmarkt acht Helfer im Einsatz sind, um mobile Roller für jede Straßenbahn wegzuheben und dann wieder zurückzustellen – ebenso teuer wie sinnlos, da ein potentieller Attentäter genug Zeit hätte, um direkt hinter einer Straßenbahn in den angeblich geschützten Bereich reinzufahren.

Vielleicht gibt es einen einfachen Grund, warum so viele all das einfach lakonisch, fast schon apathisch hinnehmen: Sie sitzen wie Frösche im langsam erhitzten Wasser und merken gar nicht, wie ungemütlich es geworden ist. Ich hingegen war eine Weile raus – und spüre den Temperatur-Schock bei jedem Schritt. Eine Rolle spielt sicher auch, dass die Medien die Realität schönen. Jeden Tag. Im Fernsehen, im Print. So habe ich in der Augsburger Allgemeinen keinen Hinweis gefunden, dass meine Liebslingskonditerei schließt. Vielleicht, weil man solche Meldungen lieber weglässt – weil sie stören, weil sie beunruhigen könnten? Oder weil man in den Redaktionen inzwischen so weit vom Lebensalltag der eigenen Leser entfernt ist, dass man solche Dinge gar nicht mehr mitbekommt – zumindest nicht frühzeitig?

Mit weiteren Beispielen verschone ich Sie. Es ist Heiligabend. Und eigentlich sollten wir uns freuen heute. Was ich auch tue. Aber nur mit viel Nostalgie.

Wenn ich durch meine alte Heimat gehe, fühle ich mich heute wie in einem Freilichtmuseum: voller Erinnerungen, voller Verluste. Die Kulissen stehen noch – aber die Seele scheint ausgezogen. Vielleicht liegt der Fehler bei mir. Vielleicht ist es nicht die Stadt, die sich entfremdet hat – sondern ich, der nicht mehr dazugehört. Und trotzdem tut es weh.

Vielleicht ist das der neue westdeutsche Fortschritt: Man zahlt mehr, bekommt weniger, darf sich nicht beschweren – und wird dann noch schräg angeschaut, wenn man sich nach früher sehnt. Nach einem Früher, das keine Ideologie war, sondern einfach nur… angenehm. Heimat. Und heimelig. Es fühlt sich so an, als wurde einem die Heimat geraubt. Zumindest ein großes Stück davon.

Ich weiß, dass ich nie wieder ganz ankommen werde in dieser Stadt. Aber ich weiß auch: Es war einmal mein Zuhause. Und vielleicht reicht das ja – um sich an Weihnachten wenigstens ein bisschen zu erinnern, wie es war, als alles noch einfach war. Und der Lebkuchen nach Kindheit schmeckte, nicht nach Abschied.

Wenn selbst Weihnachten mehr nervt als wärmt, dann stimmt etwas Grundsätzliches nicht. Vielleicht braucht dieses Land nicht noch mehr Regeln, Gendersternchen und Parkgebühren – sondern einfach wieder ein wenig mehr Herz. Und das gibt’s leider nicht auf Rezept, nicht per App – und auch nicht mit acht Rollerhebern am Glühweinstand.

Früher sagten wir: „Deutschland, das Land der Dichter und Denker.“ Heute wirkt es eher wie das Land der Schnorrer, Schlangensteher und Schönender – nicht, weil sie schön denken würden, sondern weil sie sich die Realität schöndenken. Und ich frage mich: Ist das der neue Geist von Weihnacht – oder nur das Echo eines Systems, das innerlich längst zusammengeklappt ist wie die Stühle in meiner Lieblingspizzeria?

Bin ich einfach nur alt geworden, nörglerisch und nostalgisch – wie ich das früher mit leichtem Kopfschütteln bei meiner Großmutter und meinen Eltern notierte? Oder hat sich wirklich etwas geändert? Wahrscheinlich ist es beides.

Aber ich lasse mir Weihnachten dennoch nicht nehmen. In meinem Kopf, in meinem Herzen und in meiner Seele ist alles noch, wie es damals war. Dieses Jahr noch mit den Plätzchen und den Lebkuchen aus der Konditorei Eber – nächstes Jahr ohne. Aber die Erinnerung lebt weiter.

In diesem Sinne wünsche ich auch Ihnen von Herzen ein frohes, friedliches Weihnachtsfest.

Möge es für einen Moment all das überblenden, was uns sonst das Herz schwer macht – die Entfremdung, den Ärger, die kalte Bürokratie und das Gefühl, nicht mehr ganz dazuzugehören.

Möge es uns erinnern an das, was bleibt – selbst wenn vieles geht: an Wärme, an Menschlichkeit, an echte Begegnungen. Und an den Duft von Lebkuchen, der – zumindest in der Erinnerung – kein Verfallsdatum kennt.

Ich wünsche Ihnen stille Stunden, ehrliche Gespräche, ein bisschen Kindheit im Herzen – und die Kraft, auch im neuen Jahr nicht aufzugeben, was uns ausmacht.

Frohe Weihnachten. Und danke, dass Sie da sind.

PS: Zum Schluss möchte ich mich herzlich bedanken – bei all jenen von Ihnen, die mir in den letzten Tagen Weihnachtsgeschenke in Form von Unterstützung geschickt haben: Ob groß oder klein, finanziell oder ideell – es bedeutet mir viel.

Und falls auch Sie noch Weihnachtsmann sein möchten – unter diesem Link finden Sie die Möglichkeiten: http://reitschuster.de/unterstuetzung

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